Unter Freunden. Udo Staber

Unter Freunden - Udo Staber


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Detti.“

      „Nein, eben nicht. Es ist nicht nur eine Krawatte. Es geht um Gefühle, zur Abwechslung mal meine Gefühle. Ich denke an dich, ich sorge mich um dich. Sag mir etwas, das ich nicht für dich tun würde. Aber du, hast du denn gar kein Gespür für meine Gefühle?“

      „Aber Schatz, eine Krawatte ist doch nur ein Stück Stoff, das hat doch nichts mit Gefühlen zu tun. Und auch wenn diese Krawatte hier nicht die richtige ist, das macht doch nichts.“

      „Das macht sehr wohl was. Hörst du denn überhaupt nicht, was ich sage?“

      „Doch, ich höre, aber Regine ist es egal, welche Krawatte du trägst. Ich kenne sie. Mit oder ohne Krawatte, sie will dich kennenlernen so wie du bist. Wir sind unter Freunden. Die werden alle darüber hinwegsehen.“

      „Aber ich will nicht darüber hinwegsehen“, schreit er. „Ich kann doch so nicht daherkommen. Wenn es um eine Bluse von dir ginge, würden wir jetzt immer noch zu Hause sein und du würdest noch eine Stunde in deinem Schrank herumwühlen wie eine Irre. Du weißt, wie wichtig mein Aussehen ist in meinem Beruf, wenn ich mit meinen Klienten zusammen bin. Wer will sich schon von jemand beraten lassen, der schlecht angezogen ist?“

      „Aber du bist doch gut angezogen. Ich wette, Regines Freund und die anderen werden sich einen Dreck um deine Krawatte scheren.“

      „Das sagst du jetzt. Vor ein paar Stunden hast du ganz anders geklungen. Ich habe sehr wohl die Signale in deinen Worten verstanden, ich bin ja nicht schwerhörig. Gerade bei einem, der sich in der Kunstwelt auskennt, gerade bei dem ist tadelloses Aussehen von Bedeutung. Architekten sind so, das weiß ich, ich habe schon öfters mit Architekten zu tun gehabt. Was glaubst du denn, warum er mit einer Raumdesignerin zusammenlebt? Bestimmt nicht, weil sie beide gern Müll trennen. Ich habe mich weiß Gott bemüht, und jetzt sagst du, ihrem Freund ist es egal, wie ich angezogen bin.“

      „Es ist ihm vielleicht nicht egal, aber ob du Hermann mit einer roten oder blauen Krawatte gegenüber sitzt, ist für ihn bestimmt genauso wenig ausschlaggebend, wie wenn du deinen Kunden eine Wohnung in einem weißen oder blauen Hemd zeigst.“

      „Hallo, willst du damit sagen, ich weiß nicht, wie man Wohnungen verkauft?“

      „Nein, so habe ich das nicht gemeint.“

      „Aber so hast du es gesagt. Du hast gesagt, meinen Klienten ist es egal, wie ich angezogen bin. Aber das ist es eben nicht! Du tust so, als hätte ich dir noch nie von meiner Arbeit erzählt, auf was ich in meinem Beruf alles achten muss. Eigentlich sollte ich jetzt daheim sein und mir überlegen, wie ich mit meinem Kunden morgen Vormittag vorgehen soll. Stattdessen nehme ich mir die Zeit und geh mit dir zu deinen Freunden, denen es offenbar egal ist, wie ich daherkomme, oder ob ich überhaupt komme.“

      Ich hab’s geahnt, als ich sagte, wir würden zu spät kommen. Jetzt glaube ich fast, er will absichtlich zu spät kommen. Ich weiß nur nicht, was er damit bezwecken will. Das Ganze macht gar keinen Sinn. Er will bei meinen Freunden einen guten Eindruck hinterlassen, aber er nimmt ein Zuspätkommen in Kauf, weil er mir eine Lektion erteilen will. Ist es das? Ich weiß nicht, warum ich mir das gefallen lasse. Jede andere würde ihn jetzt geradebügeln, aber ich entschuldige mich und sage, „Tut mir leid, Detti, ich hab das so nicht gemeint, glaub mir, aber jetzt fahr doch bitte. Wenn wir hier noch länger herumsitzen, sind wir um Mitternacht noch nicht in Tübingen.“

      „Glaubst du wirklich, ich will in dieser miesen Stimmung jetzt noch Autofahren?“, brüllt er mich an. Ich bin mir selbst ein Rätsel, ich beginne mich jetzt doch tatsächlich schuldig zu fühlen, obwohl er diesen Aufruhr angezettelt hat. Von einer Minute zur anderen ist er ein völlig anderer Mensch geworden. Das hat er schon öfters so gemacht. Den ganzen Tag über ist er furchtbar nett zu mir, und dann, kurz bevor wir ins Bett gehen, fängt er wegen irgendeiner Kleinigkeit Streit an, weil ich zum Beispiel vergessen habe, die Stehlampe im Wohnzimmer auszuschalten, oder weil ich ihn nicht gefragt habe, welches Programm er im Fernsehen anschauen möchte. Ist das denn normal? Und ich bin so blöd und bemühe mich um Gegenargumente, die ihn nicht beleidigen, wobei ich weiß, dass es in dieser Situation solche Argumente gar nicht gibt. Ich will rational mit ihm reden, ihn beschwichtigen, wo ich doch einfach still sein könnte. Wenn er streiten will, und ich wehre mich nicht und bringe nichts gegen seine Argumente vor, sondern lasse ihn einfach reden, dann muss es auch keinen Streit geben, dann verläuft alles im Sand, bevor es überhaupt richtig angefangen hat. So einfach könnte das sein. Aber so einfach ist das nicht, einfach nichts sagen. Ich will auch nicht wie eine Person rüberkommen, die immer nur frotzelt. Ich sage nochmal: „Tut mir leid, Schatz, ich wollte dich wirklich nicht drängen. Fahr jetzt einfach weiter, so schnell oder so langsam wie du willst. Die fangen bestimmt nicht um sieben mit dem Essen an. Der Tisch ist für sieben bestellt, das heißt, das Essen wird um acht serviert, frühestens. So ist das in einem feinen französischen Restaurant. Man setzt sich nicht einfach an den Tisch und fängt fünf Minuten danach mit dem Essen an. Und ob wir jetzt beim Aperitif dabei sind oder nicht, das ist unseren Freunden bestimmt nicht so wichtig. Hauptsache, wir kommen heil an.“ Ich streichle seinen Arm und schiebe eine CD mit Rudi Carrell Schlagern in den CD Player, die ich ihm zum Namenstag geschenkt habe. Plötzlich wird er ganz ruhig und lauscht dem Rhythmus der Musik. Dabei wiegt er den Kopf hin und her und trommelt mit den Fingern auf das Lenkrad. Dann endlich startet er den Motor und wir setzen uns in Richtung Tübingen in Bewegung.

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