Aus der Deckung. David Lopez
er droht, das Spiel abzubrechen, was ihm jedes Mal ein Halt-die-Klappe von Poto einbringt, der Habib sogleich mit neuen Vorwürfen beschießt, worauf dieser zurückgibt, Poto übertreibe mit seinen ständigen Anschuldigungen, und als Poto das Deck aufnehmen muss, um weiterzuspielen, kocht er vor Wut, er ist auf 180 und brüllt, es sei ihm scheißegal, nur weiter so, ihr Clowns, mit euch zu spielen bringt’s doch nicht, mal ehrlich, was ist heute Abend los mit euch, ihr geht mir auf den Sack, dann springt er auf und wirft sein Blatt auf den Tisch. Habib fragt ihn, ob das sein Ernst sei, während Poto sich lachend eine Kippe anzündet. Dann geht er zum Bildschirm und verkündet Miskine, er werde ihm an der Konsole ’ne fette Niederlage beibiegen.
Ich beginne, Dope und Tabak auf dem Blättchen zu mischen. Habib schlägt eine Pokerrunde mit zwanzig Euro Einsatz vor, aber keiner hat Bock darauf. Ixe erinnert sich, dass er Rubbellose in der Hosentasche hatte, er kramt drei hervor, rubbelt zwei auf, Nieten. Habib geht in die Vollen, Alter, ich wette zehn Riesen, das Letzte gewinnt, darauf Ixe, pah, hundert Euro, und es ist deins, und Habib, ohne zu zögern, gut, schlag ein, beim Leben meiner Mutter, und jetzt wird es turbulent um mich herum, ich lache, alle blöken durcheinander. Poto sagt zu Habib, er könne jetzt keinen Rückzieher mehr machen, er habe auf das Leben seiner Mutter geschworen, und Ixe zu Habib, komm, blätter die Kohle hin. Miskine hat seine Konsole stehenlassen und nennt ihn einen Clown, und Habib würde am liebsten im Erdboden versinken, nee, Alter, bist du hirndämlich, war doch nur Spaß. Dann kommt noch Romain dazu und dreht den Spieß um, hey, du weißt doch gar nicht, ob das Los nicht doch zehn Riesen bringt, und hallo, jetzt geht es gemeinsam gegen Ixe, der schließlich zögerlich wird.
Jetzt sind alle aggro, jeder gegen jeden, dann geht es wieder von vorne los. Poto beleidigt Habib, was reißt du das Maul auf wegen nichts, hä, machst hier den Taffmann, hast aber keine Eier! Habib verteidigt sich, pah!, dann kauf du doch seine Hundert-Euro-Niete. Nee, Alter, ich klopf hier keine Sprüche, aber du kommst pompös und tönst, du würdest zehn Riesen wetten! Meine Fresse, keine Ahnung, das hab ich einfach so dahingesagt! Dann halt besser die Fresse, wenn nur Bullshit rauskommt! Hey, reg dich ab, Poto hat recht, was soll der Scheiß. Was soll das, hä, was willst du mit so ’ner prallen Ansage, was soll das, nichts, dann halt die Klappe und spiel nicht den Deppen. Ich lecke den Klebstreifen ab.
Das Los war eine Niete. Habib schlägt stur weiter Wetten in alle Richtungen vor, zwei Euronen, dass die erste Karte auf dem Stapel ein Kreuz ist, doch er holt sich eine Abfuhr von uns. Die anderen spielen abwechselnd an der Konsole. Ich bin kaum eine Stunde da und schon in meinem Element. Langeweile will gemanagt sein. Es braucht Vorlauf. Es braucht Anstöße. Man muss einen gewissen Sinn für das richtige Maß haben. Man liefert sich Wortgefechte, lässt sich verarschen und hat Spaß dabei. Hält den Ball flach. Es kommt vor, dass wir frustriert sind, das Wesentliche aber ist, unsere Stellung zu halten. Denn dort, wo man ist, riskiert man nicht, zu fallen.
Draußen klopft jemand, ohne sich um das Glas zu scheren. Wer ist das?, fragt Ixe, erwartest du jemanden? Nee, sagt Romain und geht nachsehen. Ist für mich, lässt Miskine wissen. Seit wann verabredest du dich bei anderen, fragt Ixe, und Miskine antwortet, ja was, ich mach’s wie du. Als die Tür aufgeht, höre ich die heisere Stimme von Untel, was geht ab, bist du’s, Romain? Ist Miskine da? Romain bejaht, scheint aber zu zögern. Ist schon okay, brüllt Miskine aus dem Wohnzimmer, ohne sich vom Bildschirm abzuwenden. Untel wartet nicht, bis Romain ihn hereinbittet, er kommt rein, und er ist nicht allein. Im Flur, auf dem Weg zum Wohnzimmer, motzt er, Scheiße, Mann, in deinem Garten schlagen einem Zweige in die Fresse. Du brauchst nicht zufälligerweise Gartengeräte, Digger? Ich hätte da was für dich. Ixe schließt die Glastür, während Untel ins Wohnzimmer tritt.
Oh, là, là, ist ja Chaos pur hier drin. Und, was geht, Jungs, alles gut? Geht fit, Alter, meint Ixe, und Untel zieht ihn an sich, nachdem er ihm die Hand geschüttelt hat. Ungerührt lässt Ixe die Umarmung über sich ergehen. Untel ist der reizendste Hurensohn, den ich kenne. Außer seiner Mutter muss jeder damit rechnen, von ihm reingelegt zu werden. Und es gibt immer noch Leute, die das infrage stellen. Er ist ein Verführer. Mein Vater findet, dass man dem Jungen unrecht tut. Aber er ist auch noch nie von ihm übers Ohr gehauen worden. Wenn es so weit ist, wird ihm jeder sagen, damit hätte er rechnen müssen. Ich nicht, das ist klar. Untel ist ein Typ, der hart arbeitet, einer, der sich für was entschieden hat. Er steht dazu. Immer und überall einen guten Eindruck zu hinterlassen ist die Geschäftsgrundlage jedes Gauners. Wenn man das weiß, ist er für einen Lügner sehr ehrlich. Die anderen begrüßt er rudimentär, Check mit den ausgestreckten Händen und Ghettofaust. Mich küsst er auf die Wangen. Jonas, alles klar, Chabo. Und selbst, Niggah?, frag ich zurück. Und er, wir müssen mal was ausmachen und über Babo reden. Jep, erwidere ich, das Übliche, und wir lachen. Der Typ, der mit Untel gekommen ist, heißt Lahuiss. Ein guter Kumpel von uns, wir kennen uns von klein auf, sehen uns aber nicht mehr oft. Er ist zum Studieren in die Stadt gegangen und pendelt. Ab und zu schaut er bei uns vorbei. Das letzte Mal, bei Ixe, hat er gewitzelt, er sei wie zu Besuch bei uns. Ixe hat gequält gelacht. Lahuiss ist jetzt auf einem anderen Trip, auch wenn er noch vieles von hier an sich hat. Er bleibt eben einer von uns. Manchmal verarschen wir ihn wegen seinem Gequatsche und sagen ihm, dass er immer mehr verbürgerliche. Seit er den Abflug gemacht hat, erzählt er uns immer Anekdoten von den Partys, wo er abends rumhängt, und von den Leuten, mit denen er durch die Gegend zieht und die immer irgendwas vorhaben, von den Bräuten, die er flachlegt. Seine Geschichten gefallen uns, weil er sie gut erzählt. Aber unter uns nennen wir ihn manchmal trotzdem einen Wichser, weil er uns aus allem raushält. Kann aber auch sein, dass es an uns liegt. Er und Untel sind ein schrilles Paar. Ein Blick genügt. Auf der einen Seite Untel, ein fetter PoC mit Bart, den Schirm seiner Lacoste-Basecap hochgeschlagen, abgesteppte schwarze Bikerjacke mit Kapuze, Levi’s-Jeans und ein Paar Nike Air Max. Er ist oldschool, ganz einer von uns. Immer einen Spliff im Mundwinkel. Lahuiss trägt einen modischen Rollkragen, ein kurzes, tailliertes Sakko, eine Haarsträhne zur Seite gekämmt, enge Hose und Lederstiefel. Und der Typ kommt, streckt dir die Faust entgegen und sagt, na, Digger, alles stabil?
Untel ist wegen Miskine gekommen, der sich schließlich aus seinem verdammten Sessel erhebt. Offenbar kommt er gelegen, denn Ixe hat ihm was zu sagen. Sie setzen sich alle drei um den Couchtisch vor dem Bildschirm, während wir anderen um den Esstisch versammelt bleiben. Wir verarschen sie, und Habib ruft ihnen von weitem zu, seht euch mal diese feine Gesellschaft an, was bei Untel großes Gelächter auslöst. Für ihn ist das Respekt. Poto wird unruhig, er fragt, und, was steht als Nächstes an?, der Lincolnbart hüllt sich weiter in Schweigen, und Romain vergewissert sich, ob wir alle was zu trinken haben. Lahuiss hat sich mir gegenübergesetzt, alles klar bei dir, Jonas?, meine Antwort, jep. Er zündet sich eine Kippe an. Untel hat erzählt, du hättest neulich einen Kampf verloren. Ja. Ist deine erste Niederlage, oder?, und ich, nein, meine zweite in der Seniorenklasse. Ah, und dann fragt er mich, wie viele Siege ich habe. Dreizehn, sage ich, und er nickt anerkennend. Er zieht an seiner Kippe. Was machst du sonst so?, fragt er. Ich seufze, puuh, nicht viel, wie du siehst, ich häng rum, ich warte. Keine Jobs ab und an?, fragt er, und ich wisch die Frage weg, hör auf, ich bin mit sämtlichen Fabriken hier durch, das hat mich geschafft. Er zieht den Rauch seiner Zigarette mit der Nase ein, betrachtet mich. Und mit dem Boxen, kannst du damit was anfangen? Ich wiege den Kopf, frage mich, wie ich mich herauswinden kann, mir ist klar, dass Lahuiss sich nicht so leicht verarschen lässt. Hör zu, Digger, ich sag dir eins, du musst Schläge einstecken, und ich will nicht mit zertrümmertem Zinken, geschwollenem Gesicht und zu Brei geschlagenem Hirn enden. Die Boxer, die nach ihrer Karriere noch tadellos aussehen, sind dreifache Weltmeister. Du hast doch gesehen, wie ich lebe, wo ich trainiere, das ist vorbei. Lahuiss macht pfff, und was kommt stattdessen?, fragt er, und ich antworte, hey, suchst du heute Abend Streit, oder was? Poto prustet los, nee, meint er, Tatsache ist doch, Jonas is ’n guter Boxer, aber kein Athlet, er nimmt es nicht ernst, hat Sucré neulich ganz richtig gesagt, und ich halte dagegen, so ein Quatsch, was erzählst du, steig mit mir in den Ring, dann merkst du, wie ernst ich es nehme. Um das Thema zu wechseln, kommt Lahuiss auf sein Spezialgebiet, und sonst, sagt er, hast du gerade was am Laufen? Wenn er mich auf die Palme bringen wolle, antworte ich, müsse er nur so weitermachen, worüber er lachen muss und ich mit ihm, und Poto deutet auf Lahuiss, hab ich’s doch gerochen, du, Lahuiss, du hast uns was zu erzählen, yo, mischt Habib sich ein, sein Gesicht sagt alles. Lahuiss rückt seinen Stuhl zurecht, nimmt seine Erzählpose ein. Wirkt fast oberlehrerhaft. Ihm gefällt