Aus der Deckung. David Lopez

Aus der Deckung - David Lopez


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selbst reingeritten, ich stecke in einer verflixten Zwickmühle. Er drückt seine Kippe aus und zündet sich quasi mit derselben Bewegung eine neue an, nimmt einen Zug, saugt den Rauch durch die Nasenlöcher ein, ascht ab. Was los?, fragt Poto, geht’s darum, ein paar Typen zu verprügeln?, und Lahuiss antwortet, spinnst du, damit hat es nix zu tun. Er schnippt die Asche ab, ohne an der Kippe gezogen zu haben. Ich arbeite seit ’ner Ewigkeit mit einer Sis zusammen, Digger, sagt er, wir haben uns immer gut verstanden, aber da läuft nichts, wir sind Homies, doch, doch, Habib, isso, echt, ich schwör’s, und eines Tages, er nimmt einen Zug, eines Tages stellt mir die Sis ihre zwei Cousinen vor, er pafft Wölkchen, und so was wie diese Schwesterherzen hast du noch nicht gesehen, er ascht ab. Es kam, wie es kommen musste, ich hab mit beiden rumgeflirtet und schnell mitgekriegt, dass beide scharf auf mich sind, ich schwör’s, ich war der reinste Gockel, aber damals war ich noch mit Caroline zusammen, du erinnerst dich doch an Caroline? Jedenfalls hab ich mit beiden rumgemacht, aber mehr auch nicht, nur dass ich jetzt, da mit der Ische nix mehr läuft, wieder zurück im Spiel bin, du verstehst, was ich meine, und er nimmt einen Zug. Und?, fragt Poto, willst du jetzt beide flachlegen, oder was? Nein, meint Lahuiss und bläst den Rauch aus, Fakt ist, ich date die eine und flirte mit der anderen, die keine Ahnung von ihrer Schwester und mir hat, und er schnippt die Asche ab. So ein Bastard, sagt Habib, und Lahuiss nimmt einen Zug, er wirkt tatsächlich etwas gequält, Digger, anfangs stand ich auf die Kleine, er bläst den Rauch aus, die Große ist genau der Typ Frau, die jeder gern abschleppen würde, aber die Kleine, die hat was, ich weiß nicht, wie ich das sagen soll, er ascht wieder ab. Und wo ist jetzt das Problem, frage ich, du brauchst bloß bei der Kleinen bleiben, wenn sie dir besser gefällt, und Habib sagt, yo, so isses, und die Große stellst du uns vor. Lahuiss bläst den Rauch aus, Leute, sagt er, und nimmt einen Zug, das Problem ist, dass ich mit jeder Faser Liebe bin, er bläst den Rauch aus, ich weiß nicht, und er ascht ab, wenn mich eine Frau anmacht, kann ich einfach nicht widerstehen, er ascht wieder ab, und ich spür es genau, wenn es so weitergeht, er nimmt einen Zug, ich spüre, wenn es so weitergeht, werde ich die Große auch noch flachlegen, er atmet tief aus, und am Ende bin ich das allerletzte Arschloch, er streift die Asche ab. Dann nimmt er einen Zug, ascht ab, bläst den Rauch aus, ascht ab, seufzt, ascht ab. Ich sehe ihn an und verziehe den Mund, und er sagt, Jonas, ich schwör’s, das war keine Absicht, und dennoch liegt ein zweideutiges Lächeln auf seinen Lippen, dadurch ist es schwierig zu sehen, wo er steht, man weiß nie, ob er ein leichtsinniges Unschuldslamm oder ein waschechter Hurensohn ist. Er hat es raus, Schandtaten wie eine Arglosigkeit wirken zu lassen. Du bist ein verdammter Schakal, sagt Poto, der aussieht, als habe er seine eigene Meinung dazu, auch wenn man darauf wetten kann, dass er gern an Lahuiss’ Stelle wäre. Abaschen, einen Zug nehmen, Rauch ausblasen, abaschen, einen Zug nehmen, er drückt die Kippe aus, pustet und sagt, Scheiße noch mal, ich bin echt ein Dreckskerl. Während er spricht, beobachte ich ihn. Er gestikuliert viel beim Sprechen, besonders mit seinen Händen, an denen Goldringe stecken, drei an jeder Hand, darunter ein Siegelring an der rechten, den ich ihm abluchsen wollte, als wir klein waren. Damals war er ihm zu groß, deshalb schloss er immer seine Hand zur Faust, damit er nicht herunterrutschte. Er ist ständig in Bewegung, wenn er spricht, aber seine Gestik ist harmonisch, nichts wirkt plump bei ihm. Lahuiss ist keine Dumpfbacke, er drückt sich gewählt aus. Proll genug, um sich nicht selbst zu verleugnen, fein genug, um nicht darin unterzugehen. Ich kann mir vorstellen, dass er in anderen Kreisen nicht so spricht wie mit uns. Sein Besuch bei uns hinterlässt keinen Fleck auf ihm. Während wir uns Veilchen und verklebte Lungen holen und hier und da mal ausrasten auf einem Weg, der eine Endlosschleife ist.

      Die Gangster am Couchtisch haben ihr Gespräch offenbar beendet. Untel verkündet, er gehe jetzt. Er schaut Romain an und sagt, Digger, das ist voll die Unordnung bei dir, schon mal erlebt, dass ’ne Perle auf dem Absatz kehrtgemacht hat und davongerannt ist? Er ist der Einzige, der lacht. Dann bietet er Romain noch einmal an, er könne ihm Gartengeräte besorgen, was mich zum Lachen bringt, typisch Untel, hat immer was in petto. Wenn er ein paar Sneaker anbietet, begreife ich das noch, aber das letzte Mal hatte er elektrische Gitarren. Und jetzt redet er von einer Heckenschere, die er nicht an den Mann bringt und deren Vorteile er auf eine Art anpreist, dass Romain glauben muss, er habe es mit einem Vertreter für Gartengeräte zu tun. Apropos Garten, jetzt wird er neugierig, wie der hintere Teil aussieht, und er geht zur Verandatür hinaus, gefolgt von Lahuiss, der schon Witze reißt, wie man hier ein Survivaltraining machen könnte. Ixe und ich wechseln einen Blick, uns beiden ist klar, dass sein Geheimnis auffliegen wird, und keine dreißig Sekunden später ist Untel zurück im Wohnzimmer und wendet sich aufgeregt an Romain, hey, ist das deins da draußen?, und, hallo, schon ist er dabei, ihm zu erklären, wie sie den Verkauf organisieren könnten, und Ixe gleich: Mach mal halblang, Untel, das ist mein Gras. Untel bricht in lautes Gelächter aus, Mensch, Ixe, träum ich, oder was, das hätt ich dir nicht zugetraut. Wo Ixe seinen Homies einfach was zukommen lassen will, sieht Untel vor allem die Gelegenheit, schnelles Geld zu machen. Wir könnten bloß einen Teil verkaufen, schlägt Miskine vor, aber Ixe will nichts davon hören. Lahuiss, der mit einer erloschenen Kippe auf seinen Daumennagel klopft, erhebt sich vom Stuhl, und mit dem Gesichtsausdruck eines Typen, der megastolz auf seinen Gesprächsbeitrag ist, verkündet er, man könne zumindest festhalten, dass dies durchaus eine Möglichkeit sei, seinen Garten zu bestellen. Meine Fresse, sagt Habib, was quatscht der denn? Sag bloß, du kennst Voltaire nicht, erkundigt sich Lahuiss mit gespielter Empörung. Verdammt, Leute, ist keiner von euch aufs Gymnasium gegangen? Seinen Garten bestellen ist aus Candide. Groschen gefallen? Candide?, wendet er sich an Habib, jep, antwortet der, sagt mir was, ich glaub, meine Schwester hat das für die Schule gelesen. Volltreffer, sagt Lahuiss, bestimmt hat deine Schwester es in der Schule gelesen, ist ja auch die Einzige aus der Familie, die bis zum Abi durchgehalten hat. Was für ein Mistkerl, lacht Habib laut. Na gut, werfe ich ein, was ist das für eine Geschichte mit dem Garten. Lahuiss zündet seine Kippe an. Mann, was zündest du dir noch ’ne Kippe an, wir gehen, hab ich gesagt, drängt Untel. Klappe, erwidert Lahuiss, ohne ihn anzusehen.

      Also, Leute, um es kurz zu machen, Candide ist die Geschichte eines kleinen Spießers, der in einem Schloss mit Hauslehrer aufgewachsen ist, und der hat ihn in Philosophie und so weiter unterrichtet mit dem Grundgedanken, dass dies die beste aller Welten sei und alles zum Besten in ihr stehe. Candide geht es also super, er führt ein geruhsames Leben, nur dass er eines Tages die Tochter des Barons flachlegt, bei dem er lebt. Sie heißt Kunigunde, meine Fresse, wir sind im achtzehnten Jahrhundert. Deshalb schmeißt man ihn kurzerhand mit ein paar Tritten in den Arsch hinaus, und er landet als Outlaw auf der Straße. Von da an lässt der Typ nichts aus: Als Soldat zieht er in den Krieg gegen die Bulgaren, er geht nach Paraguay, erlebt das genaue Gegenteil, als er Eldorado entdeckt, doch ich halte es kurz und erspare euch all den Mist, der ihm passiert. Aber, ich sag’s euch, der Typ legt Leute um, es gibt ein Erdbeben, sein Lehrer landet am Galgen, er krepiert beinahe, weil ein Arzt ihn bescheißt, er lässt sich von einem Priester seine Kohle klauen, er lebt echt in der Scheiße, es ist unglaublich. Das klingt jetzt etwas durcheinander, aber ich erinnere mich nicht mehr an die genaue Reihenfolge, ist bekanntlich lange her, dass ich es gelesen hab. Sehr viel später trifft er dann die Alte wieder, seine Kunigunde, nur hat sie inzwischen fett was einstecken müssen, weil sie Lepra oder was weiß ich hatte, jedenfalls hat die Alte ’ne völlig zerknautschte Fresse, ein Gesicht wie ’n Cookie, könnte man sagen, aber Candide ist halt ein gutmütiger Typ, also schlägt er die Ehe nicht aus. Und dann findet er auch seinen Lehrer wieder, der gar nicht gestorben war, ohne dass man wüsste, warum. Und am Ende, nachdem er alle denkbaren Nöte überstanden hat, legt er einen Gemüsegarten an, und nun gibt’s in seinen Augen nix anderes mehr, nur das zählt, der Rest geht ihm am Arsch vorbei. Er zieht an seiner Kippe. Und der letzte Satz im Buch fällt, als der Lehrer ankommt und grosso modo zu Candide meint, das Leben sei doch bestens, hätte nämlich Candide nicht alles das erlebt, wäre er jetzt nicht da, wo er ist, und würde heute keine Radieschen anbauen, woraufhin Candide erwidert, er habe zwar recht, aber das Wichtigste sei, seinen Garten zu bestellen. Poto meint daraufhin, er habe so einen Typen gekannt, der alles sausen ließ und Landwirt wurde, aber Lahuiss meint, das sei es nicht, worum es wirklich gehe. Ehrenwort, Leute, ihr solltet das Buch lesen, sagt er, und klar, dass wir anfangen herumzualbern wie die Irren, jep, ist gebongt, klaro, worüber Lahuiss sich ein wenig empört, ich meine das ernst, Leute, ich bin mir sicher, es würde euch nicht schaden. Mann, ’ne Geschichte von einem Typen, der Gemüse anbaut, ist mir scheißegal, meint Untel,


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