Glücklicher als gedacht. Antoine Laurain
machst keine Filme«, sagte ich und bedauerte sogleich die Bemerkung, die ihn sicher verletzte. Es ist nicht gut, Männer an ihre Jugendträume zu erinnern.
»Doch«, sagte er mit strahlendem Lächeln, »nur nicht genau das, was man sich vorstellt. Ich bin gerade ganz in der Nähe«, fügte er hinzu und zeigte zu einer benachbarten Halle.
Erotic world, Welterotikmesse stand dort in rosa Buchstaben. In seinem amüsierten Blick mischten sich Ironie und leises Bedauern.
»Ja, genau, du hast es erfasst, ich mache Pornofilme.«
»Du bist Pornoschauspieler?«, fragte ich verblüfft.
»Nein, Regisseur, sogar ziemlich bekannt.«
Nach kurzem Schweigen war sein Lächeln wieder da.
»Ich freue mich, dich zu sehen, ich weiß nicht warum, aber ich freue mich wirklich.«
»Ich auch.«
»Und du hast dir die Politik ausgesucht. Ich habe dich ein paarmal im Fernsehen gesehen.«
Ja, ich hatte mir die Politik ausgesucht, eher hatte sie mich ausgesucht und kürzlich verstoßen, wie eine Mätresse, von der man genug hat. Clément Jacquier erinnerte mich daran, dass ich während der Schulzeit nichts mit Politik am Hut gehabt hatte. Damals interessierte ich mich weder für Politiker noch für ihre Karriere. Was interessierte mich dann? Nicht viel, ehrlich gesagt, um Mode kümmerte ich mich kaum, die Dresscodes der Gleichaltrigen ließen mich kalt. Auch die Musik verfolgte ich nur oberflächlich, egal, ob Pop, Rock oder Disco. Natürlich kannte ich die Hits, die wir im Radio hörten und die manchmal in Fernsehshows gespielt wurden, aber mehr nicht. Wenn ich heute eins dieser Lieder höre, versetzt es mich in die Vergangenheit, ohne bestimmte Erinnerungen wachzurufen, meistens weiß ich weder Titel noch Namen der Interpreten. Auch Film war für mich keine Leidenschaft wie bei Jacquier, der seine Hefte mit Fotos von Schauspielern und Regisseuren beklebte. Plötzlich fiel mir das Bild auf dem Einband seines Kalenders ein: das Schwarz-Weiß-Foto eines Mannes mit hartem Gesicht und rasiertem Schädel. Er trug eine Halskrause und Uniform. Jacquier hatte mir damals bestimmt gesagt, wer das war, aber ich hatte es vergessen, und traf den Mann mit der Halskrause erst Jahre später wieder, als ich im Fernsehen Die große Illusion von Jean Renoir sah: Erich von Stroheim.
Jacquard wusste, was er werden wollte, er sagte es jedem: »Ich werde Filmregisseur.« Er schien alles zu haben, was man dafür braucht. Aber so ist das Leben, manchmal gibt es bei allem Talent, aller Kompetenz und allem guten Willen eine Zugbrücke, die nicht herunterkommt, und so bleibt man vor der Mauer stehen. Erst ruft man, damit einen jemand hört, dann ruft man nicht mehr, man wird müde, verzichtet auf die Mauer und das Schloss, in dem sowieso niemand auf einen wartet, und geht zurück in den Wald.
So war es wohl diesem seltsamen Jungen ergangen, der Ende der siebziger Jahre vor dem Gesicht eines Schauspielers träumte, den nur seine Großeltern gekannt haben konnten. Vielleicht waren die Kultur und die Träume aus einer anderen Zeit eines Tages zu schwer zu tragen gewesen. Er hatte das Gepäck abgeworfen und Tabula rasa gemacht mit allem, was sein geheimer Garten gewesen war und kein öffentlicher Park werden konnte, der dem Zuschauerstrom offenstand. Bestimmt hatte er sich im »traditionellen« Film versucht, viele Seiten mit Drehbüchern vollgeschrieben und vergesslichen Produzenten oder desinteressierten Redakteuren Geschichten angeboten. Ja, sicher hatte er ohne Kompass, bei Nacht und Nebel, abseits der markierten Straßen und Wanderpfade seinen Weg gesucht und allmählich eingesehen, dass die Filme, die er in sich trug, nie woanders laufen würden als in seinem Kopf. Auf diesem Territorium der Irrwege und der verschlungenen Spuren hatte ihn wohl eines Tages ein etwas leichter passierbarer Pfad auf die Lichtung der Filme geführt, die für Minderjährige verboten sind.
Ich hatte mich nie im Wald verloren, hatte nie vor einer Mauer gerufen. Ich hatte zufällig dagestanden, die Zugbrücke hatte sich gesenkt, und ich hatte den großen Derk als ergebener Vasall in das Schloss begleitet. Dann war die Zugbrücke wieder hochgegangen, und ich war nie mehr herausgekommen. In Clément hatte ein Feuer gebrannt. In mir nicht. Ich ging mit den Händen in den Taschen der Zukunft entgegen, während er in Bergen von Büchern über die siebte Kunst, den Kopf voller Zitate und mit dem Gesicht Erich von Stroheims auf seinem Kalender das Abenteuer suchte. Im Gegensatz zu ihm hatte ich meine Zukunft nicht voller Energie und mit tausend Plänen erwartet, nein, ich wartete geduldig, wie die stillen Reisenden im Transit in den Abflughallen, mit denen man niemals spricht, von denen man nichts weiß und deren Gesichter man nach der Landung und dem Gepäckabholen sofort vergisst. Wer von uns hatte es besser getroffen? Ich hatte Mühe, das zu entscheiden.
»Kommst du auf einen Kaffee an meinen Stand?«
Ich zögerte kurz, ein seltsames Schamgefühl packte mich: François Heurtevent bei der Pornomesse? Und wenn mich jemand erkannte? Wie stand ich dann da? Sogleich schob ich die Frage beiseite: Sollte mich jemand erkennen, wäre er ein Besucher wie ich, das stellte den Zähler auf null. Vielleicht würden mich die Parteifreunde suchen, aber mein Stimmverlust erklärte den diskreten Abgang.
Auf dem Weg zum Eingang der großen Halle grüßte ein junger Mann in Freizeitkleidung, der eine Angel mit Mikrophon und ein großes Aufnahmegerät vor dem Bauch trug, meinen Begleiter mit einem Augenzwinkern und sagte: »Wir sehen uns später, François.«
»Komm an meinen Stand, der Produzent wird da sein«, antwortete Clément.
»Er hat dich François genannt«, sagte ich, als wir weitergingen.
»Ja, das ist mein Pseudonym, François Truffix.«
»Wie bitte?«
»François Truffix, als Würdigung an Truffaut, mit dem »X« für Porno. Bei uns hat man oft Pseudonyme, die sich an große Regisseure anlehnen. Es gibt Stan Lubrick, für Stanley Kubrick, Fred Coppula für Francis Ford Coppola. Das da ist Rollando Bertolutschi.«
Er zeigte mir einen Mann in weißer Windjacke mit einem roten Basecap auf dem Kopf, der eine Zigarette rauchte.
»Ist das ein Scherz?«
»Keineswegs. Wir gehen mal kurz bei ihm vorbei.«
»Hallo, François, ich warte auf Gwendy für die Show, aber ich weiß nicht, wo die blöde Ziege abgeblieben ist«, begrüßte er uns.
»Das ist François Heurtevent, ein Klassenkamerad. Er glaubt mir nicht, dass du Rollando Bertolutschi heißt.«
»Doch, das ist mein Deckname, aber Sie können mich Claude nennen«, sagte er und drückte mir die Hand.
»Na endlich! Seit zwei Stunden warte ich auf dich für die Vorbesprechung«, rief er gleich darauf.
Ich drehte mich um. Vor mir stand ein riesiges blondes Mädchen auf Rollschuhen und in neonrosa Minirock. Aus dem winzigen goldenen Hemdchen quoll ein offensichtlich künstlicher Busen.
»Ja, ich weiß«, antwortete sie kaugummikauend, »aber ich wollte Cynthia sehen, wir treffen uns nicht mehr, seit sie bei Private ist. Sind Sie mein Partner?«
»Nicht doch«, sagte Clément. »François ist ein Klassenkamerad von mir, er wird nicht mit dir drehen.«
»Schade, Sie sind goldig. Der Anzug steht Ihnen gut«, sagte sie und zupfte an meiner Gucci-Krawatte. »Ich liebe Männer, die Klasse haben, mit dem Look von Bankern oder Politikern, der Wall-Street-Typ. Meinem Kerl stehen Anzüge nicht, er sieht darin aus wie ein Clown. Er trägt nur T-Shirts und Baggie-Hosen, Ihnen würden Baggies nicht stehen.«
»Nein, da haben Sie sicher recht«, sagte ich, ohne den Blick von ihren mit Paillettenglanz lackierten Nägeln lösen zu können, die sich endlich entschlossen, meine Krawatte loszulassen.
Damit endete die Unterhaltung, weil Rollando Bertolutschi ihre Show besprechen wollte und Gwendy ihn lange genug hatte warten lassen. Beide gingen vor uns her, und ich verlor sie in den Gängen aus den Augen.
»Willkommen in meiner Welt«, sagte Jacquier lächelnd.
Ich spürte, dass er mir bei diesem Satz gern auf den Rücken geklopft hätte, sich aber nicht traute.
Die