INTERMEZZI. Clara Claas

INTERMEZZI - Clara Claas


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elfenbeinfarbene Taste am Radio.

      Sowie das magische Auge aufleuchtete, horchte sie gespannt, was der Sender zu bieten hatte. Mal gab es ein Worthörspiel, andernfalls ließ sich von einer klangvollen Nachtmusik berieseln.

      Die Mutter hatte ihren langen Arbeitstag gut durchdacht, zudem wollte sie ihr kleines Mädchen, selbst beim Verrichten der Näharbeiten, um sich herum haben.

      Auf dem Holzfußboden legte sie eine alte graue Decke und kurzerhand, verwandelte sich diese, in einen Spielplatz.

      Tageslicht und Sonnenstrahlen fanden den Weg durchs Fenster, schenkten dem spielenden Kind Helligkeit und Wärme.

      Trat die Mutter das Pedal der Nähmaschine, führte mit beiden Händen das Tuch unter den Nähfuß, verursachte das Zusammenspiel von Nadel, Faden und Stoff, ein ratterndes Nähgeräusch, im Wechsel von schnell auf langsam.

      Diese Arbeitsmelodie begleitete Bella beim Spielen, wenn sie mit ihrer Stoffpuppe laut babbelte, die roten, grünen und braunen Bauklötze zu einem schiefen Turm stapelte oder fantasievoll malte und wieder einmal krumme Häuser mit bunten Bäumen, in den Himmel wachsen ließ.

      Die Kundinnen sorgten für Abwechselung und brachten mitunter was Leckeres mit. Mal bekam Bella ein Schokotäfelchen, mal ein Tütchen Gummibären, mal einen Lutscher oder frisch gebackene Plätzchen, die allemal für Mutter und Kind reichten. Zu guter Letzt tätschelten sie ihr die rosigen Bäckchen und strichen gutherzig über's schwarze Haar.

      Mitunter reichte das Geld kaum und die Mutter verzichtete manches Mal auf einen Kinobesuch, ein Paar Schuhe, oder auf ein Stück Fleisch. Zuallererst sorgte sie für das geliebte Kind.

      Bella wuchs heran und entwickelte sich zu einer wohlerzogenen und guten Schülerin. Jeder der sie kannte, mochte sie, wie auch das geführte Leben mit der Mutter in friedlicher Eintracht verlief.

      Allerdings verhielt sie sich hin und wieder uneinsichtig, wollte nicht verstehen, weshalb es keinen Vater gab, einen der für die Familie das Geld verdiente, für sie da war und am Wochenende mit ihnen Ausflüge unternahm. In ihrer kindlichen Vorstellung, gehörte zu einer richtigen Familie, auch ein richtiger Vater. Bella hatte ganz spezielle Vorstellungskräfte und hielt an ihrem idealisierten Vaterbild fest.

      Die Mutter konnte es nur bedingt näherbringen, kannte weder seine Familie noch sein Zuhause, kannte nicht einmal den Namen vom kleinen Fischerdorf im weit entfernten Kalabrien.

      Woran sie sich erinnerte, erzählte sie, erzählte, wie sie den lebensfrohen Lorenzo hat kennengelernt, dass er ihre erste Liebe war, gestand ihren großen Abschiedsschmerz und betonte, dass sie das Wichtigste von ihm bekommen hätte, das große Geschenk der Liebe, mit dem schönen Namen Bella Marie.

      Davon ab fehlte dem Vater jedwede Kenntnis über eine Tochter in Deutschland und Bella fehlte die Gewissheit, ob der Vater noch leben würde. Der Wunsch, ihn in der Ferne ausfindig zu machen, beschäftigte sie immerzu.

      Sie wollte endlich nachvollziehen können, wie er lebt, Ähnlichkeiten zwischen Vater und Tochter erkennen können, erfahren, welche genetischen Erbanlagen er weitergegeben hatte.

      Ihr Wunschdenken konnte nur reifen.

      Viele Jahre zogen ins Land und eine tiefe Traurigkeit überschattete den Verlauf.

      Nach langer Krankheit war die Mutter sehr geschwächt und benötigte Bellas Hilfe. Sie hatte einen letzten Wunsch, Bella möge bald nach Italien reisen und Lorenzo ausfindig machen, um ihn endlich kennenzulernen, ihm aus ihrem Leben zu erzählen, offenbaren, dass die Mutter ihn nicht vergessen konnte.

      Bella umsorgte die Mutter und gab jenes zurück, was sie einst empfing, Liebe und Geduld.

      Noch immer hält Bella das alte Foto in der Hand. Ihre lange Reise ins Gestern endet hier. Zurückgekehrt holt sie nach, was bis jetzt nicht machbar war.

      Sie besucht die Abendschule um die Sprache des Vaters zu lernen, beantragt beim Arbeitgeber ihren gesamten Jahresurlaub, bucht den Flug nach Lamezia Terme, und erfüllt sich endlich den Lebenstraum, der schon lange in ihrem Herzen wohnt.

      Ihre Zeit ist gekommen.

      Am ersten Ziel, dem Landeflughafen Kalabriens, übernimmt sie mit ihren frischen Sprachkenntnissen einen Mietwagen.

      Bella fährt die nördliche Küstenroute am Tyrrhenischen Meer entlang, immer weiter, in Richtung Stiefelspitze. Voller Zuversicht besucht sie unterwegs verschiedene Ämter der Regionen. Mit dem Wenigen was sie weiß, recherchiert sie beharrlich.

      Auf der Reiseroute besucht sie die 'Küste der Götter' mit ihren geschichtsträchtigen Monumenten, erkundet den felsigen Landstrich, die naturbelassene Berglandschaft mit malerischen Gebirgsdörfern, genießt den wunderschönen Ausblick auf Klippen und Buchten, wird überwältigt vom atemberauschen Blick auf das blaue Meer. Nimmermüde versucht sie ins Gespräch, zu kommen, verkostest in den familiären Trattorien die regionalen Spezialitäten mit ihren unverwechselbaren Aromenpielen, entdeckt die Schönheit des Landes, in dem der Vater das Licht der Welt erblickte.

      Die stimmungsvollen Augenblicke weisen den Weg, lassen aufatmen und schenken ein Stück Seelenfrieden. Zugleich rückt das Ziel immer näher.

      Alles braucht wieder einmal seine Zeit.

      Die italienische Reise nimmt ihren Lauf.

      Das alte Foto trägt Bella nah am Herzen, die unvergängliche Melodie hat sie im Ohr.

      Leise summt sie vor sich hin:

      „Bella, bella, bella Marie, vergiss mich nie.“

      Nicht schon wieder …

      Hanna zuckt zusammen.

      Das spleenige Signal vom Telefon kommt jetzt ungelegen.

      Irgendwie klingt das langgezogene Tuten vom Schiffshorn wie auch das Geschrei der Seevögel, in ihrer kleinen Wohnung skurril. Andererseits weckt der geschätzte Sound ihre Sehnsüchte, vermittelt Lust auf Wind und Wellen, schwebende Algen, schwappendes Wasser am steinigen Uferrand, wie auch angeschwemmte Muscheln allüberall. Für Sekunden vermittelt er, der weitentfernten Küste so nahe zu sein.

      Wie auch immer, Hanna liebt die See.

      Wenn ihre Zeit es nicht zuließ, dort oben zu verweilen, wollte sie wenigstens fernab, ein Gefühl zur Nähe bekommen. Die eindrucksvollen Klänge holte sie sich einfach nach Hause. Ein kostenloser Download lieferte den richtigen Ton.

      Für heute hat sie den hektischen Arbeitstag abgehakt.

      Das Abendessen verströmt einen appetitanregenden Duft, und das bequeme Sofa mit Kuscheldecke, lädt zum trägen Blick in die Fernsehwelt ein. Heute erwartet sie niemanden mehr, auch nicht per Telefon. Genau deshalb nervt das tutende Signal, das lautstark durchs Zimmer dröhnt und seine magische Kraft in der Wiederholung ausübt.

      Hanna kann sich auf ihr feines Gespür verlassen, wer um diese Uhrzeit, am anderen Ende der Leitung sein könnte.

      Erst Vorgestern liefen sie sich zufällig unter den Arkaden in die Arme. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel stand Lutz nach wochenlangem Abtauchen vor ihr.

      Hanna fiel sofort auf, dass er sich verändert hatte. Er sah angegriffen aus, ihm fehlte die charakteristische Dynamik sowie das elegante Outfit.

      Dessen ungeachtet geriet er wie immer ins Schwärmen. Er schmeichelte, erwähnte, es sei zu lange her, dass sie sich gesehen hätten. Stets berührte er beim Sprechen ihren Arm, tätschelte ihre Hand, als wolle er besänftigen. Kurzerhand lud er sie zum Italiener ein.

      Hanna überkam einmal mehr dieses unbeherrschbare Herzrasen.

      Gleichwohl nahm sie gegen jedwede Vernunft, seine Einladung an.

      Am Tisch redeten sie viel, viel belangloses Zeug und plauderten um den heißen Brei herum. Beide mieden indiskrete Fragen, wühlten nicht in alten Zeiten, Zeiten ihrer glücklichen Gemeinsamkeit.

      Nach dem Digestif bezahlte Lutz die Rechnung und wie immer erhielt die Kellnerin ein großzügiges Trinkgeld.

      Zum


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