INTERMEZZI. Clara Claas
schon wieder, hätte sie am liebsten hinausgeschrien, stattdessen begnügte sie sich mit einem tiefen Seufzer, der sich im Stadtrummel verlor.
Einmal mehr hatte sie sich inkonsequent gezeigt, einmal mehr sich manipulieren lassen, einmal mehr war es zu spät.
Unterwegs fehlte ihr jeglicher Blick für die Auslagen in den Schaufenstern, und sie verzichtete auf den eigentlichen Grund des Stadtbesuches.
Wieder einmal hatte Lutz es geschafft und dazu, ihre Energie geraubt. Professionell erkannte er die schwachen Seiten seines Gegenübers und machte sie sich zunutze, indem er einen charmanten Joker aus dem Ärmel zog und zielsicher einsetzte.
Gefühlt hatte es Hanna zum hundertsten Mal getroffen.
Zu Hause angekommen, muss sie erst einmal runterkommen und schüttet sich ein Glas Wein ein.
Mit jedem Schluck mehr lässt sie zu, dass die visuelle Macht ihre bunten Bilder in ein kleines Intermezzo verwandelten.
Damals kamen Beide im Alleingang und lernten sich auf einer Geburtstagsparty kennen.
Hanna machte mit ihrem unbekümmerten Lachen, Lutz neugierig, und wie ein Blitz aus heiterem Himmel traf 'Amors Pfeil' ihre Herzen.
Spät in der Nacht gab es tiefe Blicke, heiße Küsse, die nach mehr verlangten, als auch Fangarme, die sich fest um ihren Körper schlangen. Es schien, als könne nichts auf der Welt jemals trennen.
Lutz konnte als Referendar in einer renommierten Anwaltskanzlei praktizieren, legte dann die zweite Staatsprüfung ab, bestand sein Examen, mit dem Privileg, in der Kanzlei fest eingestellt zu werden.
Ein untadeliger Ruf ging ihm voraus, der Start ins anspruchsvolle Berufsleben war ihm gelungen.
Die Mandanten mochten seine elegante Art wie auch seinen professionellen Elan, angetragene Rechtsfälle forderten ihn und zeitweilig wuchs er über sich hinaus.
Für seine Klienten fand er erfolgreiche sowie zufriedenstellende Lösungen. Dabei vergaß er Zeit und Raum, mitunter auch Hanna, die zu Hause auf ihn wartete.
Lutz hatte Erfolg, schaffte den Karrieresprung und veränderte sich zusehends, ließ Hanna an seinem erfolgreichen Leben kaum teilhaben, vernachlässigte nicht nur sie, sondern auch die Freunde.
Hanna war stolz auf seinen beruflichen Aufstieg, übte Nachsicht und konzentrierte sich auf ihren Job.
Sie wog sich in Sicherheit, Lutz gehörte ihr.
Er war in den besten Jahren, und wurde getrieben vom frühen Erfolg, konnte allerdings keinerlei Gegengewicht bilden.
Seine Karriere stieg im zu Kopf, ebenso die Tochter des Hauses, die stets auf sich aufmerksam machte und alles gab, um ihre weibliche Raffinesse gezielt ins Spiel zu bringen. Sie hatte Glück.
Lutz verließ Hanna, und heiratete die Tochter seines Chefs.
Hanna zerbrach beinahe, stand plötzlich im Abseits und hatte verloren.
Entgegen jedweder Erwartung stand er wenige Monate später wieder vor ihrer Tür. Hanna ließ ihn herein.
Sie zeigte sich wie eh und je empfänglich, seine Herangehensweise war wie immer verführerisch. Es folgten heimliche Liebesstunden ohne Grenzen.
Lutz hatte realisiert, dass er ohne Hanna nicht glücklich sein konnte. Hanna gab die Hoffnung nicht auf, dass er eines Tages vollends zu ihr zurückkehren würde.
Sie durchlebten das Auf und Ab einer Besessenheit, versuchten des Öfteren, dieses unwürdige Spiel zu beenden. Das beiderseitige Begehren blieb ungebrochen.
Die letzte, zugleich auch längste Auszeit, währte drei Monate und zwei Tage.
Der Anrufer vorhin, hatte wohl nur pausiert, denn erneut dröhnt das Schiffshorn. Hanna gibt nach und nimmt unwillig den Anruf entgegen.
„Hanna hier, guten Abend.“
„Hallo meine Liebe, ich bin es. Hättest du Zeit, könnte ich zu dir kommen?“
„Ja, du kannst kommen.“
Jene Anrufe mit jener Stimme, gleichlautend in der Wortwahl, beständig in der Zeit, zählte sie schon lange nicht mehr.
Diese Penetranz hatte über eine langlebige Zerreißprobe gesiegt. Summa summarum eine irre Zahl, wie auch eine wahnwitzige Spieldauer.
Mit ebendieser aufflammenden Eingebung knallt sie ungehalten den Hörer auf den Tisch und sekundenschnell trifft sie eine radikale Entscheidung.
Genug ist genug.
Diese jahrelangen Zwischenspiele vermittelten ihr kein gutes wie auch ein wirklich sicheres Lebensgefühl.
Bizarre Gedanken schießen ungehemmt durch ihren Kopf.
Nach der letzten Begegnung gab es keinen Zweifel, dass er sich zeitnah wieder melden würde. Er beabsichtigte, mit ihr zu essen, suchte Nähe, wollte körperliche Wärme und Zärtlichkeiten ausschöpfen.
Es reichte.
Das Fantasiebild von einem Kraken-Mann musste sie nun endgültig auslöschen.
Die langen Fangarme durften sich nicht mehr um ihren Körper winden, ihr den Atem rauben und jedwede Freiheit blockieren.
Erfüllt von jener aufgewühlten Erkenntnis, folgt sie erst einmal dem typischen Rosmarin Duft aus der Küche. Kartoffelgratin mit Gemüse, dazu geschmortes Weidelamm, dufteten vielversprechend und ließen ein ungehemmtes Hungergefühl aufkommen.
Eigentlich sollte das Essen für zwei Tage reichen. Von daher stellt sie etwas lieblos ein weiteres Gedeck auf den Tisch und just in dieser Sekunde klingelt es zweimal kurz, einmal lang in Folge.
Das prüfende Auge rundum sowie der flüchtige Check im Garderobenspiegel, verleihen ihr ein souveränes Stehvermögen.
Sie öffnet die Tür. Tatsächlich fühlt sich das Herunterdrücken der Klinke anders an, etwas fehlt.
Es fehlt das sekundenschnelle Herzrasen. „Hanna meine Liebe, ich kann mein Glück noch gar nicht fassen. Wie schön, dass ich kommen durfte“,
schwärmt er gutgesinnt, verteilt wie immer seine Wangenküsschen links, rechts, links und schreitet ungeniert hinein.
Am Entree hatte sich nichts geändert.
Hanna schmunzelt über die Gepflogenheit, wird abermals beseelt und für Sekunden wird ihr Körper von einer warmen Welle durchströmt.
Doch dieses Mal steigert sie sich nicht, wehrt jedwede aufkeimenden Gefühle ab, will daran festhalten, was sie sich soeben vorgenommen hatte.
„Komm, setz dich, sonst wird noch alles kalt“,
fordert sie ihn auf und wie immer liegt der Korkenzieher griffbereit, und wie immer stellt er einen exzellenten Jahrgangswein auf den Tisch.
Einmal mehr sitzt er bei ihr.
Sie schaut ihn nachdenklich an.
Was hatten die Jahre nur aus ihm gemacht?
Er verkörpert Eigenliebe und Blasiertheit, darüber hinaus praktiziert er Wohlstand mit anhaltender Präsenz, auf der Erfolgsbühne.
Ungeachtet dessen schmeckt das Lammgericht köstlich und der Wein mundet.
Mit dem letzten Schluck ergreift Lutz das Wort. Kurz räuspert er sich und trägt glaubhaft vor, dass er mit zunehmendem Alter klüger geworden sei, spricht zum ersten Mal über sein schlechtes Gewissen ihr gegenüber, erwähnt die unerfüllten Ehejahre mit der Anderen, und jammert sodann dem fehlenden Glücklichsein hinterher.
Auch jetzt zieht er einen Joker aus dem Ärmel, lässt sich von Hannas Gleichgültigkeit nicht irritieren und hält sein Plädoyer. Viel zu spät sei ihm bewusst geworden, dass nur sie seine wahre Liebe sei, Erfolg, Anerkennung wie auch Geld, nicht immer an erster Stelle hätten stehen dürfen.
Sodann erhebt er sich.
Formvollendet