INTERMEZZI. Clara Claas
bleibt gelassen.
Was er von sich gab, berührt sie nicht.
Bis dato war dieses Traumziel unerreichbar, jetzt ist es greifbar, jetzt ist es zu spät. Emotionslos, kurz und bündig antwortet sie, dass ihre Liebe abgelaufen sei, einem alten sowie müdem Uhrwerk gleichkäme und sie das Pendel anhalten wolle.
Lutz ist fassungslos. Auf dieses radikale Schlusswort war er nicht vorbereitet.
Plötzlich ringt er nach Luft, fasst an seine linke Brustseite versucht, sich abzustützen und sinkt zusammen.
Hanna reagiert intuitiv.
Sie kann ihn gerade noch auffangen und lässt ihn sanft zu Boden gleiten.
Sogleich ruft sie den Notarzt.
Im Rettungswagen sitzt sie an seiner Seite. Ohne Unterlass schaut sie ihn an und noch einmal spult ihre Kopfgeburt ab.
Wieder mal sieht sie in Lutz den Kraken-Mann, sieht die vielen Gemeinsamkeiten mit dem Meeresbewohner.
Beide Lebewesen existieren, sind Spezies, verfügen über unterschiedlich intelligente Fähigkeiten, können tarnen und täuschen, und besitzen jeweils zwei Augen mit Scharfblick. Sie haben gefühlt zahlreiche Fangarme.
Augenblicklich liegt einer von ihnen hilflos auf der Krankentrage.
Sie übergibt Lutz in die Obhut der Ärzte.
Wieder zu Hause angekommen, wundert Hanna sich über ihre spürbare Gelassenheit. Dann durchzuckt es sie doch noch einmal, das Signal vom Schiffshorn schallt durchs Zimmer.
Zögerlich nimmt sie den Anruf entgegen.
Am anderen Ende der Leitung ist Mona.
„Hallo Hanna, könnten wir uns morgen beim Griechen treffen, ein Weinchen trinken und eine leckere Kleinigkeit essen?“
„Gute Idee, ich komme, bin um neunzehn Uhr dort!“
Alexandros, der alte Grieche, empfängt wie immer die Frauen persönlich und stellt zur Begrüßung einen Ouzo auf den Tisch.
Hanna schaut erst gar nicht in die Speisekarte, bestellt alsdann den Hauswein mit gegrilltem Oktopus.
Der Tintenfisch wird zubereitet, derweil die Frauen eine kleine Mundfreude aus der Küche vernaschen. Hanna süffelt dazu den gut temperierten Weißwein, und mit einem diskreten Wink zur Theke bestellt sie eine weitere Karaffe.
Es ist so weit, das Hauptgericht, der Oktopus, wird serviert. Er sieht köstlich aus, liegt dekorativ auf dem ovalen Teller und verströmt den typisch mediterranen Duft.
Begleitet vom Wohlgeruch, wie auch einer lustbetonten Vorfreude, beäugt Hanna das Objekt ihrer Begierde von allen Seiten.
Alsdann greift sie zum Besteck.
Das Messer ist scharf.
Schnitt für Schnitt, Stückchen für Stückchen, befreit sie in aller Konsequenz, den Kraken von seinen Fangarmen.
Sie zelebriert die Trennung, kaut genussvoll seine Körperchen und trinkt jeweils ein Schlückchen Wein dazu.
Die Befürchtung, sie könne nicht alles schaffen, wirft sie mit jedem weiteren Schluck über Bord.
Sollte etwas überbleiben, würde sie es an eine umherstreunende Katze verfüttern. Wie es auch sei, unerwartet überkommt es sie.
Für den Bruchteil einer Sekunde verliert sie die Contenance und ihr entfleucht ein hörbares Rülpsen.
Merklich erschrocken über jene akustische Bejahung einer lustvollen Gaumenfreude, bestellt sie sofort einen doppelten Ouzo.
Mona schüttelt den Kopf, versteht die übertriebene Art der Freundin nicht, packt sie ins Auto, um sie sicher zu Hause abzusetzen.
Daheim verspürt Hanna eine ungewohnte Freiheit, fühlt sich wie aufgedreht, und beherzigt einmal mehr den viel zu späten Entschluss, zum alternativlosen Nein.
Ungeachtet der späten Stunde meldet sie sich im Netzwerk an und nimmt sofort eine akustische Veränderung vor.
Das alte Telefon bekommt einen neuen Klingelton.
Der angeklickte Sound, ein flotter Jazz, frisch, verträumt mit positiver Klangfarbe, wird sie von nun an ohrenfällig begleiten.
Streublümchen
Es war einmal ein lauschiger Sommertag, friedvoll wie im Bilderbuch.
Die Sonne lachte, fleißige Bienen summten, Schmetterlinge huschten von Blüte zu Blüte, Vöglein sangen Lieder, selbst die Himmlische Kulisse versteckte ihre dunklen Vorboten, ergo, es gab nichts, was die Stimmung hätte trüben können. Zugegeben, so trivial trug es sich nicht zu. Von allem etwas, genügte, brachte Wohlbehagen und ein trauliches Miteinander.
Diese Szenerie spielte sich ab auf einer kleinen Freilichtbühne in einem Garten, im Schrebergarten der Frieda.
Ich erinnere mich zuweilen an Frieda, habe ihre unverkennbar spröde Stimme im Ohr, sehe klare jedoch freudlos dreinschauende Augen, abgearbeitete Hände, geschmückt, mit unzähligen Altersflecken. Damals waren wir Jung und Alt, verweilten mit dem Kaffeepott in der Hand auf einer Holzbank, vor ihrer Gartenlaube.
Die Junge sah auf die haltende Hand der Alten, sah das leichte Zittern. Die Alte spürte den Blick und nahm schnell die zweite Hand hinzu.
Lang, lang ist's her, unsere erste zweckgerichtete Unterhaltung.
Frieda wohnte in meiner Nachbarschaft, und wie das so ist, man sieht sich hin und wieder auf der Straße. Eines Tages hörte ich draußen einen lauten Knall. Er machte mich neugierig. Ich sah Frieda, die verunsichert neben ihrem fahrbaren Untersatz stand und das Malheur nicht begriff. Das nicht mehr jungfräuliche Moped, hatte mal eben mit einer Fehlzündung aufgemuckt und verweigerte den Start.
In jungen Jahren fuhr ich auch so ein Töfftöff und kannte mich ein bisschen aus. Zumindest meinte ich das, aber wirklich helfen konnte ich nicht.
Demzufolge beschlossen wir, das Moped gemeinsam zur nächsten Tankstelle, zu schieben, um einen Profi an's Werk zu lassen. Zum Dank lud sie mich in ihren Garten ein, durfte ein paar Früchte und Gewürze ernten und nahm eine schöne dunkelrote Rose mit nach Hause.
Danach saßen wir öfter zusammen.
Es kam recht selten vor, dass Frieda aus ihrem Leben erzählte.
Sie war der Meinung, es sei unnütz, da eine Reise in längst vergangene Zeiten unabänderlich sei.
Jedoch ihr Lieblingsplatz und wärmende Sonne, öffneten bisweilen trotzdem ihr Herz.
Ohne schmückendes Beiwerk verriet sie, was auch immer sie für nötig hielt.
Es hörte sich weder romantisch an, noch klang es dramatisch.
Frieda berichtete über ihre Mädchenjahre recht wenig, nur, dass sie eine freudlose Kindheit hatte, arbeitsam und lieblos erzogen wurde.
Gute Freunde hatte sie nicht.
Sie war und blieb eine Einzelgängerin.
Ich hörte heraus, dass sie in jungen Jahren weder hübsch noch hässlich aussah, temperamentlos, und ohne konkrete Zielvorstellung durchs Leben ging.
Daran änderte sich wenig.
Einmal verlor sie sich in einer sexuellen Begegnung, wurde schwanger und brachte ein gesundes Kind zur Welt.
Sie zeigte zum ersten Mal Entschlossenheit, entschied sich gegen den Erzeuger, arbeitete und sorgte für einen geregelten Tagesablauf. Frieda handelte gewissenhaft und kümmerte sich so gut wie möglich.
Eine warmherzige Mutter-Kind-Beziehung pflegte sie dagegen nicht, denn was sie nicht gelebt oder gelernt hatte, konnte sie nur mühsam umsetzen. Der Sohn lebt mit seiner Familie im Ausland. An Geburtstagen wie auch zu Weihnachten telefonierten sie und wie so oft, versprach er der Mutter, sie bald zu besuchen.
Es blieb dabei.