Der Dozent. Stefan Meier
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Stefan Meier
Der Dozent
Thriller
Copyright: © 2020 Stefan Meier
Umschlag & Satz: Erik Kinting – www.buchlektorat.net
Titelfoto: Steve Halama on Unsplash
Verlag und Druck:
tredition GmbH
Halenreie 40-44
22359 Hamburg
978-3-347-04903-1 (Paperback)
978-3-347-04904-8 (Hardcover)
978-3-347-04905-5 (e-Book)
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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Mein herzlicher Dank gilt meinen Freunden
Hanne Dombert,
Astrid Lörincz,
Max Busch
und
Max Hanisch,
die mich während des Schreibprozesses und der
Überarbeitung dieses Buches unterstützt haben.
Vielen, vielen Dank –
ohne euch wäre das alles nicht möglich gewesen!
1
Juliane stand von ihrem Sofa auf und trat ans Fenster. Bisher war es ein ruhiger Morgen in der Flensburger Innenstadt gewesen, doch damit war nun Schluss. Unten in der Fußgängerzone konnte sie auch die Quelle der Unruhe ausmachen. Eine Gruppe von Straßenmusikanten hatte Schlagzeuge und Xylophone aufgebaut und spielte wieder einmal ihre Version von He’s a pirate aus der bekannten Filmreihe Fluch der Karibik. Im Film sorgt dieses Stück für Energie und Dynamik, aber bei den Straßenmusikanten klang es plump und monoton. Vielleicht war sie abgestumpft, denn schließlich musste sie das Stück jeden Samstag hören. Mehrere Male am Tag. Seit Beginn des Frühlings. Mittlerweile war es Mitte Oktober und sie musste nur noch ein paar Wochenenden durchhalten. Dann würde es zu kalt für die Straßenmusikanten werden und man hätte bis mindestens Anfang März seine Ruhe, doch bis dahin musste sie diese Lärmbelästigung ertragen und in diesem Moment war sie vor allem eins – genervt.
Ihr Blick schweifte umher. Eine Gruppe von Passanten applaudierte den Musikern, die gerade ihr Stück vollendet hatten. „Toll“, seufzte sie, „bestärkt die bloß noch weiter.“ Nun würden sie zwei andere Stücke aus ihrem Repertoire spielen und dann würde wieder alles von vorne beginnen. Wenn sie sich aus dem Fenster ihrer Wohnung im zweiten Stock lehnte, dann konnte sie auf der linken Seite den Südermarkt und die St. Nikolaikirche erkennen. Die wenigen Bäume, die sie sehen konnte, hatten bereits ihr Laubkleid abgeworfen. Vor dem Imbiss hatten sich schon die ersten Bettler versammelt und mit einem Bier auf den Tag angestoßen. Die Fußgängerzone war voll mit Menschen, die sich aneinander vorbeidrängten und in die Geschäfte zwängten, von denen sich nur wenige ein halbes Jahr halten konnten, dann pleitegingen und Platz für neue Läden machten. Der Himmel über Flensburg hatte bereits das typische Grau angenommen und der Wind wurde ein wenig frischer. Dieses Wetter drückte aus, dass es plötzlich regnen könnte, aber dessen war man sich nie sicher. Fast jeder Flensburger war sich dieses Phänomens bewusst und besaß daher eine Regenjacke samt Regenhose. Ein Regenschirm brachte nichts, denn der Wind würde jeden Schirm binnen kürzester Zeit kaputt machen. Diejenigen, die bei Regen mit Schirm durch die Innenstadt liefen, waren entweder Touristen oder Studierende der örtlichen Pädagogischen Hochschule, die gerade in ihrem ersten Semester waren und es noch nicht besser wussten. „Der Regen kommt in Flensburg nicht von oben, sondern von der Seite.“ Dieser Satz war jedem Studierenden bekannt, denn die Präsidentin der Hochschule sagte ihn bei der Begrüßung der Erstsemester jedes Jahr aufs Neue und wedelte dabei mit ihren kurzen Ärmchen. Mit dieser Bewegung erinnerte sie an einen T-Rex, der beim Bowling Probleme hatte, nach der Kugel zu greifen. Juliane konnte sich das Grinsen nicht verkneifen. Sie wandte sich vom Fenster ab, zog die Gardinen zu und machte sich auf dem bequemen cremefarbenen IKEA Sofa breit.
Sie zückte das Handy und der Terminplaner verriet ihr, dass heute noch ein Gruppentreffen ausstand, um das Referat in Pädagogik im November zu planen. Sie war im siebten Bachelorsemester, studierte Germanistik und Geografie auf Lehramt und hatte die Regelstudienzeit von sechs Semestern bereits überschritten, aber mit ihren fünfundzwanzig Jahren machte sie sich noch keinen Stress. Ihr bleib noch alle Zeit der Welt …
Sie war ein Einzelkind und ihre Eltern finanzierten nicht nur ihr Studium, sondern ihr ganzes Leben. Das Geld floss monatlich auf ihr Konto. Für ihre Wohnung. Für Sprit und Versicherung ihres schwarzen, modernen VW Golfs, obwohl der Bus direkt von der Haustür zur Hochschule fuhr. Für neue Klamotten, für Kinobesuche, für Partys samt Alkohol und natürlich – niemand konnte schließlich von ihr erwarten, selbst zu kochen – für Essen, das mindestens dreimal wöchentlich bestellt wurde. Während andere Studierende Bafög bezogen und mehrere Nebenjobs hatten, um sich über Wasser zu halten, konnte sie in Saus und Braus leben. Trotzdem hatte sie des Öfteren Streit mit ihrem Vater, denn die anderen wenigen Studierenden, die noch mehr Geld von ihrem Elternhaus bekamen, konnten nicht nur einmal, sondern gleich zweimal im Jahr in den Urlaub fahren. Bisher war ihr Vater der Meinung, dass tausend Euro im Monat ausreichend waren, doch Juliane war der festen Überzeugung, dass man sich mit hundert Euro pro Woche einfach nicht ordentlich verpflegen konnte und sie kurz davor war, am Hungertuch zu nagen. Sie würde ihn einfach weiternerven, bis er einlenkte. Das hatte schon vor zweieinhalb Jahren beim Auto funktioniert.
Der Gedanke an das Gruppentreffen und die Lärmbelästigung draußen hatten ihren Samstagmorgen, eigentlich war es schon kurz vor zwölf, ruiniert und sie ging gestresst in die Küche.
Sie öffnete den Kühlschrank, holte sich den Nordseekrabbensalat, den Serrano-Schinken und Mangosaft heraus, belegte die drei Scheiben Bio Dinkelbrot recht großzügig, ging zurück ins Zimmer und schaltete den Fernseher an. Es lief eine Sendung über Familien, in denen sowohl der Mann als auch die Frau Hartz 4 Empfänger waren und ihre ungepflegten Kinder erste Kontakte mit Drogen hatten. Der Drehbuchautor der Serie bediente somit alle geschmacklosen Klischees der Unterschicht. Die meisten Menschen verachteten diese Art von Sendungen, die Familien, auch wenn es sich um schlechte Schauspieler handelte, durch den Dreck zogen. Aber viele schauten sie dennoch, um sich geistig überlegen zu fühlen und ihr Selbstwertgefühl zu stärken – so auch Juliane. Während sie an ihren Broten nagte und der Fernseher im Hintergrund plärrte, klickte und scrollte sie sich gelangweilt durch Facebook, Instagram und Twitter und kommentierte die neuesten Partybilder von ihr und ihren Freunden. Mittlerweile war es Viertel nach zwölf und das Treffen war um halb zwei angesetzt.
Juliane drehte sich stöhnend auf dem Sofa um und stieß fast mit ihrem rechten Fuß den Saft vom Tisch. Das Sofa war einfach viel bequemer und sie hatte sich das Wochenende verdient! Die Lust auf Arbeit sank gen Null und die Gedanken an Duschen, Schminken, Sachenpacken und zum Treffen zu fahren, schlugen ihr auf das Gemüt und der Lärm von draußen machte es nicht besser. Sie zückte wieder ihr Handy und öffnete den Gruppenchat bei WhatsApp.
Hey Leute, begann sie, ich habe meine Tage und ganz schreckliche Krämpfe … Es folgten vier Emojis mit den gezackten Lippen und bedrücktem Gesichtsausdruck. Ich werde es nicht schaffen, so soooorry!!! Könnt ihr mich auf dem Laufenden halten? Es folgen wieder Smileys. Diesmal die mit den roten Bäckchen. Das wäre super lieb von euch. Sie widmete sich wieder dem Fernseher und überlegte, was sie mit dem neugewonnenen, freien Tag anstellen sollte, denn konkrete Pläne hatte sie noch keine. Nach einigen Minuten fing das