Baskische Tragödie. Alexander Oetker
Es war, als hätte der Polizist Luc gar nicht gehört.
»Drehen Sie sich um, und legen Sie die Hände auf das Autodach.«
»Ich …«
»Die Hände aufs Auto.«
Es war der Mann vorne am Wagen, der nun laut geworden war, er hatte seine Waffe gezogen und richtete sie auf Luc. Der Commissaire sah noch einmal hin, weil er es nicht glauben wollte, dann mahnte er sich wieder zur Ruhe, zuckte die Schultern, drehte sich um und legte die Hände auf das warme Dach seines Jaguars.
Was dann geschah, war merkwürdig. So merkwürdig, dass er sich später ärgerte, nicht genauer aufgepasst zu haben. Dieses Gefühl zu spüren, einmal auf der anderen Seite zu sein. Wie es war, wenn Polizistenhände einen packten, die eigenen Hände zusammennahmen, die metallene Kälte, wenn die Handschellen sich fest um die Handgelenke legten. Die anschließende Durchsuchung, grob und entwürdigend. Der Polizist zog triumphierend die Waffe aus dem Holster, das Luc unter der leichten Lederjacke trug.
»Na, was haben wir denn da?«
»Brigadier, wie ich schon sagte, ich bin …«
»Wir wissen, wer Sie sind.« Der Kollege des Hünen war um den Wagen herumgekommen und stand nun auch hinter ihm. »Wir wissen, dass Sie Luc Verlain sind, und deshalb nehmen wir Sie nun fest. Es gibt einen Haftbefehl auf Ihren Namen, Monsieur, wegen des Verdachts der schweren Körperverletzung mit Todesfolge, der Entführung und des Drogenhandels in gewerbsmäßigem Umfang.«
»Was? Was erzählen Sie denn da?«
Luc wollte herumfahren, doch die Hände des grobschlächtigen Polizisten hielten ihn fest.
»Schön ruhig, Monsieur, Sie wollen doch nicht, dass wir Zwangsmaßnahmen anwenden müssen. Sie kommen mit, der Commissaire général wird Sie verhören, er ist schon auf dem Weg.«
Er sagte kein Wort mehr, sie rissen ihn mit sich, öffneten die hintere Tür des Streifenwagens, ließen ihn einsteigen, indem sie seinen Kopf herunterdrückten, dann setzte sich der kleine Polizist neben ihn, während der Riese den Wagen startete und mit Blaulicht und Sirene anfuhr zurück in Richtung Biarritz. Luc fragte sich, wie der Commissaire général schon auf dem Weg sein konnte – sie hatten ihn doch eben erst erwischt. Verdammt, was war hier los? Wie konnten sie so schnell gewesen sein? Er war doch fast am Ziel.
Er sah den Jaguar, der am Straßenrand stand, in der Rückscheibe immer kleiner werden, bis er nach der nächsten Kurve aus seinem Blickfeld verschwand.
Mardi – Dienstag Jäger oder Gejagter?
Commissariat de Police, Biarritz Mardi 30 mai, 9:30
Luc legte den Kopf in den Nacken und übte sich darin, seine Atmung zu kontrollieren. Einatmen, ausatmen, immer wieder, dann den gleichen Vorgang wiederholen, die einzelnen Atemzüge verlängern, genau wie die Pause dazwischen. An nichts denken. An gar nichts.
Er schaffte es höchstens vier Sekunden, dann sprang seine Gedankenmaschine wieder an. Verdammt. Er schloss die Augen, weil er es nicht mehr ertrug, hier zu sein. In diesem Raum, der all den Räumen so sehr glich, in denen er schon Vernehmungen durchgeführt hatte.
Eine karge, fensterlose Zelle, in der sich nur ein schlichter Resopaltisch und zwei Stühle befanden. Die eigentlich obligatorische Spiegelwand fehlte hier. Dafür hing in der Mitte des Raumes eine kleine Kamera an der Decke. Sie beobachteten ihn, da war Luc sicher. Er bemühte sich wieder um Konzentration. Versuchte, die Gelassenheit, die ihn sonst auszeichnete, herbeizuzaubern. Aber das hier war anders. Ganz anders.
Sie waren wortlos mit ihm durch die Stadt gefahren, hatten sich immer wieder Blicke zugeworfen, die irgendwo zwischen wissend und finster lagen. Sie hatten das Blaulicht angeschaltet, sodass sie durch die kleinen Gassen rasen konnten, vorbei an der Markthalle, durch die Einkaufsstraße, dann waren sie kurz vor dem Casino nach rechts abgebogen. Das Commissariat war ein schlichter Zweckbau, ein weißes Ungetüm aus den Siebzigern. Sie hatten vor der Tür gehalten, dann hatten sie ihn in eine kleine Zelle im Untergeschoss geführt. Er hatte sich auf die Pritsche gelegt, irgendwann kamen sie mit Baguette und Tee. Er hatte nichts angerührt. Nach einer schlaflosen Nacht, in der fahles Licht durch das Souterrainfenster gefallen war, hatten sie ihn in diesen Raum gebracht. Es gab keine Uhr an der Wand, deswegen konnte er nur schätzen, wie lange schon. Zwei Stunden, mindestens. Möglicherweise drei. Weil es hier kein Tageslicht gab, wusste er nicht, wie spät es war. Vielleicht war gerade die schönste Stunde für das Petit Déjeuner. Merkwürdig, dass ihm jetzt dieser Gedanke kam. Ein Frühstück in Biarritz. Mit wem sonst als mit Anouk. Wo sie wohl war? Wie es ihr ging?
Vor zweieinhalb Tagen hatte er sie zuletzt gesehen. Es kam ihm vor wie zweieinhalb Jahre.
Gerade, als er sich ihr Gesicht vorstellte, öffnete sich die Tür zum Verhörraum. Es war keiner der beiden Polizisten. Ein anderer Mann trat ein und schloss die Tür hinter sich. Er trug eine Lederjacke und dunkle Jeans. Klein und drahtig war er, vielleicht Mitte, Ende vierzig. Er hatte hellblondes Haar, nein, es war fast weiß, und nun erst nahm Luc auch seine Augen wahr: blau und stechend, glasklar, wie bei einem Husky.
Der Mann sprach kein Wort zur Begrüßung, er ging schnurstracks auf den unbesetzten Stuhl zu und setzte sich darauf, ohne ein Geräusch zu machen. Dann betrachtete er Luc lange und stumm. Erst nach einer Minute sprach er, und seine Stimme war anders, als der Commissaire es erwartet hatte. Sie war hell. Hell und freundlich.
»Ich bin Commissaire Schneider, Chef der Police nationale im Département Pyrénées-Atlantique. Bonjour, Commissaire Verlain.«
Luc wusste, dass er den Namen des Mannes schon einmal gehört hatte – erst kürzlich hatte er mit jemandem über den raschen Aufstieg dieses Mannes gesprochen. Ein beinahe kometenhafter Aufstieg, der einen anderen die Karriere gekostet hatte.
»Bonjour, Commissaire Schneider. Es freut mich, dass wir uns endlich einmal kennenlernen. Auch wenn die Umstände … nun ja, etwas merkwürdig sind. Aber jetzt wird sich ja hoffentlich alles aufklären.«
Luc versuchte, seine Stimme zu kontrollieren. Doch immer wieder brach sie, was ihn ins Schwitzen brachte. So fühlte es sich also an auf der anderen Seite. Wenn die Gewissheiten verschwunden waren – er hätte nicht gedacht, dass er sich so nackt fühlen würde.
»Ich hoffe sehr, dass sich alles aufklärt, Monsieur Verlain. Es liegt natürlich an Ihrer Mitarbeit, dass dem so ist, wenn ich das hinzufügen darf.«
Nein, freundlich war sie nicht, diese Stimme, korrigierte sich Luc, sie war kontrolliert und sponn sich um einen wie ein Netz.
»Ich denke, ich verstehe nicht recht«, sagte Luc. »Welche Mitarbeit meinen Sie? Ich fahre in meinem privaten Pkw durch Biarritz und werde auf einmal von zwei Ihrer Kollegen verhaftet – unter Angabe von Haftgründen, die völlig … absurd sind. Und nun sitze ich hier seit Stunden und kann nicht telefonieren, geschweige denn mit jemandem sprechen, und Sie erzählen mir etwas von Mithilfe. Was soll das, Commissaire? Lassen Sie mich doch wenigstens in Bordeaux anrufen, dann lässt sich alles klären.«
Commissaire Schneider hob abwehrend die Hände, dabei lächelte er freundlich, als täte ihm das alles wahnsinnig leid.
»Ich würde gerne, aber Sie kennen ja die Vorgehensweise bei derlei Dingen: Ich darf Sie nicht telefonieren lassen, sonst könnten Sie Absprachen treffen, die Ihrer Entlastung dienen – und das würde mir der Staatsanwalt um die Ohren hauen. Deshalb spielen wir einfach nach den Regeln, die Sie ja bis vor wenigen Tagen auch glänzend beherrscht haben, nach dem, was man so hört.«
Luc fuhr aus seinem Stuhl hoch, er schnellte auf die Füße und lehnte sich über den Tisch: »Was erzählen Sie denn da für einen Mist, Mann?«
Doch Commissaire Schneider ließ sich davon nicht beeindrucken, er hielt Lucs Blick stand, seine Augen aber hatten sich zu Schlitzen geformt, aus denen Verachtung sprach.
»Setzen Sie sich wieder, Monsieur Verlain. Vielleicht kann ich Ihnen helfen, wenn Sie doch alles vergessen zu haben scheinen, weshalb Sie hier sind, in unserer