Deutschland 1936 - Ein Jahr im braunen Dunst. Adolf, Dr. Küster

Deutschland 1936 - Ein Jahr im braunen Dunst - Adolf, Dr. Küster


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      “Einen Cognac?”

      “Ja, bitte.”

      Diese Stimme höre ich heute bewusst zum ersten Mal, ungewöhnlich rau ist sie. Sie passt nicht zu ihm. Um nicht mundfaul und unfreundlich zu erscheinen, sage ich, was man so zu sagen pflegt: “Schön haben sie es hier, ein wunderbares Haus. Weshalb wollen sie es verlassen?”

      Mein Gegenüber schaut mich entgeistert an. Ich fühle mich ertappt, habe wohl etwas Dummes gesagt? Er rezitiert mich mit zwei Worten und diese Worte tropfen herunter wie schwarzer Teer: “Wollen?” “Verlassen?”

      Aber was macht er denn nun? Er steuert auf mich zu, reicht mir seine rechte Hand, die sich heiß anfühlt. Ich gehorche, gebe ihm die meine. Und nun zieht er mich aus dem Sessel, ohne meine Hand loszulassen, geht mit mir hinüber zur Wohnzimmerwand, die dem Fenster gegenüber liegt.

      An dieser Stelle hat früher ein großformatiges Bild gehangen. Jetzt findet sich da ein gerahmtes Din A4 großes Schriftstück, das Respekt einflößt, denn oben links findet sich der Absender: Preußisches Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung.

      Ich lese:

       Unter den Linden 4.

       UI Nr. 20.311

       Aufgrund von § 2A des Gesetzes zur Wiederherstellung

       des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 werden Sie

       hiermit aus dem Staatsdienst entlassen.

       Bis Ende Dezember 1934 erhalten Sie noch Ihre

       bisherigen Bezüge. Ein Anspruch auf Ruhegeld

       oder Hinterbliebenenversorgung und auf

       Weiterführung der Amtsbezeichnung steht Ihnen nicht zu.

       Berlin, den 31.3. 1934

       Der Preußische Minister für Wissenschaft,

       Kunst und Volksbildung.

       In Vertretung:

       gez. S. Schubert

       An den leitenden Landgerichtsdirektor

       Christian Wilhelm Weiß

       Rottlingen, Ulmenallee 13

      Ich bin sprachlos, wie vor den Kopf gestoßen, stammele:

      “Davon habe ich ja gar nichts gewusst!”

      “So was steht selten in der Zeitung“, kontert mein Gegenüber mit unbewegter Miene.

      “Aber warum denn das alles, haben sie sich was zu Schulden kommen lassen?” fährt es aus mir heraus.

      “Sie Unschuldsengel, wohl noch nie etwas von Judenverfolgung gehört? Ich bin Jude! Und was für einer!” Beißender Hohn in seiner Stimme. “Gut, dass die Nationalsozialsten mich daran erinnern. Ich war doch glatt dabei, es zu vergessen.”

      “Man darf doch einen Menschen ohne Verfehlungen nicht einfach aus seinem Beruf schmeißen?”

      “Dürfte, Konjunktiv!”, antwortete er, nun wieder mit gewohnter Miene, die keinerlei Erregung vermuten lässt. “Schauen sie mich genau an, ich bin ein Untermensch. Gut getarnt, nicht wahr?!”

      Mir wird immer mulmiger zumute. Herr Gott! Das ist doch mein Schulkamerad, der Hallodri von damals, der zu einem spitzenmäßigen Juristen mutierte, als das Schicksal ihm seinen Vater nahm.

      Er entstammt der Maschinenfabrik Gebrüder Weiß, dem zweitgrößten Arbeitgeber der ganzen Region. Die Fabrik ist ein Segen für alle.

      Das kann doch nicht sein, so einen Menschen darf man doch nicht “mir nichts - dir nichts” von “heute auf morgen” kaltstellen. Wo leben wir denn! Ich könnte schreien!

      Mein Gegenüber ahnt wohl, was mir alles durch den Kopf schwirrt, denn er klopft mir väterlich auf die Schulter: “Lassen sie´s nur gut sein. Wir müssen uns beugen, die Kröte muss geschluckt werden. Aber bitte, nehmen sie doch wieder Platz. Sie sind ja nicht gekommen, um mich zu bedauern.”

      Ich fühle echtes Mitleid und ertrage momentan diese lakonische Feststellung nicht, deshalb brabbele ich:

      “Doch, doch, doch, ich bin – ich bin gekommen…” (Pause). Ja, weswegen eigentlich, was soll ich sagen? Hier gibt’s nichts zu reden!

      “Na dann Prost”!

      Mein Gegenüber hat sein Glas gehoben. Der Schluck, den ich nehme, ist viel zu groß! Der hochprozentige Weinbrand fließt brennend durch die Kehle. Ich möchte husten, aber ich verkneife es mir.

      Ah’ wie angenehm, der Alkohol entspannt!

      Ich strecke meine Füße auf einem hochflorigem Perserteppich aus

      Wir, die Hildegard und ich, haben uns bislang noch keine echten Teppiche genehmigt.

      Auch eine Menge meiner Kollegen sind Juden. Oft habe ich es nicht einmal gewusst. Woher denn auch? Man kann doch einem Menschen, der mit uns aufgewachsen ist, sein Judentum nicht ansehen.

      Aber eines trifft zu: Unsere neue Regierung spielt verrückt. Besonders, wenn es um Juden geht. Aber auch Pazifist darf man neuerdings nicht mehr sein. Was habe ich die Romane vom Arnold Zweig geliebt, z.B. seinen „Der Streit um den Sergeanten Grischa.“ Nach der Machtergreifung musste Zweig fliehen, und was haben die Braunen jetzt gemacht, sie haben ihn und viele andere vor einigen Wochen einfach ausgebürgert.

      Gewiss, neue Besen kehren gut! Aber vieles ist doch hirnrissig! Das wird sich wieder legen, da bin ich mir sicher.

      Je länger ich mich in diesem respektablen Salon aufhalte, desto mehr fesselt mich an der Stirnseite des Raumes ein mächtiger Schrank, den ich von der Zeit seiner Entstehung her, nicht einordnen kann. Habe dergleichen noch nie gesehen. Viele Schmuckelemente bilden eine geschlossene Einheit.

      Zwei Ebenen mit je zwei Türen und jede erscheint wie ein Eingangsportal mit wunderschönen gedrechselten Säulen.

      “1603, zweistöckiger Fassadenschrank aus Ulm, Renaissance”, unterbricht der Herr Landgerichtsdirektor die Stille. Er hat wohl geahnt, was mir durch den Kopf geht.

      “Unbezahlbar?”, sage ich. Er schmunzelt.

      Nun halte ich die Zeit für gekommen, uns dem eigentlichen Thema zu widmen. ‘Villa mit großem Park abzugeben’, so hatte es in der Rottlinger Tageszeitung gestanden. Ich kenne von der ’Rottlinger’ einige Buchhalterinnen und so weiß ich, dass es mehrere Kaufinteressenten gibt.

      “Weshalb wollen sie diese Villa ausgerechnet mir verkaufen? Ihnen wird doch wohl nicht entgangen sein, dass ich die hiesige Reiter SA führe“. Der Landgerichtsdirektor schaut mich fragend an und schüttelt den Kopf.

      “Da muss ich gleich einen Irrtum ausräumen. Das Haus will ich nicht verkaufen, abgeben will ich es, so stand es auch in der Zeitung”.

      “Stimmt, aber was wollen sie? Abgeben, nicht verkaufen, was verstehen sie darunter?“

      “Ich hätte gern, dass dieses Haus in ihre Hände käme, weil ich sie für einen charaktervollen Menschen halte.”

      Aha, denke ich, was versteht er unter “Charakter”?

      “Sie haben 4 Kinder, ihre Ehe ist intakt, soweit ich weiß und sie gehen einem sehr angesehenen Beruf nach, da weiß ich mein Haus – das Haus meiner Eltern und Großeltern – in guten Händen.

      Sie müssen folgendes wissen: ich werde vorübergehend nach Amerika auswandern.

      Im hohen Alter möchte ich aber meine letzten Jahre nicht in Amerika verbringen, sondern hier in Rottlingen, wo die Weißens seit über 300 Jahren ansässig sind.

      Falls wir uns einig werden, übergebe ich ihnen


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