Deutschland 1936 - Ein Jahr im braunen Dunst. Adolf, Dr. Küster

Deutschland 1936 - Ein Jahr im braunen Dunst - Adolf, Dr. Küster


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Frauenarzt ins Grübeln.

      Er ist oft verunsichert. Bei vielen Ereignissen kann er die Hintergründe nicht mehr klar durchschauen.

      Gerade heute hat er sich, nach der Lektüre des „Rottlinger Tageblattes“ gefragt: Was steckt wirklich hinter allem Judengeschrei der Braunen? Gibt es überhaupt so etwas wie eine „Weltverschwörung der Juden“?

      Wie sollte so was funktionieren?

      Er kann es sich nicht vorstellen.

      Ist das alles nur so ein ‛Dahingerede? ’

      Und dann dieser Arier-Spleen der Braunen.

      Darf man dem Alfred Rosenberg überhaupt folgen, wenn er den Ariern das Recht einräumt, die Herrschaft über den Rest der Welt anzutreten?

      In Wirklichkeit kann doch so was nie gut gehen. Das führt doch zu Mord und Totschlag.

      Ich darf gar nicht darüber nachdenken. Nun, ich vermute ohnehin, dass das nur die allerwenigsten tun.

      Echtes Zutrauen in seine Erkenntnisfähigkeit hat er aber auch nicht.

      Wie sage ich gerne zu mir, wenn es nur kein anderer hört: “Fritz, dumm bist du nicht, aber bestimmt auch keine Leuchte.”

      Fritz, alter Junge, was bin ich froh, dass ich nicht Mathe studiert habe, was ich tatsächlich anfänglich wollte. Da hätte ich doch bestimmt kein Bein auf die Erde bekommen. Schon nach dem ersten Semester hätte ich passen müssen.

      Ja und dann gibt es da noch so etwas, was ihn heute Nacht sehr beschäftigt hat. Ihn den Frauenarzt. Da geht es um ‛erbgesunden Nachwuchs’, für den wir Frauenärzte sorgen sollen. Bravo, eine sehr schöne Vorstellung.

      Nur noch kerngesunde Kinder. Herrlich. Aber wie?

      Gestern erst hatten wir die Geburt einer süßen kleinen Maus mit mächtiger Hasenscharte. Totmachen von Amtswegen?

      Nee nee Leute, so geht das nicht, so kann das nie und nimmer gehen.

      Nun aber mal wieder nach vorn geschaut und positiv gedacht. An so einem schönen, sonnigen Morgen redet schließlich auch der Frühling ein Wörtchen mit! Die ersten Schneeglöckchen schauen heraus und läuten. Aber das können nur Kinder und Narren hören.

      Wenn ich mir alles so im Geiste vorstelle: vom Lehrer-Landkind zum Facharzt für Gynäkologie in der Kreisstadt, gutes Einkommen, wunderbare Frau, 4 wirklich gut geratene, nette Kinder.

      In meiner Frauenarztpraxis ein paar liebestolle Frauen, die hinter mir her sind. Ein eigenes Reitpferd, ein schnelles Auto, was will ich mehr, ich, das Glückskind par excellence.

      Und nun noch Aussicht auf den Erwerb dieser herrlichen Villa! Die Ulmenallee kenne ich schon ewig. Bin schließlich 9 Jahre mit dem Fahrrad hindurchgebraust. Auf dem Wege zur Penne.

      Hatte es immer eilig. Aber sobald ich in die Allee einbog, die prächtigen Villen sah, das Grün der Ulmen im Sommer, mein Herz hüpfte jedes Mal schneller auf und ab.

      Weshalb der Weiß diese tolle Villa verkaufen will, ist mir ein Rätsel. Der ist doch noch nicht so alt! Er wird es mir erklären!

      Vom Sehen her kenne ich ihn. Ist auch aufs Paul von Hindenburg Gymnasium gegangen; 2 Klassen über mir. Hat sich viele Jahre an Schachmeisterschaften beteiligt. Lange Jahre war er in Rottlingen Schach-Stadtmeister; ist ein drahtiger Typ.

      Wenn man ihn sieht, denkt man an einen Sportler. An einen Langstreckenläufer, aber bestimmt nicht an einen Landgerichtsdirektor.

      Das Rottlinger Tageblatt hat vor einiger Zeit mehrere Folgen einer Novelle aus seiner Feder gedruckt. Hat mich beeindruckt. Es ging um eine Katzenfamilie. Hildegard hat sie ausgeschnitten und gesammelt. Irgendwo müssen die Schnipsel noch herumliegen.

      Wenn ich es recht bedenke, nun wird es aber auch Zeit, dass wir eine größere Wohnung bekommen. Jedes der Kinder braucht dringend sein eigenes Zimmer.

      Malu ist 17, da kann sie doch nicht dauernd mit ihrer kleinen Schwester zusammen hocken.

      Dem Andy geht es ebenso. Obwohl er duldsamer ist als seine Zwillingsschwester.

      Außerdem stört es mich und wohl auch Hildegard, dass unsere nun älter gewordenen Kinder alles mitbekommen, was wir Alten so treiben.

      Ich, der Frauenarzt Dr. Rübnitz meine, die Häuser Nr. 13 und 14 der Ulmenallee sind die weitaus schönsten Häuser.

      So einen Säulenvorbau mit Giebelfeld nennt man Portikus. Das habe ich nachgelesen.

      Zu meiner Freude habe ich festgestellt, dass Haus Nr. 13 nicht nur einen Portikus, sondern auch eine achtstufige Freitreppe besitzt. Die Nachbarhäuser haben so etwas nicht.

      Der Schmuck am Haus ist edel. Sieht nach was aus!

      Eckquader aus Kalkstein, viel heller mit Breit- und Schmalseiten. Ich mag so was. Zum dunkleren Sandstein des Mauerwerks, ist das ein sehr schöner Kontrast.

      Hoffentlich verlangt dieser Weiß keine Unsummen. Die hab’ ich nicht zur Verfügung. ’

      Ding-Dong!

      Wie telefonisch verabredet springt Dr. Fritz Rübnitz pünktlich um 15 Uhr die Freistufen des Hauses Ulmenallee Nr.13 empor.

      Er staunt über den langanhaltenden “2-Klang” eines Gongs, den er soeben durch Drücken eines Klingelknopfs ausgelöst hat. Er kennt bislang nur dieses erschreckende Gerattere von elektrischen Klingeln.

      Aha, der „Chef“, er öffnet mir persönlich. Dr. Weiß, ein Mann wie ich um die 50, in den besten Jahren. Mindestens 1,80 Meter groß, schlank, mit blondem- im Gegensatz zu mir - noch dichtem, leicht gekräuseltem Haar. Schwarzer Kammgarn-Anzug und schwarze Fliege. Dieser Aufzug eines Trauernden irritiert mich.

      Blitzschnell versuche ich zu analysieren. Nein, Frau und Sohn können es nicht sein, das hätte sich hier in Rottlingen herumgesprochen. Soll ich mich etwa namentlich vorstellen? So mach’ ich’s immer bei meinen wenigen ärztlichen Hausbesuchen. Bin ja Gynäkologe.

      Eine von ihm, zum freundlichen Gruß vorgestreckte Rechte, erlöst mich von weiteren Betrachtungen.

      “Bitte treten sie doch näher, Herr Dr. Rübnitz”.

      Aha, der Mensch legt Wert auf korrekte Formen, geht es mir durch den Kopf. Aber den “Doktor” könnten wir getrost begraben, sind schließlich Schulkameraden.

      Ich sehe ihn noch genau vor mir, den Oberprimaner Weiß.

      Keiner trug die Schülermütze derartig herausfordernd schief, wie er.

      Er wusste, was er wollte. Für mich ein typischer ‘Hedonist’. Genuss war sein Lebensstil.

      Immer hinter den hübschesten Mädchen her.

      Ich weiß noch, dass er einmal backen blieb. Damals freute ich mich über die Nachricht. Er war dann nur noch eine Klasse über uns.

      Als sein Vater auf tragische Weise in den Alpen verunglückte, soll er ein ganz anderer Mensch geworden sein.

      “Bitte, kommen sie herein!”

      Donnerwetter. Eine so große Diele hätte ich in diesem Hause nicht vermutet. Mehr als 60 Quadratmeter.

      Sehr repräsentativ: eine doppelläufige breite Treppe nach oben. “Repräsentativ” hier passt das anspruchsvolle Wort hin.

      Dennoch. Irgendetwas stört mich.

      Was ist es bloß?

      Nun meldet sich mein zweites Ich: „Ihr Männer könnt doch nie bei Konkurrenten vorbehaltlos etwas anerkennen“.

      Sei still, alter Ego!

      Halt, jetzt sehe ich es.

      Hier fehlen Bilder an den Wänden! Und hier haben welche gehangen.

      Da, sieh’ nur, die dunklen Quadrate auf den geschmackvollen Tapeten verraten es.

      Außerdem gab es nicht eine einzige Pflanze vor den


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