Italiener-Wochenende. Kathi Albrecht

Italiener-Wochenende - Kathi Albrecht


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       Kathi Albrecht

       Italiener-Wochenende

       Oktoberfest-Krimi

      © 2020 Kathi Albrecht

      Umschlagabbildung: pst, Düsseldorf

      Lektorat & Korrektorat: Christina Seitz

      Verlag & Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44,

      22359 Hamburg

ISBN
Paperback:978-3-347-14467-5
e-Book:978-3-347-14469-9

      Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

      MAX

      Er hasste die Wiesn. Abgrundtief und aus vollem Herzen. Und das als Münchner. Als Kind war er so gern aufs Oktoberfest gegangen, hatte die Tage gezählt, bis es losging, sich von Omas und Tanten Karussellgeld erbettelt. Er hatte sich jedes Mal einen Zuckerrausch geholt und war auf den Fahrgeschäften gefahren, bis ihm schwindelig wurde. Als Jugendlicher hatte er Hunde Gassi geführt, Einkäufe für alte Nachbarn erledigt, ringsum Rasen gemäht – um sich auf der Wiesn an allen drei Wochenenden ein paar Bier leisten zu können. Noch immer hatte er eine Lederhose im Schrank, mehrere karierte Hemden, passende Schuhe und die von der Oma handgestrickten Trachtenstrümpfen. Aber Rausch, Schwindel und Oktoberfest waren heute nur noch Synonyme für Arbeit, eine Menge zusätzlicher Arbeit.

      Auch dieses Jahr würde er mitten zwischen grölenden Italienern, Schweden und Engländern stehen und nicht weiter auffallen mit seinen Lederhosen, Wadlwärmern und Haferlschuhen. Er würde singen, schunkeln und flirten – mit den Kolleginnen und Kollegen, die ebenfalls in Tracht herumliefen und ebenfalls alkoholfreies Bier tranken. Wenigstens zahlte das jemand anderer, nämlich sein Arbeitgeber.

      Zum Oktoberfest reisten Menschen aus der ganzen Welt an, mit Bus und Bahn, per Flugzeug oder Wohnmobil. Leider wurden an Grenzübergängen und Wiesneingängen nicht alle immer gründlich kontrolliert. Da kam es immer mal wieder vor, dass sich mitten im überfüllten Bierzelt oder auch in der Warteschlange zum Riesenrad bayrisch verkleidete Menschen trafen und illegale Geschäfte abwickelten. Man konnte auf dem Oktoberfest prima im Getümmel untertauchen.

      Aber wenn die Wiesn vorbei war, würde er, Kommissar Max Neuhauser, sowas von in den Urlaub fahren! Adria, Kroatien, wohin auch immer, Hauptsache, das Surfbrett war dabei. Mehr dauerhafte Gesellschaft würde er erstmal nicht brauchen.

      1

      Jule schloss die Augen und hielt das Gesicht in die Sonne. So ein schöner Septembersonntag. Nichts deutete mehr auf den Regen am Vortag hin, als die Oktoberfesteröffnung so derart ins Wasser gefallen war wie wohl noch nie. Und niemand sah ihr den Stress der letzten Wochen an, als sie beinahe fluchtartig ihre Heimatstadt verlassen hatte, um in München neu anzufangen. Sie trug ein Dirndlkleid wie alle anderen und fiel gar nicht weiter auf. Gut so. Denn das war der Plan. Sie holte tief Luft und lächelte zufrieden.

      Eigentlich war sie ja nicht sonderlich risikofreudig, aber sie brauchte dringend einen Neustart. Hier in München hatte sie immerhin einen neuen Job und eine neue Wohnung. Ohne den Job hätte sie keine Umzugskiste gepackt, einfach auf gut Glück hätte sie sich nicht getraut. Wie auch? Sie hatte sich in letzter Zeit ein paar fatale Fehlgriffe geleistet. Leider nicht bloß bei Klamotten, die man problemlos umtauschen oder zurückschicken konnte. Und als neue beste Freundin hatte sie immerhin ihre Cousine Veronika. Mehr Leute würde sie noch kennenlernen, vielleicht im Job oder beim Sport. Hier in München waren auch genug Menschen unterwegs. Egal wer, Hauptsache nicht er. Er, dessen Namen sie im Moment nicht einmal denken wollte. Und hier konnte sie sicher sein, ihn nicht zu treffen.

      „Mei, die Wiesn ist doch schönste Zeit im Jahr!“

      Mit dieser Feststellung ließ sich ihre Cousine Veronika auf die Bierbank ihr gegenüber sinken, unmittelbar danach standen zwei Radler auf ihrem Tisch. Vero trug normalerweise sehr modische Kleidung, aber heute? Als waschechte Münchnerin trug sie ein schickes Dirndlkleid und eine aufwendige Flechtfrisur. Es passte perfekt. Davon war Jule noch ein bisschen entfernt.

      Vero sah sie kritisch an. „Madl, des ist koa Dirndl, was du anhast, des ist a Faschingskostüm!“

      Jule nickte. Wegen des Umzugs hatte die Zeit zwar nicht gereicht, ein echtes Trachtenkleid zu kaufen, aber sie hatte ja noch dieses Dirndl im Schrank gehabt, das sie vor einigen Jahren (neun, um genau zu sein), als Karnevalskostüm gekauft und getragen hatte. Es passte sogar noch. Einigermaßen jedenfalls. „Stimmt. Sieht man das so deutlich?“

      „Es hat einen Reißverschluss.“

      Jule schaute ihr Kleid an und hob erstaunt die Arme. Nun ja, die meisten ihrer Kleider hatten Reißverschlüsse, abgesehen vielleicht von dünnen Strandkleidchen.

      Vero hob die Augenbrauen und sah Jule verzweifelt an. „Des kannst nimmer anziehn!“

      „Wieso? Ist das wichtig, was ich anhabe?“

      „Willst du Leute kennenlernen oder dir von Betrunkenen die Klamotten vom Leib reißen lassen?“

      Es gab offenbar mehr Parallelen zwischen dem Oktoberfest und rheinischem Karneval, als sie gedacht hatte.

      „Also“, fuhr Vero fort, „Reißverschluss heißt: kriegt ein besoffener Australier auch nach fünf Maß Bier noch auf. Wenn du ein richtiges Dirndl, also ein Trachtenkleid wie meins hier anziehst und wo das Aufmachen schon ein bisschen Übung braucht und Mühe macht, besteht zumindest theoretisch noch die Möglichkeit, dass sich jemand vorher mit dir unterhält. Vielleicht sogar in einer Sprache, die du verstehst …“

      „So schlimm?“

      „Je nachdem, in welches Zelt und um welche Uhrzeit du hingehst, noch schlimmer … Nein, Schmarrn! Aber es reicht ja, wenn du am Italiener-Wochenende anständig angezogen bist!“

      „Italiener-Wochenende? Soll das ein Witz sein?“

      „Nein. Ich meine, jeder weiß doch, dass das Oktoberfest einzig und allein zur Völkerverständigung erfunden wurde und eigentlich die größte Flirtbörse der Welt ist. Außerdem sind wir doch genau deswegen hier, oder?“

      „Also dein Vater hat mir was erzählt von Trachtenumzug und Landwirtschaftsausstellung. So historisch gesehen …“

      „Alles Gerüchte, alles Folklore“, entgegnete Vero und winkte rigoros ab. „Erstens ist es dafür da, damit euch Rheinländern die Zeit zwischen Sommerferien und Karneval nicht zu lang wird, und zweitens, um den Italienern den kürzesten Weg zur schwedischen Sünde zu ermöglichen. Notfalls auch zur holländischen, australischen oder bayrischen …“

      „Deswegen Italiener-Wochenende, ja?“

      „Ganz genau.“ Vero nickte fröhlich. „Meine Schulfreundin aus dem Nachbarhaus früher – du erinnerst dich? Die mit dem italienischen Vater?“

      „Klar, Carlotta. Aber die muss ja nicht anreisen, die ist doch schon da!“

      „Aber ihre Cousins! Da kommen zwei aus Italien. Ja, und weil es sich dieses Jahr nicht anders ausging, als dass sie ausgerechnet zur Wiesn-Zeit in die Ferien fährt, da kümmern wir uns um die Italiener. Hab ich ihr versprochen.“

      „NEIN!!!“

      Jule wurde rot. Die Antwort war lauter und heftiger ausgefallen als geplant. „Ach, also, ich meine …“

      Oh. Na super. Jule biss sich auf die Zunge. Auf einen dieser Counsins konnte sie verzichten. Von ihm hatte sie vor fünfzehn Jahren schon eine Überdosis genossen.

      Mit seinen Dreadlocks, seinem bizarren Musikgeschmack und dieser Hyperaktivität war Lorenzo eigentlich komplett indiskutabel


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