Italiener-Wochenende. Kathi Albrecht

Italiener-Wochenende - Kathi Albrecht


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in Düsseldorf für ihr Abi lernte und Lorenzo in Italien im Militärdienst schwitzen musste, waren noch ein paar Wochen lang Mails und Postkarten geschrieben worden, dann war die Sache versandet. Und Jule hatte auch ihn unter „Jugendsünden“ abgeheftet und die Peinlichkeit, bei der Tante im Garten wild herumgeknutscht zu haben, versucht zu verdrängen. Immerhin war es damals sehr dunkel gewesen, und bis eben war ihr das auch ganz gut gelungen. Aber jetzt bitte ein Themenwechsel!

      „Sag mal, Vero, wie geht’s denn deinen Eltern? Alles okay bei meiner Tante und meinem Onkel?“

      „Äh, ja, wieso?“ Vero runzelte die Stirn. „Obwohl … Mei, die Mama ist ein bisschen fertig, weil – ja, das könnte dich interessieren! Der Mayer Kilian, der war in der Grundschule in einer Klasse mit meiner Schwester gewesen und heut früh hatte der einen Herzinfarkt. Mit sechsunddreißig!“

      „Oh, nicht gut. Ist ja eigentlich ein bisschen jung dafür, oder? Ich meine, es sei denn, der war fettleibig …“ Vielleicht so wie Vanessa, Veros ältere Schwester, die zwar als ausgewiesenes IT-Genie an irgendeinem wichtigen Institut in Berlin arbeitete, dessen Name Jule regelmäßig entfiel – aber sie hatte von Geburt an gefühlt doppelt so viel gewogen, wie gut für sie war.

      „Ach, nein! Der ist so ein Supersportler, der Kili! Eisklettern in Norwegen und Paragliding in Südamerika und Bungee in Neuseeland und sowas. Super Job bei einer Bank, Eigentumswohnung mitten in Schwabing mit Dachterrasse!“

      „Na ja, dann kann der sich ja auch jetzt eine Chefarztbehandlung leisten, oder? “

      „Juli, der ist tot!“

      Okay, das war nicht ganz so schön. Und es tat ihr leid, obwohl sie diesen Kilian ja nun wirklich nicht kannte. Aber mit sechsunddreißig an einem Herzinfarkt zu sterben, fand selbst sie ungewöhnlich.

      „Aber“, fuhr Vero fort, „der hat auch so pflanzliche Aufputschmittel genommen. War wohl nicht ganz ungefährlich. – Diese Naturheilsachen, das ist doch genau deins, oder?“

      Das stimmte jetzt nicht ganz, denn für Naturheilkunde interessierte Jule sich höchstens dann, wenn die Apothekerin ihres Vertrauens ihr eine homöopathische Alternative zur Chemiekeule gegen Erkältungen vorschlug. Was Vero aber tatsächlich meinte, war Jules neuer Job bei einem Münchner Verlag. Sie sollte sich um die Werbung kümmern, allerdings im Bereich Naturheilkunde und Ratgeber. Ausgerechnet sie! Kochbücher wären ihr lieber gewesen, das wäre eigentlich ihr Traumjob gewesen. Aber sie hatte beschlossen, nicht damit zu hadern, sondern das Positive zu sehen. Es war bestimmt ganz gut, an etwas zu arbeiten, woran ihr Herz nicht hing. Fürs Erste war sie damit beschäftigt, sich zurechtzufinden und mit dem für Verlagsleute normalen Herbststress aus Frankfurter Buchmesse, Vertretertagung und Weihnachtsgeschäft klarzukommen. Damit sie nicht die Nächste war, die umkippte.

      2

      Jule parkte ihren Mini vor der Haustür von Tante Christine und Onkel Wolfgang.

      „Komisch, die sind gar nicht da“, murmelte Vero, als auf ihr Klingeln niemand öffnete und zog den Schlüssel aus der Tasche. Es war Freitagnachmittag und eigentlich wollten sie nachsehen, ob in Christines Dindl-Sammlung noch etwas Passendes für Jule war. Christine war schließlich nicht immer so dick gewesen. In der Küche lag auf dem Tisch ein Zettel mit dem Hinweis, die Dirndlkleider hätte Christine in „Vronis Kinderzimmer“ aufgehängt, weil sie jetzt mit der Rosi nochmal zum Bestatter musste. Bestatter? Ach ja, der Herzinfarkt in der Nachbarschaft.

      „Schau mal, Juli, das Zimmer von der Nessi ist jetzt Gästezimmer. Und in meinem alten Zimmer wohnt jetzt das Bügelbrett, da hat es wenigstens einen schönen Blick in den Garten. Und die Dirndl hängen auch hier! Ich geh mal gerade …“ Sie deutete auf eine offene Zimmertür, an der ein sehr verblasster Pferdeaufkleber pappte und verschwand im Badezimmer gegenüber. Jule wollte schon mal die Dirndl-Ausstellung besuchen und in den Garten schauen. Jeder Mieter in den Einfamilienreihenhäusern hatte seine Terrasse individuell mit Sichtschutz, Hecken, Büschen oder Gartenhäuschen ausgestattet, dahinter öffnete sich aber eine große Gemeinschaftswiese mit alten Bäumen. Jule hatte das immer besonders schön gefunden.

      „Vero??? Hier ist ein Mann im Garten!“

      „Aha! Schaut der gut aus? Das Wochenende fängt gut an!“, rief es vom Klo.

      „Nee du! Find ich nicht!“

      „Im Nachbargarten?“

      „Welchen Nachbargarten meinst du?“

      „Juliiiii! Das hier ist ein Eckhaus. Hier gibt’s nur einen einzigen Nachbarn!“

      „Ja, eben. Und hier ist auch nur ein Typ und der ist gar nicht lecker, aber der ist hier vor dem Haus!!!

      „Was macht der und wie sieht er aus?“

      „Och, so ein kleines Männlein, höchstens eins fünfzig, trägt bei diesem warmen Wetter einen dicken Wollpulli und kriecht unter den Büschen und Sträuchern herum … “

      „Haarfarbe?“, brüllte Vero, um die Klospülung zu übertönen.

      „Kann ich nicht genau sehen, sehr grau, glaube ich – oder weiß. Was will der hier? Ist das ein Einbrecher?“

      Vero stürzte ins Zimmer und kam zum Fenster. „Hab ich’s mir gedacht: Das ist der Nachbar. Und er hat keinen Pulli an, das ist sein Brusthaar!“

      „Auf dem Rücken?“

      „Ja, da auch. Das ist Enzo, Carlottas Vater. Ach, du kennst den doch! Keine Ahnung, was er da jetzt genau macht. Hoffentlich keinen Blödsinn … “ Vero reckte sich. „Komm, wir gehen runter und sagen Guten Tag. Wie ich meine Mutter kenne, hat sie ihm erzählt, wo sie ist und dass wir kommen. Und wenn wir jetzt nicht rübergehen, steht der nachher hier im Flur, um zu gucken, ob wir auch da waren. Der hat nämlich einen Schlüssel. Und wahrscheinlich kommt er genau dann, wenn wir uns umziehen und im halbgeschnürten Dirndl hier rumstehen.“

      ***

      „Grüß dich, Enzo! Wie geht es?“ Vero fiel dem alten Italiener um den Hals.

       „Verrrroo-nica! Ciao!“

      „Enzo, das hier ist meine Cousine Jule. Erinnerst du dich noch an sie?“

      „Ah! Giulia! Ciao, ragazza! Schön, dass du biste wiedere hier. Bene. Iste viele Jahre her.“

      Er war alt und grau geworden. Und er nannte sie wieder Giulia. Das hatte er damals erfunden, als sie den Sommer hier verbracht hatte.

      Enzo beklagte sich lautstark über sein Schicksal. Er alleine hatte die Verantwortung für drei Gärten. Es gab ja immer ein paar Oktoberfestflüchtlinge in der Nachbarschaft. Tante Christine und Onkel Wolfgang waren spontan mit der Nachbarin unterwegs, deren Sohn vergangene Woche gestorben war. Da mussten Dinge organisiert und eine Gaststätte für die Beerdigung gesucht werden. Und ihn hatte sie mit all der Arbeit hier alleine gelassen! Eine gewaltige Unordnung in seinem Garten, alles war durcheinandergebracht worden und ein Beet zerwühlt. Christine tippte auf einen Waschbären, er aber schimpfte, das könnte kein Bär gewesen sein, sondern ein Idiot. Nun ja. Außerdem war sein Auto in der Werkstatt. Und dann war noch sein Neffe aus Italien für ein paar Tage nach München gekommen! Um den musste er sich jetzt auch noch kümmern. Und die Nachbarn drei Häuser weiter waren im Urlaub und hatten auch so viele Blumen. Enzo tat sich selbst ziemlich leid, freute sich aber Jule und Vero wieder zu sehen, und holte irgendwann doch wieder seine Gießkanne.

      „Jule, ich glaub, wir machen erstmal ein Päuschen hier auf der Terrasse. Es ist so schön friedlich hier und sogar noch ein bisschen hell. Komm, wir rücken diese Liegestühle mal ein bisschen rüber. Lass uns etwas ausruhen, dann probieren wir Mamas Dirndl-Sammlung aus und köpfen den Prosecco, den ich mitgebracht habe – hab ich den eigentlich in den Kühlschrank gestellt? Ach ja, richtig.“

      „Den ersten Italiener haben wir schon mal an deinem berüchtigten Italiener-Wochenende“, kicherte Jule.

      „Ich will mal hoffen, dass das nicht der letzte war!“

      „Ach, Enzo hat doch gesagt,


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