Die Seehunde haben heute Ruhetag. Markus Tönnishoff
Sie nicht vielleicht doch die 64 ohne Vanillepudding oder aber die Wurzel aus 19 mit Peperoni?“, fragte mich der Kellner und rief damit bei mir eine gewisse Unsicherheit hervor. „Es könnte sein“, hob ich an, „dass ich einen Vanillepudding bestellt hatte, aber ohne Peperoni.“
„Wer bekommt die 17?“, war nun von einem weiteren Kellner zu hören.
„Die 17 ist doch für Dich“, merkte ich mit einem Blick in Richtung Nini an.
„Das kann ich mir nicht vorstellen.“
„Aber das hast Du doch gerade eben gesagt.“ „Was?“
„Na, dass Du die 17 hast. Du kannst Dir eben einfach keine Zahlen merken, es ist furchtbar“, schimpfte ich.
„Ach ja? Wer hat denn vor zwei Wochen bei Amazon 34 Jeans in der Größe zwei bestellt statt zwei Jeans in der Größe 34? Das warst doch Du!“, fauchte Nini.
„Wer bekommt die 34?“, konnte ich gerade noch aus dem Hintergrund vernehmen, doch zunächst nahm die Diskussion mit Nini meine vollste Aufmerksamkeit in Anspruch. „So? Und wer hat neulich bei Karstadt 124 Duschmatten mit einem Polyesteranteil von vier Prozent gekauft statt vier Staubsaugerbeutel mit der Bezeichnung Saugfit 124, sodass wir nun Duschmatten in unseren Staubsauger einbauen und die Staubsaugerbeutel in die Dusche legen müssen? Das warst ja wohl Du!“, triumphierte ich.
„Aha, aha, aha, und wer hat letzte Woche drei 1er-BMW bestellt statt einen Dreier- BMW? Na, wer, wer, wer?“
„Lothar kann sich auch keine Zahlen merken“, bereicherte Gabi nun das Gespräch. „Letztens hat er sieben Kreuzfahrten über ein Weltmeer gebucht statt eine Kreuzfahrt über die sieben Weltmeere. Und dann hatte er ja beim Einwohnermeldeamt damals als Geburtsdatum unserer Tochter Hanna das Jahr 1947 angegeben, sodass Hanna jetzt schon Rente bezieht, obwohl sie doch erst 20 ist.“
„Und Du hast doch als Lena geboren wurde bei der Bank einen Sparplan eingerichtet, und wir wollten 30 Euro pro Monat einzahlen. Du hast aber 3000 Euro pro Monat in das Formular eingetragen“, konterte Lothar. „Gut, dass Hanna jetzt schon Rente kriegt, sonst könnten wir uns das gar nicht leisten.“ „Wer bekommt die 62?“, war aus dem Mund eines Kellners plötzlich zu vernehmen.
„Nun geben Sie schon her, ich bin am Verhungern“, brüllte ich. „Was ist denn die 62?“
„Staubsaugerbeutel ohne Paprika mit einem Duschmattenauflauf.“
„Sie haben einen an der Waffel“
Deutschland galt mal als Land der Dichter und Denker. Doch im Januar 2019 hat die Stadtverwaltung der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover angekündigt, zukünftig im Dialog mit ihren Bürgern nur noch die geschlechtergerechte Sprache zu verwenden. Lehrer zum Beispiel gibt es gemäß dieser Sprache nicht mehr, sie heißen jetzt Lehrende. Auch die Wähler wurden in den Orkus der Sprachwelt verwiesen, stattdessen firmieren sie nunmehr als Wählende. Wir sind jetzt also das Land der Dichtenden und Denkenden. Das ist zwar falsches Deutsch, aber politisch korrekt. Die Begriffe Herr und Frau sollen sich übrigens auch verflüchtigen, stattdessen wird sich das Gendersternchen öfter zeigen. Treibende Kraft hinter diesem Projekt war die Referentin für universelle Gleichstellung, Sprachwissenschaftlerin Dr. Gesine Eisenkot, mit der ich mich in meiner Eigenschaft als Journalist über dieses Vorhaben auf erfrischende Art und Weise unterhalten habe.
Frau Dr. Eisenkot, finden Sie nicht…“ Schon meine erste Frage, die ich eigentlich noch gar nicht als ausgereift empfunden habe, rief bei Frau Dr. Eisenkot heftigen Protest hervor. „Herr Tönnishoff, oder welchen Namen Sie auch immer gerade missbrauchen, bitte nehmen Sie zur Kenntnis, dass die dritte Silbe meines Nachnamens eindeutig männlich konnotiert ist. Kot. Die universell geschlechtergerechte Ansprache muss also korrekt ‚Frau Dr. Eisenkotin‘ heißen“, belehrte mich Frau Dr. Eisenkotin. Ich traute mich kaum, das Gespräch fortzusetzen, aber dann hatte ich einen vermeintlich genialen Gedanken, den ich der Sprachwissenschaftlerin verschüchtert mitteilte. „Müsste an dieser Stelle nicht das Gendersternchen zum Einsatz kommen?“ Dr. Eisenkotin lächelte nachsichtig ob meiner Dummheit und sprach: „Wörter mit der Endsilbe ‚chen‘ oder ‚ling‘ stellen eine unzulässige Verniedlichung dar. Wir haben nicht das Recht, andere Lebewesen und Dinge auf diese Art und Weise klein zu machen. Es muss also nicht Sternchen heißen, sondern Sternende oder Gesternte.“
„Das ist ja hoch interessant“, platzte es aus mir heraus. „Wie nennen wir denn dann in Zukunft Frischlinge?“
„Ganz einfach. Die Gefrischten.“
„Und Säuglinge?“
„Die Gesäugten. Oder aber die Säugenden. Wie Sie wollen.“
„Und die Pfifferlinge werden dann wohl zu den Gepfifferten.“
„Genau richtig“, bestätigte mir Frau Dr. Eisenkotin.
Da unsere Diskussion ein wenig abgeschweift war, wollte ich die geniale Sprachwissenschaftlerin nun wieder in Richtung geschlechtergerechte Sprache manövrieren. „Frau Dr. Eisenkotin…“ Wieder fiel mir die Sprachkompetenzbombe ins Wort. „Warum sprechen Sie mich mit Frau an? Das ist eine Unverschämtheit sondersgleichen. Sie wissen doch gar nicht, ob ich mich vielleicht als Mann oder als Transoder Intersexuelle definiere. Vielleicht ja sogar als Teddybär. Sprechen Sie mich einfach als Doktorende Eisenkotin an.“
„Gut. Sehr gerne, Doktorende Eisenkotin. Die Sozialdemokraten in Hannover haben ja nun die geschlechtergerechte Sprache eingeführt, finden Sie nicht, dass…“
„Es gibt keine Sozialdemokraten mehr. Sie heißen jetzt Sozialdemokratisierende!“, belehrte mich die Doktorende. „Das haben auch der Bundespräsidentierende und andere Politisierende festgestellt. Sie als Journalierender müssten das eigentlich wissen“, tadelte sie mich.
„Und was sagt die Bundeskanzlerin dazu?“
„Sie meinen die Bundeskanzlernde?“
„Ja, in etwa so… oder so ähnlich“, seufzte ich. „Hat die Kanzlernde nicht kürzlich bei dem Jahrestreffen der Ornithologen…“
„Herr Tönnishoff“, blaffte mich die Sprachwissenschaftende an, „es heißt Ornitierende.“
„Nicht Ornithologisierende?“
„Nein, sondern.. äh…Toligidierende… äh.. - sierende… äh… Taubendesierende… Amselnde… äh aber irgendwie auch Spechtende.“
„Können wir uns vielleicht auf Vögelnde einigen?“, schlug ich vor.
„Ja, Vögelndisierende, genau das wollte ich sagen“, so die Doktorende.
„Die Vögelndisierenden hatten ja bei ihrem Treffen auf Helgoland mit den Inselbewohnern…“
„Ach, Sie meinen die Geinselten oder aber die Inselnden.“
Mir schwirrte der Kopf – oder muss es heißen Kopfender oder Kopf*in? Ich wusste es nicht mehr. Nur langsam gelang es mir, meine Gedanken*innen in geordnete Bahnen zu lenken. Ich griff zu meinem Füllfederhalter, pardon, zu meinem zu füllenden Haltenden, um mir ein paar Notizen zu machen. Sodann wollte ich das Gespräch zu Ende bringen – doch eine Bitte hatte ich noch. „Doktorende Eisenkotin, könnten Sie vielleicht folgenden Satz in geschlechtergerechte Sprache übersetzen: Frau Müller hat Drillinge in Mannheim zur Welt gebracht und würde jetzt gerne einen Hummer mit Nudeln essen.“
Eisenkotin konnte diesen Satz selbstredend mühelos übersetzen: „Eine Müllernde hat in Menschen*innenheim Gedrillte auf die Welt gebracht und würde jetzt gerne Hummernde mit Nudelnden essen.“
„Sie haben doch wirklich einen an der Waffel“, entfuhr es mir.
„Falsch“, verbesserte mich die Doktorende. „Ich bin eine Waffelnde!“
Es ist verboten, Verbote zu verbieten
Deutschland ist wahnsinnig verliebt, und zwar in eine immer mehr um sich greifende Verbotskultur.