Die Seehunde haben heute Ruhetag. Markus Tönnishoff
zur Straftat erklärt wird. Wieder andere Verbotsfanatiker sprachen sich für ein Verbot der Fischerei und des Fleischverzehrs aus, um das Klima zu retten. In mir brach sich Gesprächsbedarf Bahn.
Immer wenn ich bezüglich besonders differenzierter Themen nicht mehr weiter weiß, gehe ich zu meinem alten Freund Robert, der ganz in der Nähe meiner Behausung einen Zeitschriftenkiosk betreibt, um mich mit ihm auszutauschen. Er weiß dann zwar in der Regel auch nicht mehr weiter, aber es ist beruhigender, wenn man zu zweit sprachlos ist. „Weißt Du eigentlich“, hob Robert an, „dass man den Grenzwert für Feinstaub in der Wohnung schon überschreitet, wenn man auf einem Adventskranz drei Kerzen anzündet?“ Diese Erkenntnis war bisher nicht in meinem Hirn verankert. Trotzdem wurde selbiges sofort aktiv und präsentierte einen Lösungsvorschlag. „Bräuchten wir dann nicht ein Fahrverbot für Adventskränze?“
„Zumindest in geschlossenen Räumen“, sinnierte Robert.
„Räuchermännchen müsste man eigentlich auch verbieten, überleg‘ mal, was da rauskommt.“
„Man könnte sie ja mit Feinstaubfiltern ausstatten. Obendrein müsste es jedoch ebenfalls ein Fahrverbot für sie geben, erst recht, wenn sie auf Adventskränzen mitfahren.“
Wir nippten an unserem Kaffee und richteten den Blick auf einen Tannenbaumverkaufsstand, der sich genau gegenüber Roberts Kiosk platziert hatte. Es war ja schließlich Weihnachtszeit. „Weihnachtsbäume müsste man auch verbieten“, forderte ich. „Warum? Die produzieren doch gar keinen Feinstaub“, entgegnete Robert.
„Aber sie verhindern ihn eben auch nicht. Und außerdem bringen viele Menschen zu Weihnachten Kerzen an ihnen an. Sie dienen also als Basis für feinstaubproduzierende Produkte“, triumphierte ich. Robert zeigte sich überzeugt. Wir einigten uns darauf, dass der Verkauf von normalen Tannenbäumen verboten werden müsste, der Verkauf von glutenfreien und veganen Tannenbäumen jedoch erlaubt bleiben sollte.
Unsere Becher beherbergten mittlerweile Luft, Robert sorgte mittels seiner Kaffeekanne dafür, dass selbige sich verflüchtigte und entließ einen neuen Gedanken aus der Welt seiner grauen Zellen. „Erwerbsarbeit“, sagte er. „Bei der Arbeit passieren viele Unfälle.“ Es dauerte ein paar Sekunden, bis seine Äußerungen nunmehr in meiner Gedankenwelt neue Assoziationen hervorriefen. „Dann muss man die Arbeit verbieten“, rief ich aus. „Wenn keiner mehr arbeitet, gibt es auch keine Arbeitsunfälle mehr.“
„Und wovon sollen die Menschen dann leben?“
„Sie bleiben einfach zu Hause.“
„Das ist aber auch gefährlich“, sprach Robert. „Denn die meisten Unfälle passieren ja bekanntlich im Haushalt.“
„Kein Problem. Es muss eben ein Gesetz erlassen werden, demzufolge es verboten ist, sich zwischen 0 Uhr und Mitternacht in der Wohnung aufzuhalten.“
„Findest Du das nicht ein bisschen zu brachial?“ Ich dachte kurz nach und entschloss mich zu einer Novellierung meines Gesetzesvorschlags. „Gut, dann muss es eben ein Gesetz geben, welches regelt, dass die Menschen vor dem Betreten ihrer Wohnung einen Helm aufsetzen müssen. Helmpflicht in Wohnungen und Häusern. Das ist die Lösung“, posaunte ich.
„Und was ist mit Betten?“
„Was soll damit sein – man schläft darin.“
„Ja, aber viele Menschen sterben auch in Betten, frag‘ mal bei den Krankenhäusern nach.“
„Verbieten“, forderte ich.
„Betten oder Krankenhäuser?“
„Beides. Aus Sicherheitsgründen. Schließlich geht es um Menschenleben.“
Es war klar, dass nun auch der Klimawandel in den Fokus unseres Interesses geriet. „Man muss nicht nur den Menschen den Fleischverzehr verbieten, sondern auch den Haustieren wie Hunden und Katzen“, ereiferte sich Robert. „Du springst zu kurz“, rief ich, „man sollte Hunde und Katzen gleich ganz verbieten. Die Leute können sich ja stattdessen Goldfische kaufen, die sind schließlich Veganer, und sie stoßen ihr Kohlendioxid unter Wasser aus, da merkt es keiner.“
„Ja, und sie zünden auch keine Adventskränze an.“
„Aber aus Sicherheitsgründen sollten sie trotzdem einen Helm tragen. Wenigstens nachts, falls mal jemand ins Aquarium fällt.“
Robert zündete sich eine Zigarette an, ich blies sie ihm aber sofort aus – Klimaschutz eben. Er ließ sich davon jedoch keinesfalls beirren, sondern erneut seine Stimme erklingen. „Aus Gründen der Gerechtigkeit müsste man auch den Löwen und Krokodilen in der freien Wildbahn den Fleischverzehr verbieten.“
„Richtig. Und es müsste eine Klimapolizei geben, die das überwacht. Überleg‘ mal, wie viele Arbeitsplätze dadurch entstehen würden“, jubelte ich.
Frecherweise erlaubte sich Robert, Wasser in den Wein zu gießen: „Das ist unverantwortlich, die Polizisten hätten ein enormes Arbeitsunfall-Risiko, sie könnten doch gefressen werden.“ Das leuchtete mir selbstredend sofort ein. „Gut“, sagte ich, „dann müssen die Löwen und Krokodile eben gesetzlich dazu verpflichtet werden, sich ganztäglich in geschlossenen Räumen aufzuhalten. Meinetwegen können sie dort auch gelegentlich Adventskränze anzünden oder sie auffressen, aber nur, wenn sie einen Helm tragen. Nur noch vegan lebende Raubtiere dürfen in freier Wildbahn leben – das gilt auch für fleischfressende Pflanzen. Es geht schließlich um den Klimaschutz und damit um die Rettung der Welt“, hörte ich mich selbst rufen.
Meine durchaus wohlüberlegten Vorschläge schienen bei Robert einen tiefen Eindruck zu machen, von ihm war nichts mehr zu hören. Dann aber auf einmal doch. „Erinnerst Du Dich noch an den Sponti-Spruch aus unserer Jugend? Es ist verboten, etwas zu verbieten, hieß es damals.“
„Na und?“, entgegnete ich. „Heute würden die gleichen Leute etwas anderes sagen. Nämlich: Es ist verboten, Verbote zu verbieten.“
Ein Hoch auf den Smalltalk
Der Smalltalk bereitet vielen Menschen Schwierigkeiten. Oft wisse man nicht, worüber man sprechen soll, wenn das Thema „Wetter“ abgehakt ist. Zudem sei er in der Regel oberflächlich und inhaltslos, heißt es. Diese Vorbehalte teile ich selbstverständlich nicht, im Gegenteil. Während des Smalltalks können die Teilnehmer zu tiefschürfenden Erkenntnissen gelangen und ein geradezu unfassbares rhetorisches Niveau erklimmen. Als Beispiel hierfür mag ein Gespräch dienen, dessen Zeuge ich in einem Restaurant wurde. Natürlich weise ich den Vorwurf des Lauschens empört zurück, ich habe eben einfach nur hingehört als zwei Ehepaare mittleren Alters die ganze Welt des erfolgreichen Smalltalks mit atemberaubender Präzision präsentierten.
Meine Schwiegermutter hatte mal einen Hund, der hieße Lumpi, der konnte so lustige Sachen machen“, teilte die eine Dame stolz mit. „Wir hatten mal einen Hamster“, steuerte die andere einen wichtigen Beitrag bei. „Hamster sind ja eher kleine Tiere“, ließ sich der Ehemann der ersten Dame vernehmen. „Kinder sind auch sehr klein, zumindest am Anfang“, war von dem Mann der zweiten zu vernehmen. Dann nahm das Gespräch seinen Lauf.
„Aber Kinder machen auch sehr viel Krach.“
„Motorsägen können auch sehr laut sein.“
„Wir hatten früher auch viele Werkzeuge.“
„Ein Schraubenzieher kann ja auch sehr nützlich sein.“
„Nützlich sind auch batteriebetriebene Nasenhaarschneider.“
„Meine Nase gefällt mir heute sehr gut, früher mochte ich sie eigentlich gar nicht.“
„Nasen sind im Großen und Ganzen schon sehr wichtig.“
„Ein funktionierender Stuhlgang ist auch nicht zu verachten.“
„Ich bin früher gerne auf die Toilette gegangen, heutzutage macht es mir aber nicht mehr so viel Freude.“
„Toilettenreiniger sind ja oft im