War das ein Leben. Petra Pansch
Blaubeeren absetzen und Pausen einlegen muss. Ein trockener Husten plagt sie, besonders nachts. Frida sorgt sich sehr, weil ihre Mutter oft rotwangig aussieht und ihre Lippen rissig sind. Mutter tut das resolut mit einer Erkältung ab, kocht sich Brusttee, macht sich heiße Kartoffelwickel und es scheint, es füge sich alles zum Guten. Doch im November kommt der Husten mit dem kalten Wind und dem unwirtlichen Regen zurück. Auch die beiden älteren Schwestern machen sich jetzt große Sorgen, Mutter Hilde ist nicht mehr wie sie einst war; ihr starker Wille ist verschwunden, sie ist dünn und zerbrechlich geworden. Doch Hilde Pautz will nichts von einem Arztbesuch wissen. Sie meint: „So einen Quacksalber, den lasse ich nicht an mich ran.“ So wird es Dezember und Schnee und Kälte sind im Pommernland eingekehrt. In der Innenstadt von Naugard sind die Geschäftsstraßen festlich geschmückt. Lichter blinken, es duftet nach Tannengrün und allerlei Leckereien. Die Kinder schauen und staunen, besonders vor den Spielwarengeschäften. Dort sind viele bunte Dinge zu sehen; Schaukelpferd, Trommel, Kasperlepuppen und andere Kinderträume. Die Heilige Nacht rückt näher. Doch die Vorfreude ist diesmal in Fridas Familie getrübt, denn Mutter Hildes Zustand wird und wird nicht besser.
Die Marienkirche ist wie jedes Jahr im Advent mit einem großen Adventsstern geschmückt. Frida muss jetzt allein dorthin gehen, die Mutter schafft es nicht mehr. Außerdem ist es viel zu kalt und der lange Weg dorthin ist deren Gesundheit nicht dienlich. Also macht sich Frida auf, dick eingemummelt und im Fausthandschuh trägt sie das kleine Stückchen Bernstein mit sich. Sie will, dass der Bernstein Kraft aus der Kirche aufnimmt und diese später der Mutter zu Hause abgibt, damit sie wieder gesund wird. In der Kirche hat sie doppelt zu tun; Gebete an den lieben Gott und an den Vater. Das alles lastet jetzt allein auf ihren zarten Schultern.
Es schneit, der Nordwind bläst und es scheint eine eiskalte Weihnacht zu werden. In der kleinen Siedlungswohnung von Hilde und Frida bullert der mit Holz gefütterte Küchenofen zufrieden. Er hat heute genügend „Nahrung“ bekommen. Schwester Hiltrud hat mit Ehemann Emil eine Ladung Holz vorbeigebracht. Der Handkarren wurde von beiden mühsam durch den hohen Schnee geschoben. Jetzt packen sie noch die anderen Mitbringsel auf den Küchentisch; ein Suppenhuhn, frischgebackenes Brot, einen Krug mit frischer, jetzt fast gefrorener Milch, und eine kleine Tanne, damit es auch in dieser Wohnung weihnachtlich aussieht. Eigentlich wollte die ganze Familie bei Erna und Theo in Hohen Schönau das Weihnachtsfest feiern. Nach der Weihnachtsmesse in der Marienkirche von Naugard sollte es dann mit dem Pferdeschlitten dorthin gehen. Alle hatten sich schon darauf gefreut, doch die Krankheit der Mutter erlaubt das nicht. Es wird wohl am Heiligen Abend ein Treffen in deren Wohnung werden und ob Mutter Hilde es zur Kirche schaffen wird, das steht noch in den Sternen. Hiltrud und Emil versuchen, die kranke Hilde doch noch zu einem Arztbesuch zu überreden, aber sie lehnt ab. Unglücklich darüber stapfen sie mit ihrer Karre durch die kalte Nacht wieder nach Hause.
Trotz Müdigkeit setzt Hilde noch den großen Topf mit dem Suppenhuhn auf. Dann schaut sie im Lehnstuhl sitzend zu, wie Frida den Baum schmückt. Sie hat rote Äpfel poliert, die im Herbst gesammelten Walnüsse bemalt und Sterne aus Papier gebastelt. Den Baumbehang hängt sie liebevoll an die zarten Äste des Tännchens, das auf der Kommode steht und herrlich nach Harz duftet. Obenauf kommt ein kleines Engelchen aus glitzerndem Papier.
Mutter ist eingenickt und atmet unruhig. Sie hat heute wieder pflichtbewusst an der Nähmaschine gesessen, obwohl ihr die Brust so schmerzt. Doch sie lässt sich nichts anmerken und ist froh, dass sie ihre Näharbeit mit Mühe und Not schafft. Alles geht ihr schleppend von der Hand und der Husten unterbricht oft erbarmungslos ihre Beschäftigung.
Frida freut sich auf Weihnachten, besonders auf den Gang zur Kirche und vielleicht gibt es ja auch ein kleines Geschenk. Sie ist in ihre Arbeit versunken und freut sich, dass ihr Bäumchen so schmuck aussieht. Jetzt endlich haben sie die Weihnacht auch in ihrer Stube. In der Küche köchelt die Henne im Topf auf dem Herd, dem langsam der heiße Atem ausgeht, doch das tut der Hühnersuppe besonders gut. Sie wird am nächsten Tag ihre heilsame Kraft der Mutter spenden, die neue Stärkung braucht. Daran denkt Frida, als sie ihre abendlichen Grüße an den Vater und das Gebet in den Himmel schickt.
Die freien Tage vor dem Christfest beginnen. Lehrer Tetzlaw wünscht allen ein frohes Fest und ermahnt sie, sich nicht die Bäuche mit zu viel Essen vollzuschlagen, sondern sich in dieser Zeit besonders gottesgefällig zu benehmen. Der Rohrstock lehnt am Lehrerpult und es sieht so aus, als schaue er mit seinem Knauf auf einige besonders freche Buben. Dann schrillt die Schulklingel, alle rennen hinaus und hinter dem Zaun am Waldesrand beginnen einige besonders mutige Kinder eine zünftige Schneeballschlacht. Doch das kann der kurzsichtige Herr Lehrer schon nicht mehr sehen. Er steht noch bei Frida, erkundigt sich nach ihrer Mutter und trägt ihr Weihnachtsgrüße an sie und ihre Schwestern auf. Beide waren auch Schülerinnen bei Herrn Tetzlaw. Er streicht ihr übers Haar und schickt sie den tobenden Kindern hinterher, bevor er bedächtig zu seiner Wohnung geht, die sich im Anbau der Schule befindet. Der Rohrstock hat jetzt in den Ferien eine neue Aufgabe, er sorgt für einen rutschfreien Gang durch den vereisten Schnee.
Frida macht noch einen Abstecher zum Gemischtwarenladen und kauft ein paar Markknochen. Sie möchte für ihre Mutter daraus eine stärkende Bouillon mit Markklößchen zubereiten. Frau Buttling schreibt die Summe an. Ende Dezember wird dann alles bezahlt. So ist das hier schon immer gewesen und die hölzerne Ladenkasse hat nur an Monatsenden zu tun. Mitfühlend erkundigt sich die dickliche Frau nach Fridas Mutter, schüttelt traurig den Kopf, schnieft in ihr großes Taschentuch und geht zum großen Bonbonglas, das bis unter dem Rand voll mit süß-saurer Köstlichkeit gefüllt ist. Sie greift hinein, fischt drei Bonbons heraus und gibt sie dem Mädchen. Glücklich stopft sich Frida den himbeerfarbenen gleich in den Mund. Die anderen wickelt sie vorsichtig ins Taschentuch, dankt, grüßt, schließt die Ladentür hinter sich und macht sich auf den Heimweg. Sie überlegt hin und her wie Weihnachten diesmal wohl werden wird und freut sich, dass ihr gehäkelter Umhang aus weicher Wolle doch noch fertig geworden ist. Mit dem Häkeln hat sie es nicht so, nähen geht ihr viel schneller von der Hand, aber Mutter wird sich sicher über diesen kuscheligen Wärmespender in dunklem Blau freuen.
Plötzlich landet ein Schneeball auf ihrem Schultornister. Sie erschrickt mächtig, aber es ist nichts passiert. Ein rothaariger dünner Junge mit viel zu kurzen Hosen will so auf sich aufmerksam machen. Es ist Fritz, der Klassenclown, der zwei Bänke hinter ihr sitzt. Gemeinsam gehen sie nach Hause, er wohnt gleich im Nachbarhaus.
Drinnen in der Küche wartet Mutter schon auf Frida. Sie ist beunruhigt, denn Frida war ungewöhnlich lange unterwegs, jetzt legt sich ihre Anspannung. Sie nimmt ihre Kleine zärtlich in die Arme und erfährt, was sich alles zugetragen hat. Frida möchte ihr eines ihrer süßen Schätzchen abgeben, aber die Mutter lehnt lächelnd ab. Sichtlich ermattet faltet sie die Näharbeit zusammen. Frida dagegen wird jetzt zur Köchin und „bemuttert“ ihre Mutter.
Einige Tage später ist Heiligabend und Frida bindet sich aufgeregt ihre dunkelblaue Schleife ins Haar. Sie freut sich auf die Christmette in der Marienkirche. Die Mutter wird dick eingepackt auf einen großen Hörnerschlitten gesetzt, mit Wärmflasche und weiteren Decken ausstaffiert und so zur Kirche transportiert. Zum Glück ist trockenes Wetter und es ist windstill. So erleben sie gemeinsam; Mutter Hilde, Frida, Erna, Hiltrud, Theo und Emil diese festliche Christmette. Der Chor singt wunderschön, der Pastor predigt feierlich und der Posaunenchor trompetet fast ohne falschen Ton. Doch das Schönste ist die Weihnachtsgeschichte. Maria, Josef das Jesus Kindchen in der Krippe und alle die Tiere rund herum. Schön ist das, schöner kann Weihnachten gar nicht beginnen.
Später fahren sie die Mutter sicher auf dem Schlitten durch den glitzernden Schnee nach Hause. Zur Feier des Tages blubbert der Ofen in der guten Stube und es ist wohlig warm im Raum. Hilde ist nach der Messe müde und die großen Töchter betten sie aufs Kanapee. Mit Kissen und Decken versuchen sie es ihr recht bequem zu machen. Die Schwiegersöhne sitzen derweil am Tisch und schwadronieren, rauchen ihr Pfeifchen und trinken ein paar Schnäpse, um sich aufzuwärmen, während die drei Schwestern in der Küche das Essen vorbereiten. Es duftet schon verführerisch nach Gänsebraten und „Gebäcksel“, so wird der Kuchen in Pommern genannt. Er wurde heute zum länglich spitzen Wolf mit Rosinenaugen geformt, so ist es hier Tradition. Endlich darf Frida den Tisch decken, ihre Wangen sind vor Freude gerötet. Sie legt auf die gestärkte weiße Tischdecke das Sonntagsgeschirr und die guten Bestecke. Mutter