Celeste - Gott und der König. Sabrina Kiefner
eines Hengstfohlens zurückgehalten, welches mit einem widerspenstigen Charakter geboren zu sein schien. Ich gab ihm den Namen Achilles.
Als wir durch einen Weiler kamen, dessen wenige Häuser sich um eine Kapelle schmiegten, hielt mein Gemahl erneut an, um mit einem Pächter zu plaudern. Der Greis starrte mich neugierig an, bevor er uns willkommen hieß. Dann bat er uns um einen Moment Geduld und verschwand in seinen Gemäuern. Er kam kurz darauf mit seiner Frau zurück, die mir einen Strauß zartrosa Pfingstrosen darbot. Sie verströmten einen exquisiten Duft und ich bedankte mich überschwänglich, bevor sich unser Zug wieder langsam in Bewegung setzte. Unterwegs beglückwünschte ich Louis zu seinem herzlichen Verhältnis mit seinen Pächtern. Er gab in aller Bescheidenheit zurück, dies sei das Werk seiner Vorfahren, in deren Dienst diese Familien seit Generationen standen.
Nachdem wir ein weiteres dichtes Wäldchen durchquert hatten, stieg der Weg an und wir betraten eine lange, von alten Buchen beschatteten Allee, die uns endlich zu dem Gutshaus führte. Von seiner Anhöhe aus fiel mein Blick auf einen dunklen Weiher, in dem sich Weiden und Ulmen spiegelten. Zwischen seinem Ufer und dem Herrenhaus stand eine kleine Kapelle. Doch schon öffnete sich die schwere Haustür und die Bediensteten meines Gemahls kamen auf uns zu, um uns zu empfangen. Louis stellte sie mir vor, dann kümmerten sie sich um die Pferde und das Gepäck und ich folgte meinem Mann in den Hof, um ein Rosenbeet zu bewundern, das er rund um den Brunnen angelegt hatte. Er hob mich ohne Vorwarnung hoch und trug mich die Stufen hinauf, worauf wir die Türschwelle des Hauses überschritten, wie es bei jungen Ehepaaren der Brauch war. Ich war so glücklich in seinen Armen…
* Luzon – Luçon
* Notabeln (hist.) = Honoratioren
* Kabriolett – aus dem Französischen: leichte, einspännige Kutsche mit Lederverdeck
**Piqueur = Hengsthalter
V
Im Gutshaus Brossardière begannen meine schönsten Jahre mit einem Ehemann, der mich auf Händen trug. Meine Schwiegerfamilie nahm mich herzlich auf und lud uns zu diversen Empfängen ein, um unser junges Glück mit uns zu feiern. Jeanne stattete uns einen Besuch mit ihren drei Kindern ab. Einige Mitglieder von Louis' Familie kannte sie bereits, denn das Schloss meiner Schwester war nur fünfzehn Meilen entfernt. Im weiten Freundeskreis meines Mannes machte ich Bekanntschaft mit diversen Notabeln aus der Umgebung. Die meisten seiner Kameraden teilten unsere Vorliebe für Pferdezucht und natürlich die Jagd. Mein Gemahl hatte eine zahlreiche Equipage, an unseren Treibjagden nahmen nicht selten über hundert Jäger teil. Die Pferde, die auf unserem herrschaftlichen Hof geboren wurden, hatten einen soliden Knochenbau und viel Ausdauer; man sah ihnen ihre normännische Abstammung an. Louis verbrachte viel Zeit mit den Fohlen, die er mit den gleichen Prinzipien aufzog, wie es mein Vater getan hatte. Natürlich hatte mein Mann auch seine Schattenseiten wie alle Menschen, die er jedoch durch seine konstante Stimmung, Optimismus und seine Weltoffenheit ausglich.
Unsere junges Glück wurde schon bald durch die Geburt meiner Tochter Aminte bereichert, am 31. März 1781. Meine Großmutter, väterlicherseits, machte mir die Ehre, die Patenschaft zu übernehmen, trotz ihres beträchtlichen Alters, das sie nicht mehr genau angeben konnte. Toussaint wurde ebenfalls Pate des Kindes; er war inzwischen zum Landvogt der Ländereien Villenière, Goubrie und Droère aufgestiegen und zum Ritter geschlagen worden. Er hatte seine Familie zur Taufe mitgebracht: sein ältester Sohn hieß Guy und war bereits elf Jahre alt, der Jüngste, René, wurde erst fünf. Louis und mein Bruder schlossen Freundschaft.
Ich begleitete meinen Mann häufig auf Reisen, sei es, um unsere Familien zu besuchen oder um uns in Nantes oder Paris vom Alltag abzulenken. Im folgenden Jahr tröstete mich mein Gemahl über den Verkauf unseres Elternhauses hinweg, als mein Bruder Jean-Barthélémy den Besitz der Cartrie auf die äußerst wohlhabende Witwe des Fürsten von Meaulne übertrug. Mein Gatte war ein zuvorkommender Vater und wir führten eine glückliche Ehe, sogar eine sehr glückliche, bis zu dem fatalen Morgen, der mein Leben schlagartig veränderte. Aminte war um fünf Uhr nachts aufgewacht, was sehr eigenartig war. Im Alter von vier Jahren hatte sie sonst einen durchaus gesunden Schlaf. Die Schreie meiner Tochter beunruhigten mich, und ich stand auf, um nach ihr zu sehen. Ihr Bett stand im Vorzimmer, in welchem auch Lacoudre und eine junge Amme schliefen. Noch bevor ich an deren Türe klopfen konnte, öffnete mir meine Zofe mit bleicher Miene : „Verzeihung, meine Herrin, Ihre Tochter atmet schlecht – ich weiß nicht, aus welchem Grund. Kommen Sie schnell!“
Aminte streckte ihre Händchen nach mir aus. Als ich sie in den Arm nahm, ließen Ihre Schreie nach, doch sie weinte noch immer und ich spürte ihren rasenden Herzschlag. Sie war sehr aufgeregt und bekam kaum Luft. Ich wiegte meine Tochter sachte und sprach ihr ruhig zu, um sie zu beruhigen: „Es war nur ein Alptraum, mein Schatz.“
Als ich ein Wiegenlied sang, wurde ihr Atem regelmäßiger und schließlich schloss sie die Augen und wir legten uns wieder schlafen. Nachdem ich leise die Türe zu unserem Schlafzimmer geschlossen hatte, wunderte ich mich – ich kann mich noch genau daran erinnern – dass Louis nicht aufgewacht war. Im milden Licht des Kandelabers beugte ich mich über ihn und flüsterte ihm leise Worte zu, bis ich plötzlich innehielt: sein Gesicht war leichenblass. Ungläubig und entsetzt begriff ich, dass alle Hilfe zu spät kommen würde und wollte schreien, doch meine trockene Kehle brachte nicht den kleinsten Laut zustande. Ein Hoffnungsschimmer wallte in mir auf und ich näherte meine Hand seinem Antlitz. Noch bevor ich ihn berührte, spürte ich die Kälte seiner Haut. Ich warf mich kreischend auf meinen toten Ehemann und verlor das Bewusstsein.
Louis war erst zweiunddreißig Jahre alt gewesen. Die Ärzte führten sein plötzliches Ableben auf Herzschwäche oder Apoplexie zurück. Diese Todesarten konnten in jedem Alter zuschlagen, wenn sie auch nach dem vierzigsten Lebensjahr sehr viel öfter vorkamen. Gott sei Dank, dass ich kaum die Zeit fand, mich über die Grausamkeit meines Schicksals zu beklagen, denn ich musste mich um alles kümmern: die Bestattung, die Formalitäten bei den Behörden und die Pachthöfe. Meine Tochter wurde Haupterbin der Domäne und ich musste mich um die Verwaltung unserer umfassenden Besitztümer kümmern. Die unterschiedlichsten Aufgaben kamen auf mich zu, denn die Mühlen drehten sich weiter, die Trauben reiften und das Vieh verlangte nach seinem Heu, ganz ohne sich darum zu kümmern, dass ich Witwe geworden war! Meine Tochter brauchte größere Aufmerksamkeit, jetzt wo ihr Vater uns so sehr fehlte. Lacoudre stand mir damals in dieser schweren Zeit bei und Marie-Aurore kam für einige Tage zu Besuch. Aminte zeigte sich tapfer, doch stellte sie mir schmerzhafte, ihrem Alter entsprechende Fragen, bevor sie friedlich einschlief und mich so um meine Nachtruhe brachte.
Seitdem mir die Leitung seiner Unternehmungen auferlegt worden war, stellte ich fest, wie unermüdlich und redlich mein Mann unseren Gutshof verwaltet hatte. Unsere Pächter unterstützten mich mit Rat und Tat bei meiner neuen Verantwortung; ihre Angehörigen zollten mir großen Respekt. Dies war bei gewissen Mitgliedern meiner Schwiegerfamilie nicht der Fall: sie statteten mir am Folgetag der Beerdigung meines Mannes einen Besuch ab, bei dem sie im Gedenken an Louis verschiedene Dinge einheimsten. Ich versuchte keinesfalls, meine Enttäuschung zu verbergen, ließ sie aber – in christlicher Barmherzigkeit – walten. Erst später wendete ich mich von ihnen ab, denn ihr ungeniertes Verhalten hatte mich verletzt.
Die meisten unserer Pächter kannte ich längst, andere traf ich nun zum ersten Mal. Sie zeigten sich zuvorkommend und hatten Mitleid mit uns und unserem Malheur. Die vielfältigen, ungewohnten Pflichten zwangen mich dazu, meinen Pferdebestand zu verkleinern. Louis hatte seit unserer Heirat kein einziges Fohlen verkauft!
Er hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, Interessenten und Pferdehändler auf das Folgejahr zu vertrösten und immer die gleiche Antwort parat gehabt: „Wir hängen viel zu sehr an unseren Pferden. Was für ein abscheulicher Gedanke es wäre, sie zu verkaufen!“
Aber Louis war nicht mehr da. Und nur wenige der Freunde, die sich früher in unseren Salons gedrängt hatten, verkehrten noch mit mir, seit er von uns gegangen war.
Ich fühlte seine Gegenwart noch lange Zeit wie eine fast greifbare Spannung, die sich allmählich aufzehrte. Ich hatte einen Traum, der sich mit erbarmungsloser Regelmäßigkeit wiederholte: ich wachte an seiner Seite auf und erlebte erneut den grausigen Moment, in dem ich seinen leblosen Körper