Celeste - Gott und der König. Sabrina Kiefner
nie im Herrensitz. Alles Gute zum Geburtstag!“
Mit diesen Worten zog mein Vater ein hellrotes Seidentuch von einem kostbaren Damensattel.
Seine Sitzfläche und die Hörner* waren mit Hirschleder überzogen, einem edlen Material, das der Reiterin guten Halt bot. Das Sattelblatt der rechten Seite, das den Blicken ausgesetzt war, war mit Blumenornamenten bestickt worden und enthielt ein kleines Taschentuchetui aus Leder. Der Sattel roch wunderbar nach Leder und Sattelöl, doch sein Duft störte meine Mutter so sehr, dass sie sich beklagte und dem Diener auftrug, das gute Stück in die Sattelkammer zu bringen. Ich stand immer noch sprachlos davor und bedankte mich euphorisch, unter Freudentränen.
Ich hatte zunächst Schwierigkeiten, das Gleichgewicht in dieser neuen, ungewohnten Haltung zu finden. Dank unseres erfahrenen Reitmeisters, Marquart, gewöhnte ich mich jedoch schnell an die neue Sitzweise und lernte weitere Dressurlektionen. Mein Pony stand hoch im Blut und beherrschte bereits Pirouetten. Der alte Marquart hatte mir das Aufsitzen erleichtert, indem er ihm den Kniefall gezeigt hatte – eine Zirkuslektion, bei der sich der Wallach in einer Art Knicks auf ein Kniegelenk stützte und das andere Bein ausstreckte, sodass ich bequem in den Sattel steigen konnte. Schon bald würde Sultan in die Kunstsprünge eingeführt werden!
Ich war noch keine elf Jahre alt, als am 14. Februar 1764 ein gewisser René Sapinaud de Bois-Huguet meine Schwester Jeanne zur Frau nahm. Er stammte aus einer ritterlichen Offiziersfamilie, der im späteren Bürgerkrieg eine wichtige Rolle zukam. Die Hochzeit fand auf der Cartrie statt und über zweihundert Gäste waren zu dem glücklichen Ereignis eingeladen. Der Herzog der Bretagne erwies unserem bescheidenen Landgut die Ehre seiner
Anwesenheit. Meine große Schwester sah märchenhaft aus mit ihren blonden, um die Stirn gelegten Zöpfen. Der Schleier ihres wunderschönen Kleids wurde von zwei kleinen Mädchen getragen, während sie würdig am Arm meines Vaters durch den Kirchgang schritt. Meine Mutter war in Tränen ausgebrochen – dabei war es sie selbst gewesen, die darauf bestanden hatte, ihre Erstgeborene mit M. de Sapinaud zu verheiraten. Die Welt der Erwachsenen schien mir oft unbegreiflich, doch die Festlichkeiten waren faszinierend…bis zu dem Moment, an dem Jeanne in die Hochzeitskutsche stieg: erst dann begriff ich plötzlich, dass meine Schwester unser Elternhaus für immer verlassen würde, um sich im Schloss meines Schwagers einzurichten. Da war ich diejenige, die Tränen in den Augen hatte.
Ich sah meine Schwester Jeanne im folgenden Jahr wieder, zur Taufe ihrer Tochter, Charlotte. Das winzige Kind war in weiße Spitze gewickelt, nur der kleine rote Kopf, der von einem blonden Flaum überzogen war, lugte hervor. Das Mädchen schrie aus vollen Kräften während der kirchlichen Zeremonie. Ein großartiger Empfang erwartete uns anschließend: Jeannes Familie lebte in einem prachtvollen Schloss, das Barbinière genannt wurde.
Toussaint nahm mich manchmal mit auf seine Ausritte: er auf seinem stolzen Jagdpferd, ich im Damensattel meines schönen Sultans. Wir ritten durch die Alleen bis zur Burg von Landeronde, die etwa eine Stunde entfernt war. Es war meine bevorzugte Runde, die uns in die Frische des Unterholz führte, wo uns im Galopp Zweige das Gesicht peitschten und mir ein begeistertes Kichern und seltener einen kleinen Aufschrei entlockten. Auf einem dieser langen Ritte bat ich meinen Bruder, seine Feuerwaffen ausprobieren zu dürfen, was er mir versprach. Er ließ mich bis zu meinem zwölften Lebensjahr warten, bis er endlich meinen wiederholten Bitten nachkam. Toussaint erklärte mir die erstaunliche Technik der Musketen und wies darauf hin, was ich beim Abfeuern zu beachten hatte. War ich nicht damals schon in meinen geheimsten Träumen eine Kriegerin im Damensattel, aufgebracht gegen den Krieg, der meine Brüder verschluckt hatte?
Mein Vater wünschte zu dieser Zeit, dass Toussaint eine gewisse Mlle de l'Etoile heirate, eine äußerst reiche Kousine, die er adoptiert hatte nachdem sie beide Eltern verloren hatte. Allerdings war mein Bruder einem anderen Mädchen zugetan: Mlle de Turpin war die bildhübsche und lebenslustige Enkelin des Marschalls von Loewendahl. Meine Eltern fügten sich Toussaints Plänen und schon bald feierten wir die Verlobung mit seiner Auserwählten. Mein Bruder machte einen so glücklichen Eindruck und ich freute mich für ihn. Doch am Abend des Verlobungsfestes, als wir gerade bei Tisch über die Hochzeitsvorbereitungen sprachen, entschuldigte zog sich Mlle de Turpin und zog sich kreidebleich zurück. Die junge Verlobte blieb daraufhin mehrere Tage auf ihrem Zimmer, vom Fieber geschüttelt, bis sie schließlich nach einer Woche ihrer Krankheit, den Pocken, erlag. Mein Bruder war von seinem Unglück überwältigt. Erst nach langer Trauerzeit begann er, über die vom Vater vorgeschlagene Braut nachzudenken, und hielt schließlich um ihre Hand an. Das junge Paar gab sich 1768 das Jawort und Toussaint übernahm die bedeutende Lehnsherrschaft des Grafen von Villenière, im Westen Angers, in dessen Schloss ihn große Aufgaben erwarteten.
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Die vielen leeren Zimmer in unserem Haus machten mir manchmal das Herz schwer, doch wie jedermann weiß ist kindliche Traurigkeit gewöhnlich nicht von langer Dauer. Die Vormittage waren dem Katechismus und unserem Hauslehrer gewidmet. Nach dem Essen gingen wir zu Marquart in den Pferdestall, der aus uns ausgesprochen gute Reiter machte und sein Wissen großzügig mit uns teilte. Sehr viel seltener begleitete ich meinen Bruder, der mit einem Stallburschen Freundschaft geschlossen hatte, zum Frösche fangen, zu Mamans Verzweiflung!
Einige Jahre später feierten wir die Verlobung meiner zweiten Schwester. Marie-Adelaide wurde dem renommierten Ritter des königlichen Ordens Saint-Louis mit dem klangvollen Namen Hercule de la Grandière versprochen. Bei der grandiosen Feier ordnete meine Mutter an, drei leere Plätze im Gedenken an meine verstorbenen Brüder zu bewahren. Mein Vater sprach sich zunächst gegen diese Idee aus, doch dann gab er seiner kranken Frau nach. Sie führte weiterhin ein zurückgezogenes Leben und es gelang ihr niemals, das Kapitel ihrer verlorenen Kinder abzuschließen. Sie verschwand oft stundenlang im Zimmer der Jungen, in dem nichts verändert worden war und betete den Rosenkranz im Schein der Kerzen. Mit fünfundfünfzig Jahren bot Maman das Bild eines erschöpften Menschen; ihre Gesundheit war äußerst zerbrechlich und unsere Amme, Lacoudre, verbrachte mehr Zeit mit uns als sie selbst.
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Das nächste Jahr war für mich von einer unvergesslichen Erfahrung geprägt. Ich ritt meine erste Jagd, die von einem Freund meines Vaters organsiert wurde: Jean-Nicolas Dufort, der zukünftige Comte de Cheverny. Was für ein Abenteuer! Mehr als dreihundert Pferde ließen den Boden erbeben, angeführt von einer zahlreichen Meute Jagdhunde. Im Galopp rief mein Vater mir zu: „Ich habe der Weisheit schon immer die Tollheit der Leidenschaft vorgezogen!“ Ich konnte nur ein engelhaftes Lächeln darauf erwidern, denn mir fehlten die Worte. Schon bald würde ich seine Parole zu meiner Devise machen.
Das Schloss von Cheverny wurde zu dieser Zeit von seinem neuen Eigentümer restauriert. M. Dufort ließ einen wunderschönen Park entwerfen, den es noch immer gibt. Ich entdeckte mit größter Neugier die unbekannte, faszinierende Welt der Jagd. Die Sankt-Huberts-Messe, die Segnung der Reiter und Pferde, die heulende Hundemeute und die bezaubernden Kleider der Reiterinnen. Man konnte die diversen Jagdgesellschaften an den Farben ihrer Jacken erkennen, die Reiter bliesen in ihre blitzenden Jagdhörner und mein Vater lächelte mir zu. Es gab so viele Details zu bestaunen und ich ließ mich, geradezu berauscht vor Glück, bereitwillig von der verrückten, wilden Stimmung der Jagd mitreißen.
Mein Pony folgte brav den anderen Pferden und sprang mit Leichtigkeit über Hecken und Bachläufe. In ein hellbraunes Kleid aus englischer Wolle gekleidet, galoppierte ich vor meinem Vater her, der mich nicht aus den Augen ließ. Am Abend aßen wir Wildschweinbraten und Perlhühner und unser Gastgeber machte mir Komplimente über die Geschicklichkeit, mit der ich der Treibjagd gefolgt war. Diese Augenblicke brannten sich in meine Erinnerung ein wie die schönsten Tage meiner Kindheit. Wir blieben vier Tage vor Ort, bevor wir uns auf den Rückweg entlang der Loire machten.
Mein Charakter festigte sich mit dem Kontakt zu den Pferden, die Zweiflern kein Vertrauen schenkten. Marquart sagte immer, dass sich Pferde nur dem Reiter unterwerfen, der sie mit klaren Befehlen und einfachen Hilfen führt. Die Jahre vergingen wie im Flug und ich hatte die Gelegenheit, das romantische Schloss am Ufer der Loire in seinem neuen Glanz wiederzusehen. Es lag auf dem Weg unserer Reise nach Paris: in Begleitung des Herzogs von Cheverny nahm mich mein Vater mit auf die Hochzeit des zukünftigen Königs Ludwig XVI mit einer gewissen Marie-Antoinette. Es war