Celeste - Gott und der König. Sabrina Kiefner
zu begeben. Mein Bruder Alexandre war in ein Kloster eingetreten; unser Nesthäkchen hatte sich indessen im Heer des Königs engagiert.
Wir feierten meinen siebzehnten Geburtstag auf der Fahrt und der Freund meines Vaters empfing mich diesmal mit mehr Galanterie. Er bemerkte, dass meine Schönheit die Eifersucht der Kurtisanen des Königs auf sich ziehen könnte! Auf diese charmante Anspielung hin färbte sich mein Antlitz purpurfarben und ich verbarg es, indem ich durch die Fenster der Kutsche auf die Wiesen sah. Mein Vater spürte, dass ich peinlich berührt worden war und brachte das Gespräch schnell auf andere Themen. Die Festivitäten am Hof von Versailles waren von unbeschreiblichem Reichtum. Es war uns nicht gelungen, die Kapelle zu betreten, die viel zu klein war für die vielen Menschen, die herbeigeströmt waren, um an der Feier teilzunehmen. Von weitem sah ich den Erzbischof von Reims, aber wir mussten bis zum Ende der Zeremonie warten, um endlich einen Blick auf die zukünftige Königin Frankreichs werfen zu dürfen, die ein herrliches Kleid aus silbernem, mit Diamanten besetzten Stoff trug. Mein Vater teilte mir mit, dass die Kronprinzessin des Habsburger Königshauses erst vierzehn Jahre alt war. Ich erfuhr, dass sie vom Hof Österreichs in einem ganzen Menschenzug mit vierhundert Pferden angereist war. Sie würde für den Frieden in Europa bürgen und unsere beiden Länder miteinander verbinden, die dadurch besser gegen die Allianzen des Nordens gefeit wären.
Doch die Kronprinzessin machte einen so jungen und zerbrechlichen Eindruck! Seine Majestät, der Enkel des Königs, schien mir ebenfalls sehr unerfahren, um bald an der Spitze unseres geliebten Landes zu stehen. Er war genau ein Jahr jünger als ich. Wir verfolgten den Empfang der Botschafter, um uns danach zum berühmten Spiegelsaal zu begeben, der von tausend Lichtern erhellt war. Dort wurden die Spiele des Königs gegeben. Ich beobachtete durch die riesigen Fenster das Kommen und Gehen in den prächtigen Gärten, in denen wunderschöne Wasserspiele sprudelten. Da ich nicht sehr hochgewachsen war, konnte ich hinter den vielen aufgeputzten Menschen, die sich um das herrschaftliche Paar drangen, nichts sehen. Man hatte ein Feuerwerk am späten Nachmittag angekündigt, doch plötzlich färbte sich der Himmel grau und bedrohliche, schwarze Wolken zogen auf. Donnerschläge übertönten das Orchester und ein Wolkenbruch ergoss sich über die riesigen Menschenmengen im Park, die bis auf die Knochen genässt wurden und durch das Tosen des Unwetters hörte man kaum die Durchsage, dass das Feuerwerk unter diesen Umständen abgesagt werden musste.
Ein Besuch der kurz zuvor fertiggestellten, königlichen Oper sollte uns für das verpasste Spektakel entschädigen. Ich war indessen enttäuscht: mein erstes Feuerwerk war buchstäblich ins Wasser gefallen. Dank der guten Beziehungen unseres noblen Freundes hatten wir die Ehre, von einer Loge aus das Hochzeitsmahl beobachten zu dürfen. Die Familien des Königspaars waren hier vereinigt und ich bewunderte die kunstvoll angerichteten Speisen, die bunten Blumendekorationen auf den Tischen und die blitzenden Instrumente der Musiker. Meine Augen glänzten vor Faszination von den Kleidern der reich geschmückten Damen und den vielen herrlichen Eindrücken.
Zahlreiche Besucher drängten sich darum, das junge Hochzeitspaar in die königlichen Schlafgemächer zu begleiten, doch mein Vater wollte bei der traditionellen Überprüfung der Bettlaken, die er als peinlich empfand, nicht teilnehmen. Wir zogen uns in das Herrenhaus zurück, in dem wir die Gastfreundschaft eines Verwandten genossen. Bereits am nächsten Morgen verabschiedeten wir uns von unserem Gastgeber, um uns auf die lange Strecke nach Hause zu begeben, während der Herzog von Cheverny vor Ort verweilte, um die weiteren Festivitäten zu verfolgen, die sich bis Ende Mai hinzogen. Bei seinem Besuch im folgenden Sommer erzählte er von dem traurigen Zwischenfall, der sich am Ende der Feiern abspielte. Das Feuerwerk auf dem Platz der Concorde, das den Höhepunkt der Festivitäten darstellte, war zu einer Katastrophe ausgeartet: eine Explosion hatte den Holzturm in Brand gesetzt, in dem die Sprengmeister arbeiteten. Das Volk, das sich auf dem riesigen Platz tummelte, geriet außer Kontrolle und die panische Raserei der Massen verursachte eine hohe Anzahl von Opfern: über hundert Menschen wurden in dem Gedränge zerquetscht! Dies war der verhängnisvolle Auftakt einer tragischen Herrschaft!
* Meile, Fußmeile, Reise- oder Wegstunde: im Gegensatz zur englischen Meile etwa 4 km
* Anjou - die Gegend um Angers
* Hörner: Gabelförmige Vorrichtung an der Vorderseite des Damensattels, in der das rechte Bein der Reiterin ruht
III
Das Mittagessen wird in der großen Küche im Erdgeschoss serviert. Celeste steigt, auf ihren Krückstock gebeugt, langsam die Stufen hinab, eine nach der Anderen. Dabei bemerkt sie, dass es sehr viel einfacher für sie ist, diese tägliche Übung auf sich zu nehmen, als ihrer Dienerin aufzubürden, alle Mahlzeiten in den ersten Stock zu tragen. Die beiden Damen betreten den Empfangsraum, den Aurore am Vortag bewundert hatte und sie bleibt vor der Radierung der Kriegerin zu Pferd stehen und erkundigt sich: „Ist die Dame auf dem Bild nicht Ihre Schwester, Madame de Sapinaud?“
Celeste wendet sich, sichtlich amüsiert über diese Frage, um und gibt lachend zurück: „Meine Schwester Jeanne mit einer Waffe? Sie belieben zu scherzen! Aber nein, meine Liebe, ich war es, die an der Seite des General Charette kämpfte. Es handelt sich hier um das Scharmützel der Clouzeaux, von denen ich Ihnen in den nächsten Tagen berichten werde. Haben Sie die Memoiren meiner Schwester gelesen?“
Aurore läuft rot an, sie ist sich ihrer mangelnden Vorbeitung bewusst. Noch auf der Reise hatte sie versucht, diesen Umstand durch geeignete Lektüre auszugleichen, doch das Lesen auf der Fahrt war ihr nicht bekommen. Sie rechtfertigt sich : „Um ehrlich zu sein, habe ich das Buch nur überflogen. Mein Lehrmeister hat mich mit so vielen Büchern ausgestattet, dass es mir unmöglich war, sie vor meiner Abreise zu lesen. Ich werde dies nachholen, sobald ich zurück in Paris bin.“ Die betagte Dame erwidert : „Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf, dann lesen Sie besser die Memoiren der Marquise de la Rochejaquelein als die meiner Schwester. Sie werden Ihnen eine weniger konfuse Vorstellung vom Krieg der Vendee vermitteln, es sei denn, Sie interessieren sich im Besonderen für das das Los der Frauen, die auf ihren Ländereien blieben. Sie wurden Zeugen unbeschreiblicher Grausamkeiten.“
Nach einer Pause fährt Celeste fort: „Um auf meine Schwester zurückzukommen – ich denke, sie kann nicht viel besser mit der Feder umgehen als mit einer Waffe, bei allem Respekt, den ich ihr schulde! Jeanne nahm an keiner einzigen Schlacht teil. Als der Krieg ausbrach, war sie bereits Witwe. Ihre Söhne waren ausgewandert und sie wurde von ihrer Tochter und ihren Enkeln getrennt, nach denen sie verzweifelt suchte. Meine Schwester versteckte sich in den Wäldern, die ihren Besitz umgaben, als sie vom Staat enteignet wurde. Ihre Unterstützung unserer Bewegung beschränkte sich auf das Sticken der heiligen Herzen, die unsere Soldaten auf ihren Wämsen trugen. Ich möchte weder schlecht über sie reden, geschweige denn ein Urteil über sie fällen. Ich empfinde längst keinen Groll mehr, glauben Sie mir, obwohl Jeanne sich von mir abgewandt hat – aus Gründen, die Sie später erfahren werden. Ihre Memoiren handeln vor allem von der Lage derer, die der königlichen Armee nicht gefolgt waren. Sie erwähnte darin Gerüchte über den Ablauf verschiedener Schlachten, die ihr zu Ohren kamen, die aber nicht ganz der Wirklichkeit entsprachen. Und leider wurden dabei eine Menge Menschen verschwiegen, die es verdient hätten, darin vorzukommen, absichtlich oder nicht, das ist mir nicht bekannt.“
Aurore spürt, dass sie es hier mit einem heiklen Thema zu tun hat. Sie fragt Celeste nach den Namen der Anführer, die auf den Stichen zu sehen sind: der Marquis de Bonchamps, Lescure und der erste General, Cathelineau. Es gibt auch ein Portrait des jungen Charette in seiner Uniform der königlichen Marine. Die junge Frau folgt Celeste in die Küche und setzt sich ihr gegenüber. Während des Essens plaudert die Gastgeberin mit ihrer Dienstbotin und schlägt Aurore vor, nach der Mahlzeit im schattigen Hof eine Tasse Kaffee zu trinken.
Erst dort kommt sie auf ihre Vertraulichkeiten zurück: „Ich hatte ein etwas kühles Verhältnis zu meiner Schwester Jeanne, die uns vor zehn Jahren verließ. Wir waren so verschieden! Meine älteste Schwester wies alle Vorzüge einer perfekten Ehefrau und Mutter auf. Sie häkelte Tischdecken, die der Zartheit Brüsseler Spitzen gleichkamen. Ihre Biskuittörtchen waren weicher und saftiger als die unserer Köchin aus Lyon. Jeanne wusste sich immer nützlich zu machen. Ihre Konfitüren waren perfekt: nie waren sie von einer grünlichen Schimmelschicht überzeugen, wie etwa meine eingemachten Erdbeeren schon nach wenigen