Celeste - Gott und der König. Sabrina Kiefner

Celeste - Gott und der König - Sabrina Kiefner


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das heiße Gebräu, um meine treue Amme nicht zu enttäuschen, die mich von Geburt an versorgt hatte. Ich gedachte meiner verstorbenen Mutter und verbrachte ganze Nächte über Briefe und Bücher gebeugt. Jeden Abend zog ich mich zurück in die kleine Kapelle, die ein Ritter der Familie Chappot erbaut hatte, und zündete die Kerzen an. Ich hatte die Gepflogenheit, meine Beichte beim Probst der Fontenelles-Abteil abzulegen, Pierre de Mornac. Eines Morgens, es war am Palmsonntag, ritt ich in Begleitung der Tochter einer Nachbarin zur Messe. Das Mädchen half mir oft im Stall aus und hatte sich unter meiner Instruktion zu einer versierten Reiterin entwickelt. Wir nahmen einen Umweg in Kauf, um die im Frühjahr durchnässten Waldpfade zu meiden.

      Auf einem breiten, sandigen Weg angekommen, ließen wir die Halbblüter in einen angenehmen, ruhigen Galopp fallen. Die Sonne schien durch den morgendlichen Dunst und aus einer überschwänglichen Frühjahrslaune heraus gaben wir ihnen die Zügel hin. Das Wettrennen, das wir uns lieferten, löste Lachsalven aus, die unsere Pferde, die aus reinem Vergnügen voranzupreschen schienen, noch weiter anstachelten. Doch dann, ohne dass ich begriff, was geschah, erschrak mein Wallach vor einer Bewegung und machte einen gewaltigen Satz zur Seite, bei dem ich meinen Steigbügel verlor und fast gestürzt wäre. Meiner jungen Freundin, die sich dicht hinter mir gehalten hatte, war es indessen gelungen, ihr Pferd zu zügeln; sie näherte sich mir beunruhigt und fragte nach meinem Befinden. In diesem Moment hörten wir eine tiefe Stimme, die uns unterbrach, obgleich kein Mensch zu sehen war: „Meine Damen, es tut mir leid!“

      Wir sahen uns um, während die Stimme mit einem höchst seltsamen Akzent fortfuhr:

      „O Herr, sei gesegnet, sie sind gesund und wohlbehalten! Ich bitte Sie um Verzeihung, werte Damen.“

      Inmitten der Ginsterbüsche richtete sich mit lautem Rascheln ein bärtiger Riese vor uns auf. Er stand auf einer kleinen Erhöhung im Gegenlicht der Sonne, was ihn noch größer erscheinen ließ. Der Hüne musste gute sechs Fuß und zehn Zoll* messen – ich hatte noch nie einen so hochgewachsenen Mann gesehen! Er hielt ein schwarzes Pferd am Zaum, das ebenfalls von enormem Wuchs war. Er schien einem Gemälde von der Landung der Wikinger an den Küsten Frankreichs entsprungen zu sein, und ich sagte mir, dass er Wikingerblut in den Adern haben musste. Die rote Uniform mit weißem Besatz des Fremden verriet nichts über seine Herkunft, gleichwohl mir eine gewisse Anzahl an Armeemonturen geläufig war, da ich aus einer Offiziersfamilie stamme..

      Der Koloss nahm seine Kopfbedeckung ab und machte eine elegante Verbeugung. Dabei fiel mir sein langes, blondes Haar auf, das im Gegensatz zu seinem kupferroten Spitzbart stand. Wegen seines Akzents, der dem englischen ähnelte und doch anders klang, verstand ich seinen Namen nicht.

      „Mein Kompliment, werte Dame! Eine weniger sattelfeste Reiterin hätte sich Hals und Bein gebrochen!“, sagte er mit strahlendem Lächeln.

      Sein eigenartiger Akzent konnte auf keinen Fall mit seinen nordischen Vorfahren zusammenhängen. Als er es wagte, auf uns zuzukommen, sah ihn die junge Reiterin mit ängstlichem Blick an, worauf er stehenblieb. Er entschuldigte sich erneut mit höflichen, eines Edelmannes würdigen Wendungen. Da mir offensichtlich die Sprache versagte, schlug er die Hacken zusammen und nickte uns nochmal zu, bevor er wieder aufsaß und genauso schnell verschwand, wie er aufgetaucht war.

      Wir sahen ihn kurz darauf wieder, nach dem Gottesdienst. Mein Beichtvater kam mit dem Iren auf uns zu.

      „Madame Chappot, ich habe die Ehre, Ihnen meinen Neffen vorzustellen, der Unteroffizier William de Bulkely.“

      Diesmal ließ es sich der junge Mann nicht nehmen, mir die Hand zu küssen und während sein Onkel erläuterte, wie der Ire nach Frankreich gekommen war, tauchte mein Blick in die Tiefen seiner hellen, wassergrünen Augen, die im Sonnenlicht geradezu durchsichtig wirkten.

      Ich hörte mich sagen: „Wir hatten bereits das Vergnügen, aber ich konnte mir Ihren Namen nicht einprägen…“

      „Bulkeley“, wiederholte er ganz langsam.

      Ich erfuhr, dass seine irische Truppe, das Walsh-Regiment, auf der südwestlich gelegenen Ile d'Oleron in Garnison war. Die Anwesenheit der irischen Soldaten ging auf die Belagerung von Limerick zurück. Ich hatte noch nie von der Belagerung von Limerick gehört!

      Vater Mornac fügte hinzu: „Mein Neffe ist ein Nachkomme der souveränen Prinzen von Wales. Einer seiner Ahnen war Erzbischof von Dublin: Lancelot von Bulkeley.“

      Von diesem Moment an kreuzten sich unsere Wege mehrfach – die Weinberge der Abtei grenzten an meine Ländereien. Ich verdächtigte Monsieur Bulkeley, diese Treffen gezielt stattfinden zu lassen, sie schienen mir zu regelmäßig, um sie dem Zufall zuzuschreiben. Dann erhielt ich Einladungen zu Empfängen von ihm. In einem dieser Briefe gestand er mir seine grenzenlose Bewunderung und bezeichnete mich als die „Gewandteste aller Damen im Sattel“. Es wäre eine Lüge, zu behaupten, seine Worte hätten mich nicht berührt, seine Briefe mir nicht geschmeichelt, und doch beschloss ich, sie zu ignorieren. Einerseits war ich noch in Trauer. Andererseits befürchtete ich, Gemunkel auf mich zu ziehen. Daraufhin sah ich Monsieur Bulkeley mehrere Monate nicht mehr, trotz häufiger Ausritte.

      Eines Tages fuhr ich zur Abtei, um Landwaren gegen verschiedene Heilkräuter einzutauschen, die dort von den Mönchen angebaut wurden. Vater Mornac befand sich vor der Pforte im Gespräch mit Monsieur Bulkeley, der im Sattel saß und vermutlich auf Abreise war.

      Auf seinen Anblick reagierte mein Herz auf ungewohnte Weise, denn ich spürte ein deutliches Stechen, als ich sah, wie der Leutnant seinen Onkel verließ und auf mich zukam. Meine Hände, in denen die Leinen* ruhten, begannen zu zittern, und mein Pferd schnellte nach vorn!

      Auf dem Rückweg blieb ich nachdenklich. Es war mir unangenehm, vor dem jungen Mann errötet zu sein wie eine Siebzehnjährige, ganz zu schweigen vom Bocksprung meines braven Kutschpferdes, das sich vor seinen Augen meiner Kontrolle entzogen hatte.

      Kaum eine Woche später, die Sonne ging gerade unter, sah ich Monsieur Bulkeley am Waldrand, wo er erneut wie aus dem Nichts erschien. Ich war dabei, Sauerampfer und Brennesseln zu sammeln, mit denen meine Köchin einen saftigen Farci** zubereitete. Er stieg eilig ab und kam auf mich zu.

      Als er meine Hand nahm und begann, unverständliche Sätze zu stammeln, spürte ich angenehme Schauer im Nacken und musste mir eingestehen, dass ich einer ansteckenden und wunderbaren Krankheit zum Opfer gefallen war: ich war verliebt!

      * fünf Fuß und zehn Zoll = 1 m 90

      * Leinen = lange Zügel, die beim Fahren mit Pferden verwendet werden

      ** le farci = regionale Spezialität: eine Art Auflauf mit Spinat, Brennesseln oder wildem Mangold

       VI

      An diesem Abend, in der einsamen Stille des Waldrands, machte der Ire einen sehr nervösen Eindruck. Nachdem er ein paar Höflichkeiten von sich gegeben hatte, erwies er sich als äußerst gesprächig. Er berichtete stolz von einem seiner Onkel, dem ehemaligen Oberst des Walsh-Regiments, der im Heer des Königs zu Ehren gekommen war. Mit seiner Hilfe und der eines illustren Verwandten namens Richard Butler war er mit neunzehn Jahren in der Elitetruppe des Grafen von Serrant aufgenommen worden. Ich erfuhr, dass die Offiziere seiner Garnison von den besten, großteils noblen Familien Irlands abstammten. Seine Vorfahren hatten der britischen Krone den Dienst verweigert und die Briten unter den Ordern des Marschalls von Sachsen auf der Schlacht von Fontenoy bekämpft. Die sechshundert Soldaten des in früheren Zeiten genannten Bulkeley-Regiments hatten seit dem Jahre 1753 an allen Kampagnen der französischen Krone teilgenommen. Ich lächelte, ohne meine Ernte zu unterbrechen. Nach einem Augenblick des Schweigens entschuldigte er sich, mich gestört zu haben und hob den Kopf seines grasenden Pferdes an, um ihm die Zügel überzustreifen.

      „Sie haben mich nicht im Geringsten gestört“, antwortete ich, „sehen Sie doch, mein Korb ist voll.“

      Er grüßte mich und machte sich im Trab auf den Pfad, der am Wald entlangführte.

      Ich sah ihm nach. War es möglich, dass er mein Geburtsjahr kannte oder hatte er es aus Zufall erwähnt? Diese und andere Fragen schossen mir durch den Kopf, als ich den mit Grünzeug gefüllten Weidenkorb nach Hause


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