Wanderfieber. Christian Zimmermann

Wanderfieber - Christian Zimmermann


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liegen und eigentlich möchte ich nach dieser Ortschaft irgendwo im Wald den Feierabend einläuten. Aber da kommt kein Wald. Es zieht eine Siedlung nach der anderen an mir vorbei und weit und breit entdecke ich kein geeignetes Plätzchen zum Schlafen. Ich schleppe mich lustlos weiter. Eingangs Pförring liegen auf der rechten Seite einige idyllische Baggerseen. Ein unübersehbares Schild sagt da aber klipp und klar: «Feuer machen und Campieren verboten»! Ich fluche innerlich. Das wäre der perfekte Platz gewesen. 400 Meter weiter, am anderen Ende der Seenlandschaft, versuche ich es noch einmal. Jawohl, hier verbietet mir kein Schild, zu übernachten. Ich biege in den schmalen Pfad ein, als mir ein Angler in Vollmontur entgegenkommt. Dieser will natürlich wissen, was ich hier mache. Nachdem ich ihm mein Abenteuer geschildert habe, brummt er in seinem breiten, bayerischen Akzent: «Reschpekt!» Ich frage ihn, ob ich hier irgendwo zelten dürfe. Das sei kein Problem und dann führt er mich durch ein wahres Labyrinth von Pfaden an eine herrliche Stelle. «Wer zu Fuss bis nach Moskau wandert, verdient den besten Platz!» Nun muss ich aber lachen, weil genau bei diesem Traumplatz wieder ein Verbotsschild steht! «Nur keine Panik, falls jemand lästige Fragen stellen sollte, sag einfach, der Peter von den «Petri Jüngern» habe es dir erlaubt. Ich bin der Pächter dieser Hälfte, die andere Seite der Seen gehört einem anderen Verein, wo ich aber auch Mitglied bin.» Ich richte mich häuslich ein, währenddessen Peter am See sein Glück versucht. Fluchend kommt er zu mir zurück. Er habe dummerweise seinen Haken im Gestrüpp verheddert und Ersatz habe er keinen dabei. Mit einem festen Händedruck verabschiedet sich der sympathische Mann von mir. Ich habe gerade den Inhalt der Büchse «Chili con carne» genussvoll verspeist, als ein anderer Fischer vorbeikommt. Riecht das nach Ärger? Nein, der pensionierte Mann stellt sich als Karl-Heinz vor und er sei der andere Pächter. «Jo mei, das hat der Peter sehr gut gemacht, dir den besten Platz zur Verfügung zu stellen.» Er erzählt mir, dass er sein Leben lang Bauleiter war und nun sehr viel gemeinnützige Arbeit verrichte. Karl-Heinz möchte einen Grund gehabt haben, auf dieser Erde gewesen zu sein, darum das selbstlose Engagement für die Allgemeinheit. Stolz verrät er mir, dass man ihn dieses Jahr zum Ehrenbürger von Pförring machen werde. Unvermittelt taucht Peter wieder auf. Einen neuen Haken hat er sich besorgt und in seiner Fischerweste stecken zwei Flaschen Bier. «Die trinken wir später miteinander.» Nach einer halben Stunde hat der Bierspender genug von der Fischerei und wir prosten uns zu. Eine ganze Weile plaudern wir zusammen. Die Dämmerung setzt ein, als wir uns voneinander verabschieden.

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       Tag 19: Donnerstag, 23. Mai 2019, 35 km (541 km)

      Dichter Nebel liegt über dem See. Trotz des unübersehbaren Verbotsschilds, störte sich niemand über meine Anwesenheit. Wie üblich, verlasse ich meinen Übernachtungsplatz sauber und aufgeräumt, einfach unter dem Motto: «Hinterlasse nicht mehr, als deine Fussabdrücke».

      Die ersten 6 km verlaufen schnurgerade auf dem Damm. Entlang der Donau stehen weite Teile des Walds unter Wasser. Zusammen mit dem Nebel ergibt sich ein surreales Bild. Plötzlich steht ein Reh auf dem Damm. Ich bleibe stehen und beobachte das Tier. Erst jetzt bemerkt es mich und wir beäugen uns für eine ganze Minute. Bambi weiss nicht, was es von mir halten soll, doch dann entschliesst es sich, mit eleganten Sprüngen das Weite zu suchen. Auch ein niedlicher Feldhase geniesst den kühlen Morgen.

      Über Neustadt und Bad Gögging führt die Route wieder vom Fluss weg. Ab Sittling sollte es nach Karte am Ufer der Donau langgehen. Ich folge brav der Beschilderung und stehe unverhofft und ohne Vorwarnung vor einem Absperrgitter, das mich mitten auf dem Strässchen zum Anhalten zwingt. Hier ist wirklich nicht an ein Weiterkommen zu denken, denn die Fahrbahn steht metertief unter Wasser. Ich kehre um, laufe die 500 Meter ins Dorf zurück und suche mir einen anderen Weg nach Weltenburg, was auch gut klappt. Ich freue mich seit Tagen, das berühmte, gleichnamige Kloster zu besichtigen und plane, von diesem Ort aus das Schiff nach Kelheim zu nehmen. Das Naturspektakel in Form des Donaudurchbruchs lasse ich mir nicht entgehen. Der Fluss zwängt sich dort für 6 km durch eine schroffe Schlucht. Die weissen Felsen ragen bis zu 100 Meter steil aus dem Wasser. Das Hochwasser vereitelt aber meine tollen Pläne. In Weltenburg ist die Feuerwehr omnipräsent und die Pumpen laufen auf Hochtouren. Der untere Weg zum Kloster ist völlig überflutet und darum komplett gesperrt. Auch die Schifffahrt sei für einige Tage eingestellt, wird mir mitgeteilt. Ich bin masslos enttäuscht. Ich malte es mir derart schön aus, zuerst im Biergarten vom berühmten Klosterbier zu kosten und anschliessend die geplante Ausflugsfahrt nach Kelheim zu unternehmen. Dass Mönche in Weltenburg Bier brauen, ist übrigens erstmals für das Jahr 1050 belegt, weshalb Weltenburg mit der stolzen Bezeichnung «Älteste Klosterbrauerei der Welt» wirbt. Der Jahresausstoss der Brauerei beträgt immerhin 30 000 Hektoliter.

      Ein Feuerwehrmann erlaubt mir, meinen Einkaufswagen im Feuerwehrmagazin zu parken, damit ich mit leichtem Gepäck auf einer Alternativroute zum Kloster pilgern kann. Über den Hügel erreiche ich die älteste Benediktinerabtei Bayerns in einer halben Stunde. Das Innere der Klosterkirche ist sehr prunkvoll. Vor allem die Deckenfresken sind einmalig. Die Einzigartigkeit dieses Orts kann ich aber nicht richtig würdigen und ich schaue mir den Rest der Anlage eher unmotiviert an. Auch die Lust auf ein Bier ist mir total vergangen.

      Zurück im Dorf muss ich eine Entscheidung treffen. Im Fahrradführer wird die Landroute als sehr steil und mühsam beschrieben – von ihr wird sogar abgeraten. Ich habe also zwei Optionen: Die erste Variante wäre der besagte steile Veloweg über Naturpfade, die andere die verkehrsreiche Hauptstrasse, die aber zumindest asphaltiert wäre. Spontan entscheide ich mich für den verkehrsfreien Wald. Kurze Abschnitte sind sehr anstrengend und happig, aber eigentlich komme ich gut voran. Auch viele Radfahrer nehmen wegen des Schiffsausfalls diesen Weg. Auf Elektrobikes rauscht eine Horde Italiener an mir vorbei. Wie beim legendären Radrennen «Giro d'Italia», denke ich. Eine ganz lustige Truppe ist es allemal und viele rufen mir motivierend «buongiorno» und «dai, dai» zu. Nach einer Stunde lasse ich den höchsten Punkt hinter mir und geniesse die lockere Talfahrt. Eine weitere Fahrradkarawane keucht den Hügel hoch. Sie seien auf einem Geschäftsausflug, verrät mir ein Teilnehmer ausser Atem. Es ist wirklich was los auf dieser Strecke. Einige Zeit unterhalte ich mich mit einem deutschen Pärchen, das auf dem Weg zurück ins Kloster ist. Sie verbringen etliche Tage im Gästehaus der Abtei. In den spartanisch eingerichteten Räumlichkeiten könnten sie sich perfekt erholen, meinen sie. Es sei für sie eine Auszeit vom Alltag, ohne übertriebenen Luxus und Ablenkung. Das Ehepaar ist begeistert von meiner Reise. Der Mann zückt plötzlich seine Brieftasche und steckt mir einen 20-Euroschein zu. «Ich hoffe nicht, dass ich dich mit diesem Geld irgendwie beleidige, aber ich finde toll, was du machst und möchte dir damit meine Wertschätzung zeigen. Gehe doch auf unsere Kosten lecker essen oder leiste dir zur Abwechslung ein Zimmer.» Sprachlos verabschiede ich mich von den beiden.

      Das letzte Stück durch den Wald ist furchtbar steil und ich habe Mühe meinen schweren Wagen unter Kontrolle zu halten. Einige Male brettere ich im wilden Galopp hinter Molly her und hoffe nur, dass mir keine Radler entgegenkommen. Die wären definitiv plattgewalzt! Wenn es beängstigend schnell wird, gehe ich in die Knie und stemme die beiden Schuhsohlen in den Kies. Molly zieht mich praktisch wie auf Skiern talwärts, aber mit dieser Technik kann ich die rasante Fahrt merklich abbremsen. Gut für meine lädierten Füsse ist diese spassige Aktion aber ganz und gar nicht. Ohne Zwischenfall und Kollision erreiche ich erschöpft das Tal. Ich verlasse den Wald. Auf einem Parkplatz treffe ich einen älteren Mann aus Polen, der mir etwas erklären will. Ich verstehe ihn nur sehr schwer, aber mit Händen und Füssen, ein wenig Englisch und Deutsch unterhalten wir uns dennoch. Er arbeite nicht weit von hier als Schweisser bei einer spezialisierten Firma, lebe aber normalerweise in Polen, in der Nähe von Krakau. Ich zeige ihm auf dem Flugblatt meinen Routenverlauf, der auch durch seine Heimatstadt führen wird. Er schüttelt nur ungläubig den Kopf und offeriert mir tatsächlich eine Mitfahrgelegenheit, die ich aber lachend ablehne. Er fischt einen Beutel voller Semmeln vom Rücksitz seines alten Kombis und bietet sie mir alle an. Ich gebe dem grosszügigen Spender aus Krakau zu verstehen, dass ich unmöglich 20 Brötchen mitnehmen könne. Immerhin ein knuspriges Exemplar wechselt den Besitzer und landet umgehend in meinem immer hungrigen Magen.

      Ab Kelheim ist der Radweg auf der linken Flussseite wegen des Hochwassers auf unbestimmte Zeit gesperrt und ich muss die Alternativroute auf der anderen Seite nehmen, was nicht gerade romantisch ist. Kilometerweise


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