Wanderfieber. Christian Zimmermann

Wanderfieber - Christian Zimmermann


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keine Möglichkeit, mich in die Büsche zu schlagen. In Saal an der Donau entdecke ich einen stillgelegten Supermarkt und auf der Rückseite lokalisiere ich eine passable Stelle. Der Platz ist zugemüllt und es stinkt fürchterlich nach Pisse. Ich bin viel zu müde, um länger zu suchen. Mit einem Ast befreie ich die Umgebung möglichst gut vom Abfall. Das Zelt passt gerade so zwischen Fassade und Geländer und das Vordach würde mich sogar halbwegs vor Niederschlag schützen. Kaum habe ich gegessen kommen vier Teenager um die Ecke. Sie staunen nicht schlecht, als sie mich erblicken. Ich entschuldige mich, weil ich ihren geheimen Platz in Beschlag genommen habe. «Nein, nein, kein Problem – wir hängen weiter hinten ein bisschen ab.» Sie entschuldigen sich sogar, weil sie sich am Zelt vorbeiquetschen müssen. Kichernd verschwinden sie aus meinem Blickfeld und auf diese Weise arrangieren wir uns bestens. Eine Stunde später machen die Kids Feierabend und auch ich verziehe mich indoor. Irgendwie beschleicht mich ein ungutes Gefühl, weil mich die Jugendlichen entdeckt haben. Was wäre, wenn sie mit einer schlagkräftigen Truppe zurückkommen würden, um diesen Obdachlosen auszunehmen? Diese düsteren Gedanken lassen mich nicht zur Ruhe kommen und an Einschlafen ist nicht zu denken. Um 22 Uhr knattert ein Motorrad um die Ecke. Ich vernehme männliche Stimmen. Das Adrenalin pumpt gewaltig in meinen Adern. In weiser Voraussicht liegt das schwere Fotostativ griffbereit im Vorzelt. Kampflos ergebe ich mich nicht, beschliesse ich. Angestrengt versuche ich auszumachen, was draussen vor sich geht. Plötzlich kommen Schritte näher und zwei Personen schleichen leise an meinem Zelt vorbei. Das Herz schlägt mir bis in den Hals. Ich lausche angestrengt in die Nacht, kann aber absolut nichts hören. Eine Minute später erklingen orientalische Klänge aus einem Handy. Fehlalarm, denke ich heilfroh. Zigarettenrauch liegt in der Luft und zu meiner Erleichterung habe ich eine halbe Stunde später den Platz für den Rest der Nacht wieder für mich allein.

       Frau Rottenmeier

       Tag 20: Freitag, 24. Mai 2019, 34 km (575 km)

      Schon kurz nach dem Start steht der Weg unter Wasser und ich werde, ob ich will oder nicht, auf die stark befahrene B16 getrieben. Ich streife mir die Leuchtweste über und warte eine Lücke im Verkehr ab, um auf die linke Seite zu sprinten. Zu meinem Vorteil ist die Bundesstrasse sehr übersichtlich und die Verkehrsteilnehmer nehmen ganz gut Rücksicht. Es ist aber alles andere als gemütlich. Laut Karte kann ich nach zirka zwei Kilometern links abbiegen und den Weg über angenehmere Nebenstrassen fortsetzen. Ich marschiere, so schnell ich kann, dieses nervenaufreibende Teilstück ab. Bis Bad Abbach verläuft anschliessend alles reibungslos. Hier macht die Donau eine mächtige Schleife und der Weg würde direkt am Wasser entlangführen, nun aber wohl eher unter Wasser. Ich muss gezwungenermassen die Abkürzung über den Hügel nehmen. Ich kann ganze vier Streckenkilometer einsparen, komme aber in den Genuss von etlichen Höhenmetern. Es ist strahlend schön bei 22 Grad. Ich habe auf kurze Hose und T-Shirt gewechselt. Auch Hut und Sonnenbrille sind bereits montiert. Der Schweiss läuft mir in Strömen übers Gesicht und die Kleider sind rasch völlig nassgeschwitzt. Im Dörfchen Grossberg scheine ich den Bergpreis erreicht zu haben. 150 Höhenmeter sind geschafft und jetzt geht es auf der anderen Seite relativ locker Richtung Regensburg. Ich befinde mich längstens in den Vororten der über 2000 Jahre alten Stadt. Aber ich benötige eine weitere Stunde, bis ich im Zentrum, mit dem Dom als Wahrzeichen, ankomme. Hungrig gönne ich mir einen Dürüm-Kebab mit einer eiskalten Cola. Auch in Regensburg wird die freitägliche Klimademonstration «Fridays for Future» durchgeführt. Mrs. Molly und ich müssen uns mühsam durch das Gewusel schlängeln, doch die Sprechchöre lassen uns beide ziemlich kalt.

      Ich beschliesse, mich in der Jugendherberge einzuquartieren; die soll hier gleich in der Nähe sein. Ich lokalisiere das Gebäude auf Anhieb, aber leider ist das Wochenende restlos ausgebucht. Die ältere Dame am Empfang ist schlechtgelaunt. Vielleicht ist das ja ihre gute Laune? Dann sollte ich mich glücklich schätzen! Unfreundlich wäre ein zu hartes Wort, aber auf schulmeisterliche Art und Weise gibt sie mir zu verstehen, dass ich nun weiterziehen soll. Unwillig lässt sie mich meine Wasserflaschen auffüllen. Als ich sie freundlich bitte, die Toilette benutzen zu dürfen, scheint die Geduld der Dame am Ende zu sein. Murrend und mit einem Blick, der töten könnte, erlaubt sie mir ausnahmsweise, ihr stilles Örtchen zu besuchen. Beim Weitermarschieren überlege ich mir, dass diese bärbeissige Lady ohne weiteres die Rolle der grantigen Haushälterin Frau Rottenmeier aus den berühmten Heidi-Filmen übernehmen könnte und das ohne Üben, versteht sich. Schade, ich hätte Regensburg gerne ein bisschen näher erkunden wollen, aber manchmal passt es einfach nicht. So wandere ich noch über zwei Stunden Richtung Osten.

       Walhalla

       Tag 21: Samstag, 25. Mai 2019, 42 km (617 km)

      Von meinem Übernachtungsplatz sind es nur drei Kilometer flussabwärts bis zur stolzen Walhalla. Im Auftrag des bayerischen König Ludwig I wurde diese Gedenkstätte im dorischen Stil auf dem Bräuberg nahe dem Ort Donaustauf erbaut. Die Bauzeit dauerte von 1830-42. Schon als 20-jähriger Kronprinz hegte Ludwig den ambitiösen Plan, «rühmlich ausgezeichnete Teutsche» in einem Ehrentempel zu vereinen. Als die Walhalla endlich eröffnet wurde, fanden 162 Berühmtheiten darin Platz. Ich zeichne mich nur damit aus, dass ich die unzähligen Treppenstufen, die vom Fluss bis auf den Hügel führen, ohne Halt meistern kann. Das Lauftraining zeigt seine Wirkung, stelle ich zufrieden fest. Der Tempel ist imposant. Riesige Säulen umlaufen das Gebäude. Leider ist die Tür um 7 Uhr verriegelt. Im Innern sollen Büsten und Gedenktafeln stehen, die an die Verstorbenen erinnern. Jedermann kann übrigens eine zu ehrende Persönlichkeit aus der germanischen Sprachfamilie frühestens 20 Jahre nach deren Tod vorschlagen und trägt dann gegebenenfalls die Kosten für die Anfertigung und Aufstellung der Büste. Über die Neuaufnahmen entscheidet der Bayerische Ministerrat. Mir fällt niemand ein, den ich hier in Stein gemeisselt besuchen möchte und deshalb erfreue ich mich einfach an der Aussicht. Mein Blick schweift über das Donautal und so früh am Morgen geniesse ich das Panorama ohne weitere Touristen.

      Die Strecke verläuft topfeben und ist vorwiegend asphaltiert. Ich kann einen schönen Rhythmus gehen. Ich wechsle regelmässig die Handposition am Lenker: Mal ganz klassisch gerade an der Stange, dann wieder mehr seitlich. Auch das Schieben mit den Ellbogen sorgt für Abwechslung. Mit dieser Methode kann ich Rücken, Nacken und Schultern entlasten. Die Sonne brennt auch heute wolkenlos vom Himmel. Ja das Wetter, zuerst war es arschkalt, dann kam die Sintflut und nun wandere ich direkt in den Sommer. Ich bin mir Temperaturen über 20 Grad nicht gewohnt und deshalb schwitze ich wie ein Bär in der Sauna. Die Kleider fühlen sich klebrig und feucht an.

      Mit wenigen Pausen marschiere ich bis vor die Tore der Stadt Straubing. Jetzt muss ich wohl die letzten 6 km bis zum Campingplatz auch noch hinter mich bringen. Ich bin zwar ziemlich geschafft, aber die Vorstellung einer erfrischenden Dusche puschen mich vorwärts. Im Stadtzentrum kurve ich per Zufall an einem Sportgeschäft vorbei. Fünf Minuten vor Ladenschluss besorge ich mir neue Wandersocken. Zwei Paar, die ihren Dienst schon in Australien verrichteten, sind völlig durchgescheuert und müssen ersetzt werden. Selbstverständlich betrete ich den Laden zusammen mit Mrs. Molly. Kurz vor Feierabend bin ich der einzige Kunde. Die nette Bedienung präsentiert mir eine riesige Wand voller Socken. Hier gibt es für jeden Sport und jede Tätigkeit die passende und ganz spezielle Fussbekleidung! Ich fühle mich restlos überfordert und verlange verschmitzt die schnellsten Exemplare in Grösse 42. Mit einem Lachen empfiehlt mir die charmante Verkäuferin eine leichte Textilie. Ich wusste tatsächlich nicht, dass der Kauf von Socken eine solche Wissenschaft sein kann!

      Nach einem Zwischenstopp im Supermarkt liegt der Campingplatz Gott sei Dank nur noch um die Ecke. Es ist bereits 19 Uhr und ich bin nur noch müde. Ich fühle jeden Kilometer in den Knochen, immerhin ging es über die volle Marathondistanz! Lustlos kaue ich auf dem Junkfood von Aldi herum und spüle diesen mit der eiskalten Büchse Löwenbräu hinunter. Jetzt rasch mein temporäres Häuschen aufstellen, duschen, Shirt und Unterwäsche waschen und schon liege ich erschöpft im Schlafsack.

       Brandlberger Buam

       Tag 22: Sonntag, 26. Mai 2019, 42 km (659 km)

      Die ersten beiden Wanderstunden meistere ich


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