Auf der Suche nach dem Märchenprinzen. Denise B. Frei Lehmann

Auf der Suche nach dem Märchenprinzen - Denise B. Frei Lehmann


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„Vielleicht lässt mich das Kerzenlicht etwas blasser erscheinen und zudem bin ich müde.“

      Nach dem Dessert und dem Kaffee, es war schon beinahe Mitternacht, schaute Richard auf die Uhr und stand auf: „Vivienne, es ist schon spät und wir müssen morgen wieder arbeiten. Für mich wird es eine sehr kurze Nacht, weil ich um vier Uhr wieder raus muss.“ Vivienne stand ebenfalls auf und bedankte sich herzlich bei ihren Gastgebern. Das Ehepaar Koch taten es ihr gleich und nachdem sich alle voneinander verabschiedet hatten, fuhren Kochs mit ihren Fahrrädern, Richard und Vivienne mit dem Auto nach Hause.

      Nach zehn Fahrminuten hielt Richard vor ihrer gemeinsamen Wohnung an, damit Vivienne aussteigen konnte. „Ich schlaf besser im Geschäft, da kriege ich wenigstens noch meine vier Stunden Schlaf. Und gell, Vivienne, Du bist Dir schon bewusst, dass dein Chef in dich verliebt ist?“ verabschiedete er sich. „Erzähl kein dummes Zeug“ entgegnete diese empört und schlug die Autotür mit voller Wucht zu, bevor sie die Treppe rauf und ins Haus rannte. Ihre schlafenden Nachbarn hatten garantiert keine Freude an ihrem mitternächtlichen Temperamentsausbruch. Doch auf irgendeine Weise musste sie nun Dampf ablassen.

      Eine Viertelstunde später lag sie im Bett und ihre Gedanken drehten sich unablässig wie ein Karussell. Sie wollte die Kussszene schnellstmöglich wieder vergessen, doch dies war schneller gesagt als getan. Endlich fiel sie in einen unruhigen Schlaf und als Fabian sie ein paar Stunden später weckte, fühlte sie sich so, als hätte sie nicht eine Minute geschlafen. „Wie war der Abend bei Ulla? Bist du spät nach Hause gekommen?“ wollte er während des Frühstücks wissen. „Ich muss vorwärts machen, Fabian. Ich erzähle Dir heute Abend davon“, versprach sie ihrem Sohn, bevor sie zur Haustüre rausrannte. Kaum im Geschäft, begegnete ihr Konrad Koch in allerbester Laune auf dem Weg zur Personalabteilung. Noch nie hatte sie ihn so gelöst und fröhlich erlebt, schon gar nicht frühmorgens. „Wie geht es dir, seid ihr gut nach Hause gekommen?“ fragte er sie, als wären sie ein Paar. Viviennes Antwort fiel knapp und das „Dir“ ignorierend, aus: „Ja danke, und ich hoffe Sie auch.“ Dann drehte sie sich um, ging so rasch wie möglich in ihr Büro und schloss die Türe hinter sich zu. ‚Was nun?‘ überlegte sie. Verliebt war sie nicht und doch liess sie der unerwartete Kuss nicht mehr los. ‚Warum, bitte schön, werde ich von einem gebundenen Mann geküsst, der erst noch mein Chef ist? Verheirateter Prinz küsst Dornröschen oder Schneewittchen, das steht in keinem Märchenbuch und so soll es ja auch nicht sein. Somit vergessen wir das Ganze einfach wieder!‘ Ulla klopfte an die Bürotür und schaute kurz rein. „Und, wie war der Abend für dich? Alles halb so schlimm mit Kochs, oder?“ fragte sie lächelnd nach. „Ja, es war erträglich, Ulla, und nochmals herzlichen Dank für eure Gastfreundschaft. Richte meinen Dank bitte auch Werner aus. Ein unvergesslicher Abend. Ich lade euch beide nächstens auch mal zu uns ein, aber ohne Kochs. Was steht heute auf dem Programm?“ versuchte sie vom vergangenen Abend abzulenken. „In einer Stunde hast du ein Vorstellungsgespräch mit einem Kandidaten für die Finanzabteilung. Ich bring dir nachher die Unterlagen.“

      Bevor Ulla die Türe hinter sich schloss, erinnerte sie Vivienne an den Ausflug mit den Pensionierten, der in ein paar Tagen stattfinden würde. „Du weisst, man erwartet, dass du mitgehst. Unser Chef organisiert das Ganze und bis jetzt haben sich 73 Pensionierte angemeldet. Der Älteste ist bereits 90 Jahre alt, wenn das nur gut kommt“, grinste Ulla. „Wohin geht es schon wieder? Habe die Einladung verlegt…“, schaute Vivienne ihre Assistentin fragend an. Dann suchte sie vergeblich in einer ihrer Pultschubladen danach. Ulla trat ans Pult, öffnete eine andere Schublade und zog die Einladung heraus. „Voilà, hier ist sie.“ Nur zu gut kannte sie Viviennes chaotischen Ordnungssinn und wusste meist, in welcher Schubladenecke diese ihre Unterlagen verlegt hatte. „Was würde ich nur ohne Dich machen?“ bedankte sich Vivienne lachend. Dann las sie in Ruhe die Eckdaten des Ausflugs durch, die aufzeigten, wie sich der Tag gestalten würde. Frühmorgens Abfahrt in zwei Bussen Richtung Luzern und danach über den Brünigpass nach Brienz im Berner Oberland. Von dort weiter zum Ballenberg, einem naturhistorischen Museum, von dem sie noch nie etwas gehört hatte. Als Ostschweizerin war das Berner Oberland für sie so etwas wie „Ausland.“ Ulla klärte sie auf, dass es sich beim Naturmuseum um einen riesigen Waldpark in den Bergen handle. „Dort stehen landestypische alte Häuser aus allen Regionen der Schweiz, die den Besuchern das Leben „anno dazumal“ authentisch nahebringen.“ „Ich hasse Busfahrten“ liess sie Ulla wissen. „Und wenn es denn sein muss, möchte ich gerne vorne sitzen, dann fühle ich mich nicht so eingeengt.“ „Geht klar, ich organisiere das für dich“ beruhigte Ulla sie.

      Am Ausflugstag versammelten sich alle Pensionierten und die Begleitpersonen vor den beiden parkierten Bussen. Bevor es ans Einsteigen ging, bat Konrad Koch seine heimlich Angebetete, neben ihm in der vordersten Reihe Platz zu nehmen. Während der ganzen zweistündigen Reise ins Berner Oberland benutzte der Personaldirektor die Gelegenheit, um seiner Mitarbeiterin einiges aus seinem bisherigen Leben zu erzählen. Er wuchs in der Nähe von Bern als Sohn eines Bäckermeisters auf und kannte die landschaftlich reizvolle Gegend, durch die sie der Bus nun führte, wie seine Westentasche. Mied Vivienne früher seine Gesellschaft, fühlte sie sich während der Fahrt in seiner Nähe geborgen und vertraut, wie niemals zuvor zusammen mit einem anderen Mann. Es schien ihr, als würden sie sich bereits seit sehr langer Zeit kennen und es war ihr ein Rätsel, warum sie so fühlte.

      Spätabends, um viele neue Eindrücke reicher, kehrte die Reisegesellschaft wieder zum Ausgangspunkt zurück und nachdem alle ausgestiegen waren und sich verabschiedet hatten, machte sich Vivienne so rasch als möglich aus dem Staub, vor allem auch, um der Nähe ihres Chefs zu entfliehen. Während dieses Tagesausflugs spürte sie einmal mehr eine Vertrautheit, die sie sich nicht erklären konnte. ‚Zur Erinnerung, Vivienne‘ mahnte sie ihre innere Stimme ‚der Mann ist verheiratet, zudem dein Chef und 15 Jahre älter als du.‘ Das Alter wäre für Vivienne das kleinste Problem gewesen, denn seit jeher war sie der Meinung, dass ein älterer Partner besser als ein gleichaltriger zu ihr passen würde. Doch ein verheirateter Mann und erst noch ihr Chef, das wäre für sie normalerweise nicht mal eine Überlegung wert. ‚Vielleicht drängt sich nun doch ein Stellenwechsel auf?‘ Sie nahm sich vor, in den kommenden Wochen die Stelleninserate wieder genauer unter die Lupe zu nehmen.

      Nach Ende der Sommerferien trat Fabian seine Lehre an und nur Wochen später zog der Herbst mit vielen nassen und nebligen Tagen ins Land. Um dem nasskalten Wetter wenigstens für ein paar Tage zu entfliehen, entschloss sich Vivienne, zusammen mit Fabian und ihren Freunden Noella und Robert nach Kreta zu fliegen. Die Vier, die einst im selben Miethaus als Nachbarn gewohnt und sich damals angefreundet hatten, freuten sich auf die Abwechslung kurz vor Wintereinbruch. Und da im Spätherbst die Hotelpreise einiges tiefer als in der Hauptsaison lagen, leisteten sie sich den Luxus eines Fünfsternehotels.

      Nach dem dreistündigen Flug erreichte der Ferienflieger den Flughafen von Heraklion. Während sie am Gepäckband auf ihre Koffer warteten, nahm sich Vivienne vor, nicht eine Sekunde an die Schweiz, Konrad Koch oder ihre Arbeit zu denken. Ein Taxifahrer brachte die Vier nach einer Stunde Fahrzeit mit seinem klapprigen Taxi zu ihrem Hotel, das direkt am blausten Meer aller Meere, wie Vivienne die Ägäis nannte, lag. Bereits zum vierten Mal besuchte sie die mystische Insel, die ihr ans Herz gewachsen war. Nach dem Einchecken wurden sie durch einen Pagen zu ihren Zimmern begleitet. Zu Viviennes grosser Freude lagen ihr und Fabians Zimmer etwas erhöht mit direktem Blick auf das tiefblaue Meer. Fabian wollte in der Fremde nicht allein in einem Zimmer schlafen und bevorzugte die Nähe seiner Mutter. Zudem schätzte er die Gespräche mit ihr vor dem Einschlafen. Da konnte er seine Mutter alles Mögliche fragen, was ihn gerade beschäftigte, für das zuhause kaum Zeit blieb. Noellas und Roberts Bungalow mit grossem Sitzplatz und schattenspendendem Feigenbaum lag im Park der grossen Hotelanlage. Die Vier vereinbarten, das Frühstück unter dem Feigenbaum einzunehmen, statt im grossen Speisesaal. Vivienne verabscheute den morgendlichen Kampf am Frühstücksbuffet und ihren Reisegefährten ging es ebenso. Doch zuerst wollten die Vier nun ihre Koffer auspacken und sich noch etwas hinlegen nach der langen Reise. Für Robert war es mit seinen 45 Jahren die erste Flugreise und Noella war ihrer Freundin dankbar, dass sie ihn dazu überreden konnte. „Vielleicht kommt mein Mann so auf den Geschmack und will nicht immer nur mit dem Auto nach Italien in die Ferien verreisen“, flüsterte sie Vivienne kurz vor dem Abflug zu. Tatsächlich überstand Robert seinen ersten Flug ohne Zwischenfälle


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