Auf der Suche nach dem Märchenprinzen. Denise B. Frei Lehmann

Auf der Suche nach dem Märchenprinzen - Denise B. Frei Lehmann


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ein und taxierte ihren Mann mit vernichtendem Blick: „Sorry, du hast uns doch während der Reise erklärt, dass du einen Tisch im angesagtesten Piemonteser-Restaurant weit und breit reserviert hättest. Doch anscheinend war das einer deiner berüchtigten Scherze, denn hättest du tatsächlich einen Tisch reserviert, wäre dir aufgefallen, dass der Nobelschuppen eben geschlossen hat!!“ „Ja und wo essen wir jetzt zu Silvester?“ hakte Richard nach. „Wir werden schon noch was finden“ versuchte Armin gewohnt optimistisch zu beschwichtigen. „Also im Militär habe ich schon um einiges schwierigere Probleme gelöst…“ „Es interessiert hier jetzt grad keinen, welche Probleme du im Militär zu lösen hast“ fiel ihm Conny ins Wort. „Wir wollen wissen, wo wir den Silvesterabend verbringen, nichts weiter.“ Armin machte sich auf zur Rezeption und fragte die Hotelwirtin um Rat. Diese gab ihm glücklicherweise die Adresse eines passablen Restaurants ganz in der Nähe. Vorsichtshalber rief sie gleich selbst dort an, um nach einem freien Tisch zu fragen. Sie ergatterte den letzten freien Tisch und Armin war sichtlich erleichtert über die gute Nachricht. „Der Abend ist gerettet, wir werden heute Abend in Novello ganz in der Nähe zu unserem Hotel Sylvester feiern“ meinte er wenig später wieder zurück am Frühstückstisch. Dann schlug er vor, mit dem Auto nach Alba zu fahren, um Steinpilze und Morcheln einzukaufen. Eine Stunde später war Abfahrt und Vivienne war gespannt, was sie im 20 Minuten entfernt gelegenen Städtchen alles erwarten würde. Sie stellte sich auf schicke Einkaufsgeschäfte ein, doch ausser unzähliger Delikatessengeschäfte, die getrocknete Pilze, Käse, Wein, Grappa und regionale Süssigkeiten verkauften, gab es nicht allzu viel zu sehen. Zu ihrem und Connys Bedauern war die Trüffel-Saison längst vorbei und die köstlichen Knollen mit ihrem erotisierenden Duft waren nur konserviert in Gläsern erhältlich. „Gibt es hier keine Kleiderläden?“ wollte Vivienne von ihrer Freundin wissen. „Anscheinend nicht, ich sehe auf jeden Fall keinen.“ Conny schlug vor, sich in einem der kleinen Cafés entlang der Einkaufsstrasse mit Espressi aufzuwärmen. „Mir ist alles recht, um der Kälte zu entfliehen“ stimmte Vivienne dem Vorschlag schlotternd zu. Den beiden Männern konnte die Kälte nichts anhaben, weil sie mit Felljacken ausgerüstet waren. Vivienne und Conny hingegen hatten nur ihre schicken Wintermäntel dabei, die sie wohl vorteilhaft kleideten, jedoch kaum wärmten.

      Nachdem alle ihre Espressi fertig getrunken hatten, ging es mit dem Auto wieder zurück Richtung verschneiter Piemonteser Hügellandschaften, um in Barbaresco und Barolo einige Weingüter zu besuchen. ‚Kalt, kalt, kalt‘ stellte Vivienne frustriert fest. ‚Egal wo man hier hingeht, ist es saukalt‘.

      Stunden später wieder zurück im Hotel, hatten ihre Zimmer in der Zwischenzeit endlich die gewünschte Raumtemperatur erreicht. Sogar warmes Wasser war der Dusche zu entlocken und Vivienne nutzte die Gunst der Stunde, um zu duschen. Danach fühlte sie sich erfrischter, obwohl nach dem anstrengenden Tag ein heisses Bad genau das Richtige gewesen wäre. Bevor sie sich wieder mit Richard, Conny und Armin in der Hotelbar treffen würde, legte sie sich im Bademantel auf ihr Bett, um noch ein wenig zu dösen. ‚Was wird wohl das neue Jahr bringen? Wer weiss, vielleicht kommt doch noch irgendwann ein Märchenprinz daher geritten, der mich auf Händen trägt, mich leidenschaftlich liebt, mir jeden Wunsch von den Augen abliest und mich all meine Sorgen vergessen lässt…‘ Dann schlief sie ein. Erst durch energisches Klopfen an der Türe wurde sie eine Stunde später wieder wach und hörte Richard rufen: „Vivienne, ist mit dir alles in Ordnung? Wir warten unten beim Eingang auf dich, wo bleibst du nur?“ „Oh, ich bin eingenickt und habe die Zeit vergessen! In ein paar Minuten bin ich unten“ rief sie Richard durch die Türe zu, während sie rasch in ihr schwarzes Cocktailkleid schlüpfte. Dann streifte sie sich ihren Wintermantel über, zog die warmen Stiefel an und steckte die Abendschuhe in eine Plastiktüte. Dann rannte sie in die Hotellobby, wo ihre Reisegefährten ebenfalls festlich gekleidet auf sie warteten. Nach fünf Minuten Fussmarsch auf einer vereisten Strasse erreichten sie das Restaurant und als sie in die warme Gaststube eintraten, stellten Conny und Vivienne überrascht fest: „Wir sind overdressed.“ Der einfach gekleidete Wirt nahm die vier festlich gekleideten Gäste schmunzelnd in Empfang und führte sie zu einem der wenigen mit weissem Tischtuch gedeckten Tische. „Wir machen das Beste draus“ meinte Richard, der sich wie Armin in einen Anzug mit Krawatte geworfen hatte. Ja, wir machen das Beste draus, überlegte Vivienne. Nach einem üppigen Nachtessen und kurz vor Mitternacht fragte sie sich einmal mehr: ‚Was wird wohl dieses neue Jahr bringen?‘ Vor zwei Jahren hatte sie sich genau dieselbe Frage gestellt und gespürt, dass sich etwas nachhaltig verändern würde. Tatsächlich veränderte sich 1989 nicht nur ihr persönliches Leben durch den neuen Job als Personalchefin, sondern im selben Jahr fiel die Mauer in Berlin mit nachhaltiger Wirkung auf den gesamten Ostblock und die restlichen europäischen Länder. ‚Im Laufe des Januars werde ich mich nach einer neuen Stelle umsehen‘ nahm sie sich vor. Dann prostete sie ihren Freunden aufs neue Jahr zu.

      Gegen Abend des 1. Januars waren die Vier wieder zurück in der Schweiz. Kaum zuhause angekommen und zur Türe rein, stellte Vivienne ihren Koffer ab und ging ins Badezimmer, um sich ein warmes Bad einlaufen zu lassen. Während das warme Wasser in die Wanne plätscherte, packte sie rasch den Koffer aus und grad als sie ins Bad steigen wollte, klingelte das Telefon. Zu ihrem grossen Erstaunen meldete sich ihr Chef völlig aufgelöst am anderen Ende der Leitung. „Guten Abend Frau Zeller. Zuerst mal ein gutes neues Jahr, ich hoffe, Sie sind besser gestartet als ich.“ Vivienne war völlig perplex über den unerwarteten Anruf und kam nicht dazu, ihrem Chef ebenfalls ein gutes neues Jahr zu wünschen, weil er ohne Unterbruch weiterredete. „Es ist mir morgen nicht möglich zur Arbeit zu kommen, weil meine Tochter Charlotte völlig überraschend einen Herzstillstand erlitten hat und in Lebensgefahr schwebt“ liess er seine Mitarbeiterin verzweifelt wissen.

      Vivienne zeigte sich betroffen über die Nachricht und wollte wissen, was der Grund der Herzattacke war. „Charlotte fuhr am 31. Dezember, ihrem 22. Geburtstag, mit Freunden zum Schlitteln in die Berge. Dort brach sie auf der Piste für alle überraschend zusammen. Keiner wusste, was los war, und darum konnte man ihr auch nicht sofort helfen“ schluchzte es verhalten aus dem Telefonhörer. „Mit nur 22 Jahren muss sie jetzt wahrscheinlich sterben“, fügte er noch hinzu.

      Vivienne gab sich keine Mühe, irgendwelche tröstenden Floskeln zu finden. Keiner, wirklich keiner konnte auch nur ahnen, welch unermesslichen Schmerz ein Angehöriger eines geliebten sterbenden oder schwer kranken Menschen fühlte. Das Einzige, was in solch einem Fall etwas Trost spendete, war Betroffene in die Arme zu nehmen, um so Mitgefühl zu signalisieren. Doch das war in diesem Fall nicht möglich. Einmal, weil sie ihren Chef niemals in die Arme nehmen würde und wenn doch, er nicht zugegen war. Vivienne versicherte Konrad Koch, dass er der Arbeit beruhigt fernbleiben könnte und sie auch ohne ihn den „Laden im Griff“ haben würde. Konrad Koch nahm dies dankbar zur Kenntnis und teilte Vivienne mit, dass er Rudolf Matter bereits über den Schicksalsschlag verständigt hätte und bat sie, Stillschweigen gegenüber den anderen Mitarbeitern zu bewahren. „Solange noch nicht feststeht, wie es um Charlottes Gesundheitszustand wirklich steht, bitte ich um Diskretion.“ „Sie können sich auf mich verlassen“ sicherte ihm Vivienne ihre Verschwiegenheit zu und wünschte ihm und seiner Familie viel Kraft. „Vielleicht geschieht ja noch ein Wunder und Charlotte wird wieder gesund“, versuchte sie nun doch noch tröstende Worte zu finden. „Ihr Wort in Gottes Ohr“, entgegnete er und legte auf. Nach dem unerfreulichen Telefongespräch nahm Vivienne ihr Bad und versuchte sich zu entspannen. Durch die Badezimmertüre hörte sie, wie ihr Sohn nach Hause kam und nach ihr rief. „Ich bin im Bad, Fabian!“ rief sie zurück. „Okay, Mami. Ich pack jetzt aus, und später erzähle ich dir von all meinen Geschenken, die ich zu Weihnachten bekommen habe.“ „Ja, machen wir so, doch jetzt will ich für eine halbe Stunde Ruhe, um auszuspannen.“ Vivienne war dankbar, dass ihr Sohn wieder heil aus den Weihnachtsferien zurück war. Wie ihr nun nach dem Gespräch mit Konrad Koch bewusst wurde, war dies keine Selbstverständlichkeit. Vivienne versuchte sich im warmen Wasser zu entspannen, was ihr nicht gelang. Zu sehr waren ihre Gedanken mit der Familie Koch und deren Schicksal beschäftigt. Sie hoffte inständig, dass sich Charlotte, die sie nicht näher kannte, bald wieder erholen würde.

      Während sie im wohlduftenden Badewasser weiter vor sich hindöste, wurde ihr plötzlich bewusst: ‚Oh Gott, nun kann ich nicht kündigen!‘ Wenn Charlotte Koch nach der Herzattacke stürbe, käme ihr Vater mit diesem Schicksalsschlag kaum zurecht, da war sie sich fast


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