Auf der Suche nach dem Märchenprinzen. Denise B. Frei Lehmann

Auf der Suche nach dem Märchenprinzen - Denise B. Frei Lehmann


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Unsere Zeit ist abgelaufen, so sieht es aus!“, Richard schüttelte den Kopf. „Mir ist der Appetit vergangen, ich esse besser auswärts“, dann verliess er wütend die Wohnung, um zurück ins Geschäft zu fahren. Dort angekommen setzte er sich ans Pult und versuchte einen Auftrag zu bearbeiten. Doch das fiel ihm nach dem Streit mit seiner Partnerin schwer. Nachdem er sich eine Zigarette angezündete hatte, schenkte er sich Kaffee aus der Thermoskanne ein. Dann griff er zum Telefonhörer und rief Vivienne an. „Hast Du Dich wieder beruhigt?“ wollte er wissen. „Nein, mein Entscheid steht fest. Wir passen einfach nicht zusammen, um auf Dauer glücklich zu sein“ tönte es ungnädig aus dem Hörer. „Ich bedaure deinen Entscheid sehr, denn grundsätzlich bist du die einzige Frau, mit der ich mir ein gemeinsames Leben bis ans Ende meiner Tage vorstellen kann. Doch mag ich einfach keinen Sex.“ „Ja, Richard, das wissen wir ja jetzt. Nur, eine Partnerschaft zu dritt kommt für mich niemals in Frage, niemals!!! Es ist eine Unverschämtheit, mir so etwas vorzuschlagen!“ schrie Vivienne durchs Telefon und legte auf. ‚Zum Glück hat Fabian nichts vom Streit mitbekommen‘, überlegte sie, währen die das Essen auf die Teller schöpfte. Ihr Sohn mochte Richard, auch wenn er ihn nicht viel zu Gesicht bekam.

      Anderentags einigte sich das Paar darauf, dass es nur noch solange zusammenleben würde, bis Richard eine eigene Wohnung gefunden hätte.

      Vivienne informierte ihren Sohn abends nach der Arbeit über die Trennungsabsichten. „Aber gell Mami, ich wünsche eine friedliche Trennung. Das Theater, wie bei der Scheidung zwischen dir und Papi muss ich nicht mehr haben.“ Mit Schaudern erinnerte er sich an die Scheidungsschlacht seiner Eltern. Damals, zehn Jahre zuvor, war es für ihn als kleines Kind kaum nachvollziehbar, warum sich seine Eltern nicht auf ein gemeinsames Sorgerecht einigen konnten. Doch dies war Ende der 1970er Jahre verpönt und vor allem sein Vater und der Rest der Familie sannen auf Rache, weil seine Mutter, die als ledige Schwangere zur Ehe genötigt wurde, nun um jeden Preis ihr ungeliebtes Ehejoch verlassen wollte. Fabian hing zu jenem Zeitpunkt mehr an seinem Vater und dessen Familie als an der Mutter und deren Familie. So entschied er sich als Fünfjähriger, lieber bei seinem nachsichtigen und nachgiebigen Papi zu bleiben. Seine Mutter war damals am Ende ihrer Kräfte und ertrug den aufgezwungenen Ehemann kaum noch, weshalb auch ihre Ärzte zur Scheidung drängten. Keiner jedoch hätte mit einem Scheidungskrieg derartigen Ausmasses gerechnet. Dies vor allem, weil sich Viviennes Vater als Gegenanwalt aufspielte, um seine Tochter wieder zurück an den heimischen Herd zu zwingen. Dabei ging es ihm als christlich konservativem Politiker vor allem um sein politisches Ansehen. Doch alles nützte nichts: Vivienne beharrte auf der Scheidung und war ab jenem Zeitpunkt eine Persona non grata für ihre Familie.

      Fabian wohnte einige Jahre bei seinem Vater und bat eines Tages darum, nun doch bei seiner Mutter leben zu dürfen. Sein Vater Bruno begrüsste den Wunsch seines Sohnes, weil er als Erziehungsberechtigter immer mehr an seine Grenzen stiess, was auch Fabians Lehrer und der Tagesmutter nicht entgangen war. Beide machten Vivienne auf Brunos fahrlässiges Verhalten aufmerksam und baten sie eindringlich, das elterliche Sorgerecht wieder zu übernehmen, das sie einst freiwillig ihrem damaligen Ehemann überlassen hatte. Das Familiengericht entsprach diesem Wunsch nach einer Anhörung problemlos und glücklicherweise lebte sich Fabian rasch im mütterlichen Umfeld ein, das ihm aus seinen regelmässigen Wochenendbesuchen bereits bestens bekannt war. Einzig in der neuen Schule gab es Probleme, weil er mit einigen Lehrern nicht klarkam. Darum meldete Vivienne ihren Sohn in einer Privatschule in der Nähe der Firma Matter an, in der sie seit bald zwei Jahren als Personalchefin arbeitete. Die Stelle fand sie über ein Chiffre Inserat, das Richard für sie gestaltete und in einer der Tageszeitungen veröffentlichte. Einige interessierte Firmen meldeten sich und sie entschied sich schlussendlich für die Firma Matter, die in ihrer Wohnregion als Arbeitgeber einen ausgezeichneten Ruf genoss.

       Neue Lebenssicht

      Durch die Personalbetreuung der über 550 Mitarbeitenden und die damit verbundene grosse Verantwortung, änderte sich mit der Zeit einiges an Viviennes bisheriger Lebenssicht. Fast tagtäglich wurde ihr vor Augen geführt, dass es nicht allen Menschen gleich gut geht. Sie wurde mit tragischen Krankheits- und Todesfällen oder Unfällen konfrontiert, mit Selbstmord und auch mit Verbrechen, die Mitarbeiter zu verantworten hatten. Zudem begann 1990 kurze Zeit nach ihrem Eintritt in die Firma der Jugoslawienkonflikt. Immer wieder kam es deswegen zu Auseinandersetzungen zwischen den aus dem Vielvölkerstaat stammenden Mitarbeitern und mehr als einmal sah sich Vivienne genötigt, zwischen den verschiedenen Volksgruppen zu vermitteln. Zudem klopften des Öfteren Polizeibeamte an ihre Bürotür und baten darum, zum Arbeitsplatz von diesem oder jenem Mitarbeiter geführt zu werden, weil ihnen unterschiedliche Delikte vorgeworfen wurden.

      Der Zufall wollte es, dass sich Vivienne zu jener Zeit im Geschäft um eine ältere Serbin, die nach einem Arbeitsunfall nicht mehr voll einsatzfähig war, besonders kümmerte. Ab und zu sprach sie mit der 60-jährigen Delia Simic über den Krieg in Jugoslawien und wollte wissen, wie sie darüber dachte. „Man muss immer beide Seiten kennen, um sich ein Urteil bilden zu können“ gab die zur Antwort. Der intensive Kontakt mit Delia Simic war zu jener Zeit insofern wertvoll, weil sich die junge Personalchefin durch die Gespräche vertiefter in die Kultur des jugoslawischen Vielvölkerstaates einfühlen konnte und so die Mentalität der einzelnen Völkergruppen besser verstand. Doch in ihren Augen gab es keine Entschuldigung für die Gräueltaten, unter denen die Bevölkerung zu leiden hatte. Es gab Mitarbeiter, die ihr detailgetreu erzählten, was ihren Verwandten während des Krieges angetan wurde. Mehr als einmal gefror Vivienne fast das Blut in den Adern und auf so manche Schilderung hätte sie liebend gern verzichtet.

      Vor Beginn der Herbstferien warf Vivienne wieder einmal einen prüfenden Blick in den Badezimmerspiegel und stellte fest: ‚Ich bin einfach nicht mehr so wirklich attraktiv‘. Obwohl sie sich jeden Tag perfekt schminkte, ihre langen, blonden Haare sorgfältig frisierte und Wert auf gepflegte und schön lackierte Fingernägel legte, war sie unzufrieden. Mit ihren 165 Zentimeter Körpergrösse fühlte sie sich zu dick und hatte das Gefühl, dass sich vor allem an Bauch und Oberschenkeln zu viel Speck angesetzt hatte. Eigentlich hätte sie mit ihrer wohlproportionierten Figur und Kleidergrösse 38 mehr als zufrieden sein können. Trotzdem meldete sie sich in einer nahegelegenen medizinischen Massagepraxis zu einer aufwändigen Behandlung an. Sie hatte keine Ahnung, was auf sie zukommen würde und liess sich vom jungen Therapeuten beraten, nachdem sie ihm ihr Problem geschildert hatte. Reto Schuler empfahl ihr eine Lymphdrainage, die die eitle Frau zwang, tief ins Portemonnaie zu greifen. Vivienne schluckte zuerst leer, als ihr der Therapeut erklärte, dass die Behandlung mit zehn Massagen über tausend Franken kosten würde. ‚Schönheit muss eben leiden, materiell und immateriell‘ dachte sie, bevor sie mutig zusagte.

      Nach den ersten Behandlungen, die entweder während der Mittagspause oder nach Feierabend stattfanden, freundete sich Vivienne mit ihrem Therapeuten Reto an. Dies, weil er sehr viel Interessantes über Astrologie und Zwischenweltliches zu erzählen wusste. Wohl kannte Vivienne die Sternzeichen ihrer Familienangehörigen und Freunde, doch dass aus den Konstellationen der einzelnen Zeichen der Lebensweg einer Person zu erkennen war, war ihr neu. Während der Massagebehandlungen erzählte ihr Reto manchmal aus seinem Leben und umgekehrt erzählte sie ihm diese und jene Episode aus ihrem. Sie erwähnte auch die immer häufiger auftretenden Migräneattacken, an denen sie seit Jahren litt. „Migräneattacken? Wann traten sie das erste Mal auf?“ wollte Reto wissen und kam zur Überzeugung, dass die Kopfschmerzen einen Bezug zu dem unerwarteten Tod ihres Vaters vier Jahre zuvor haben könnten. Doch Vivienne erkannte den Zusammenhang zwischen Migräne und Todesfall nicht. Reto ermunterte sie daraufhin eine Persönlichkeitsanalyse bei Astrointelligenz in Zürich zu bestellen. „Da bekommst du Antworten über dein Leben, die dir einiges erklären“ begründete er seinen Rat und so liess sich Vivienne nach einigem Zögern die Adresse des Astrounternehmens geben. Sobald sie zu Hause angekommen war, rief sie dort an und bestellte eine Analyse, die aufgrund von persönlichem Geburtsdatum, -zeit und -ort erstellt wurde.

      Fünf Tage später lag das achtzigseitige Dokument in ihrem Briefkasten. Vivienne war nach Durchsicht der ersten Seiten über die Erklärungen, warum ihr Leben und ihre Partnerschaften bis anhin so und nicht anders verliefen, fasziniert. Tatsächlich stand schwarz auf weiss, dass sie mehr als einmal heiraten und erst in späteren Jahren eine stabile Ehe führen würde. Zu ihrem grossen Erstaunen wurden


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