Auf der Suche nach dem Märchenprinzen. Denise B. Frei Lehmann

Auf der Suche nach dem Märchenprinzen - Denise B. Frei Lehmann


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direkten Arbeitsumfeld muss es für mich stimmen. Ich habe mich heute definitiv entschieden, dass ich mich anfangs Januar auf die Suche nach einer neuen Stelle mache. Wann kommst du nach Hause?“ wollte sie noch wissen. „Gegen Mitternacht, die Arbeit geht mir hier nicht aus.“ „Okay, aber morgen bist du um 16 Uhr zu Hause, damit wir pünktlich Richtung Ostschweiz abfahren können. Ich will keinesfalls zu spät bei unseren Gastgebern eintreffen“ mahnte sie Richard, bevor sie aufhängte.

      Bruno holte seinen Sohn wie verabredet am anderen Morgen ab und Vivienne fuhr gegen Abend zusammen mit Richard ebenfalls los, um bei ihren Freunden Gerda und Benni Weihnachten zu feiern. Doch Vivienne war nicht wirklich nach Feiern zumute, denn für einmal liessen sie die Geschäftsprobleme nicht los. Dies war neu, denn normalerweise war Abschalten für sie kein Problem. Zu allem Elend hielten sich Gerdas Kochkünste in Grenzen, was Viviennes Stimmung zusätzlich trübte. ‚ Pasta und Merlot an Weihnachten, das ist doch kein Festessen, sondern banaler Alltag‘ überlegte sie und bereute, die Einladung überhaupt angenommen zu haben. Sie kannte Gerda seit ihrer frühesten Kindheit und mochte sie nach wie vor als Vertraute. Doch als Köchin und Gastgeberin brillierte sie nie besonders, da fehlte ihr einfach das Händchen. Vivienne war da anders gestrickt und grad für die Weihnachtstage legte sie grossen Wert auf festlich dekoriertes Ambiente. Nun sass sie an einem Holztisch ohne Tischtuch, lediglich geschmückt mit roten Alltags-Tischsets, ein paar Tannenzweigen und Kerzen. Am liebsten wäre sie gleich nach dem Dessert aufgestanden, um nach Hause zu fahren. Anstandshalber blieb sie sitzen, bis Richard gegen Mitternacht meinte: „Wir müssen los, Vivienne, es beginnt zu schneien. Jetzt sind die Strassen noch fahrbar, in einer Stunde kann dies anders sein.“ Vivienne liess sich nicht zweimal bitten. Nachdem sie sich von ihren Gastgebern verabschiedet hatte, stieg sie bei dichtem Schneetreiben ins Auto ein und Richard fuhr los. „Was ist eigentlich mit dir los?“, wollte er während der Fahrt wissen. „Du warst heute Abend alles andere als gesprächig, was man bei dir als abnormal bezeichnen könnte.“ „Ich will nicht darüber sprechen, ist was Geschäftliches. Zudem bin ich hundemüde“ erklärte Vivienne in einem Ton, der kein Nachfragen duldete.

      Am Weihnachtstag nach dem Frühstück setzte sie sich ins Wohnzimmer, um sich weitere Gedanken über ihre Arbeitssituation zu machen. Ihr wurde bewusst, dass es in ihrem Berufsleben bis anhin steil bergauf gegangen war. Egal in welchem Betrieb sie arbeitete, wurde ihr rasch Vertrauen geschenkt und sie durfte einiges bewegen. Dabei schaffte sie fast alles, was sie sich vorgenommen hatte. Vor allem, wenn es um die Einführung von Neuerungen oder das Schlichten verhärteter zwischenmenschlicher Situationen ging. ‚Im Fall Koch/Bolt ist dies aber aussichtslos, weil in den letzten Jahren – bereits vor meinem Eintritt – zu viel Geschirr zerschlagen wurde‘ gestand sie sich ein. Zudem war es für einen Vorgesetzten, wie in diesem Fall Konrad Koch, schier unmöglich, Neuerungen mit Mitarbeitern erfolgreich umzusetzen, die vom Intellekt und von der Ausbildung her so anders tickten, wie er selbst. ‚Wenn ich Konrad Koch wäre, hätte ich längst gekündigt, statt mich jahrelang jeden Tag aufs Neue mit Ewiggestrigen zu duellieren.‘ Genau hingesehen war es ein Kampf gegen Windmühlen! Nur, warum liess sich dies ihr Chef gefallen und machte einfach weiter, obwohl er daran fast zerbrach?

      Das Telefon läutete und unterbrach ihre Gedanken. Ihre Freundin Conny meldete sich am anderen Ende der Leitung und fragte nach, ob sie und Richard Lust hätten, den Start ins neue Jahr in Norditalien, genau genommen in Novello, einem kleinen Dorf inmitten der Hügel des Piemonts, zu verbringen. „Eigentlich sind Richard und ich nicht mehr wirklich zusammen“ erklärte Vivienne ihrer Freundin. „Doch es stört mich nicht, wenn er dabei ist, einfach in getrennten Hotelzimmern. Lässt sich das so kurzfristig organisieren?“ „Kein Problem, um diese Jahreszeit hat es kaum Touristen im Piemont“ meinte Conny. Sie zeigte sich nicht erstaunt über die Trennungsabsichten der beiden, denn auch ihr fiel seit längerem auf, dass die beiden nicht das Traumpaar waren. Doch dies waren sie und ihr Mann Armin ebenfalls nicht. Doch sie hatten sich arrangiert, wie man so schön sagte. Seit längerem pflegte sie heimlich eine Liebschaft, die ihr das gab, was sie bei Armin vergeblich suchte. Trotzdem liebte sie ihren Mann und wollte ihn nicht verlassen. „Ich ruf dich gleich zurück, weil ich zuerst abklären muss, ob Richard mit von der Partie ist“ erklärte Vivienne ihrer Freundin. „Etwas Abwechslung tut mir sicher gut nach der monatelangen Rackerei in meinem Geschäft“ willigte Richard ein und so brachen die vier Freunde mit dem Auto einen Tag vor Silvester Richtung Norditalien auf. Armin stellte sich als Chauffeur zur Verfügung und teilte seinen Fahrgästen mit, dass sie in vier Stunden am Ziel sein würden.

      Leider wurden daraus sieben Stunden, weil sich der Verkehr vor dem Zoll in Chiasso ellenlang staute. Nachdem sie den Zoll mit über einer Stunde Verspätung endlich passieren konnten, zwang sie Bodennebel in schrittweisem Tempo weiter zu fahren. Statt sich an der hügligen Landschaft des Piemonts zu erfreuen, wähnten sich die Vier in einer Milchsuppe ohne Ausgang. ‚Hoffentlich kommen wir heil in Novello an.‘ Vivienne bat ihre Schutzengel darum, den Nebel zu vertreiben. Doch die Bitte wurde nicht erhört. Erst am späten Abend erreichten sie endlich ihre Pension im nebligen Irgendwo. Zu allem Elend stellte sich heraus, dass die Pensionsbesitzerin, bei der Conny telefonisch die Zimmer gebucht hatte, vorsätzlich doppelte Buchungen vornahm nach dem Motto: „Wer zuerst kommt, hat Glück, die anderen sollen selbst weiter schauen. Hauptsache meine Zimmer sind vermietet.“ Die Vier gehörten nun zu denjenigen, die Pech hatten und weiter schauen mussten. Nur mit Not fand sich auf die Schnelle eine neue Unterkunft, die alles andere als komfortabel war. Die nette Besitzerin zeigte den unerwarteten Gästen ihre wenigen Zimmer und erklärte Conny währenddessen auf Italienisch, dass die Zimmer erst geheizt werden, wenn sie sich zum Bleiben entschlossen hätten. „Doch es dauert eine Weile, bis die Räume aufgeheizt sind. Und im Badezimmer gibt es gar keine Heizung, wir sind eher auf Sommer- und Herbstgäste eingestellt“ ergänzte sie noch. Nachdem Conny übersetzt hatte, was ihr die Hotelière grad mitteilte, zeigte sich Vivienne ausser sich. „Es bleibt uns um diese Tageszeit wohl nichts anderes übrig, als diese eiskalten Zimmer zu nehmen! Ja wir müssen sogar dankbar sein, dass wir überhaupt noch etwas gefunden haben!“ Richard und Armin nickten betreten und so bezogen Conny und Armin ihr Doppel-Zimmer, Richard und Vivienne die Einzelzimmer.

      Nachdem sich alle in ihren Zimmern eingerichtet hatten, trafen sie sich zu einem Aperitif in der kleinen Hotel-Bar. „Das wäre in der Schweiz oder sonst wo kaum möglich, dass sich jemand mit Vorsatz erlaubt, doppelte Hotelbuchungen vorzunehmen! Die Frau gehört angezeigt! Nun hocken wir hier bei -5 Grad Aussentemperatur und nicht mehr als 12 Grad Innentemperatur. Habt ihr auf eure Betten geschaut? Hier gibt es nicht mal warme Daunendecken, sondern einzig Leinentuch mit dünner Wolldecke. Und ich habe vorhin im Badezimmer versucht warmes Wasser rauszulassen, um zu duschen. Vergeblich! Eiszapfenkaltes kam raus……ich will nach Hause, sofort!!!“ liess Vivienne ihrem Frust freien Lauf. „Lass es gut sein!“ versuchte Richard seine Freundin kopfschüttelnd zu besänftigen. „Wir müssen uns damit abfinden, dass es eben solche und solche Hotelwirte gibt. Wir hatten nun Pech und sollten das Beste draus machen. Betrachte es als ein Abenteuer….in ein paar Jahren lachst du darüber. Wir gehen jetzt was essen und dann wird uns wieder wärmer.“ Armin versuchte Vivienne ebenfalls zu trösten. „Also im Militär habe ich ganz andere Situationen erlebt, zum Beispiel im Gebirge bei -20 Grad im Zelt zu kampieren.“ „Nun übertreibst du aber!“, tadelte Conny ihren Mann. Dann wandte sie sich Richard und Vivienne zu. „Wir gehen jetzt essen und dann wird uns allen wieder wärmer. Und nachts legen wir unsere Mäntel über die Betten, das kommt einer Daunendecke gleich.“ „Wenn du meinst“ antwortete Vivienne resigniert und trottete den Reisegefährten bis zum nächst gelegenen offenen Restaurant nach. Tatsächlich hatte um die Ecke ein gemütliches Restaurant zu später Stunde noch geöffnet und nach einem reichhaltigen Essen sowie zwei Grappas fühlten sich die vier Reisegefährten wieder besser.

      Nach einer unruhigen Nacht in einem Bett mit viel zu weicher Matratze und immer noch viel zu kaltem Zimmer trafen sich die Vier zum Frühstück. „Und, wie habt ihr geschlafen?“ wollte Vivienne mit Blick auf ihre Freunde wissen. „Es geht“ meinte Richard und ergänzte „die Matratze war viel zu weich.“ „Wo verbringen wir überhaupt den Sylvester-Abend?“ wollte Vivienne wissen, während sie ihre heisse Schokolade aus der Tasse schlürfte. „Das müssten wir noch organisieren, auf jeden Fall nicht im geplanten Restaurant, weil das nämlich geschlossen hat“ liess Armin seine Reisegefährten kleinlaut wissen.


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