Wer A sagt, sollte auch weitergehen. Winfried Niebes
Jahre seines Lebens wollte er im Kloster verbringen. „Sconilare palatio regio, Kaiser Lothar der Erste, 855 September 18“, so zu lesen zu Beginn der „Streiflichter durch 1140 Jahre Dorfgeschichte“. Verstorben ist er bereits am 29. September 855 in der Abtei in Prüm.
Es war für meine Eltern in der Nachkriegszeit mit ihren drei Kindern (meine drei Jahre jüngeren Zwillingsschwestern und ich) ein karges Leben, wie es so viele Familien erleben mussten. Sehr gut erinnerte ich mich an das knappe Geld im familiären Haushalt. Das Einkommen meines Vaters als Elektriker bei der Deutschen Bahn war sehr gering; meine Mutter hatte mit dem Fünfpersonenhaushalt alle Hände voll zu tun. Als Kind wurde ich während meiner achtjährigen Volksschulzeit immer wieder während der Ferien bei Bauern beispielsweise zum Kühe hüten und zur Heu- und Kartoffelernte eingesetzt. Im Anschluss an die Volksschulzeit startete meine Verwaltungsausbildung im Rathaus. Ich fand sehr rasch heraus, was der Ausspruch „Lehrjahre sind keine Herrenjahre“ bedeutet. Im Büroalltag erlebte ich doch auch heitere Stunden, welche ich nach Jahrzehnten als unglaubliche Anekdoten schildere. In der zweiten Hälfte der Sechzigerjahre folgte ein Verwaltungsstudium, um Beamter des mittleren Dienstes zu werden. Erst als das Wirtschaftswunder in Westdeutschland langsam eine finanzielle Verbesserung für die Bevölkerung brachte, erlebte auch die Familie Niebes einen Aufschwung. Meine Ausbildungsvergütung, damals Erziehungsbeihilfe genannt, war dennoch ein selbstverständlicher Beitrag zum Familieneinkommen. Karges Taschengeld war für mich normal.
Die herannahende Verwaltungsreform in Rheinland-Pfalz und interessante Stellenausschreibungen in einer Fachzeitschrift weckten schon längst mein Fernweh und verstärkten den Drang, die Eifelheimat zu verlassen. Ich war nicht bereit, auf Zufälle zu warten. Mein Glück wollte ich außerhalb des Elternhauses suchen. Eine Bewerbung brachte Erfolg und ich nahm mit 23 Jahren Abschied.
1 Lesehilfe
2 Lesehilfe
Vorrede
Wir gehen, indem wir vergehen, ziehen – bestenfalls – eine Leuchtspur wie ein Komet, verglühen irgendwann im Irgendwo. Wir landen, unabhängig davon, ob wir betrachtet werden. Unser Gesichtetwerden erfolgt erst viel später, wenn wir gleich fernen, erloschenen Himmelskörpern längst in eine andere Materieform übergegangen sind. So leistete ich mir wiederum den Übermut, etwas schriftlich niederzulegen, auf dass Leser meine bescheidene Leuchtspur auch nach meinem Erlöschen beobachten können, sei es zur Unterhaltung oder gar zur Belehrung.
Haltbarer als Papier ist bekanntlich Stein, doch bin ich kein Hammurapi3 eine Schriftsäule in Auftrag zu geben so vermögend. Verfasser Lutz Nitzsche-Kornel
Sie währte, meine Lebensreise. Weg aus dem vertrauten Umfeld der Eltern; Abschied von Freunden. Ich blicke zurück und sehe mich im Spiegel der Sturm- und Drangzeit in der Eifel. Nicht missen möchte ich die vielen lustigen, humorvollen Stunden und Tage. Aber nicht nur eitel Sonnenschein herrschte während der vergangenen Jahrzehnte. Wen wundert’s nicht? Sagt man dem Eifelvolk eine stetige Hartnäckigkeit nach, steckt hierin gleichfalls mein Wille, Ziele zu erreichen. Der Weg führte über kleines und grobes Pflaster, gesäumt durch mannigfache Blumenbeete. Nicht alles war Gold im Westen Deutschlands. Im ständigen Wechsel, so als wären sie wieder auferstanden, begleiteten mich die römischen Götter Juno und Venus. Hochjubelnd nach einem Sieg folgte mein niederschmetterndes Schluchzen bei Niederlagen. Jetzt, fast am Lebensabend, sehe ich im Rückspiegel, dass ich sehr wohl auf irgendeine Art von diesen Göttinnen mit einer gewissen Fürsorge bedacht wurde und Liebe zu mir kam mit dem erotischen Verlangen.
Mein innerer Impuls zur Suche nach Anerkennung blieb mir lange Zeit verborgen, obwohl ich sehr wohl immer wieder Aufmerksamkeit und Anerkennung suchte. Als Jugendlicher hatte ich keine Scheu in mir, mich einzubringen, wo es möglich war. Ich hegte keine Bedenken, dass mich die mir bewusste väterliche Erziehung zu Gehorsam, Disziplin und Ordnung zeitlebens begleiten würde.
Manche Passagen werden neben einer persönlichen Information anekdotengespickt sein und unterhaltenden Charakter haben. Inhaltlich mag der Leser4 sich jederzeit zur Bewertung von beschriebenen Ereignissen angeregt fühlen oder sich sogar von meiner Meinungsäußerung beeinflussen, vielleicht überzeugen lassen. Ihm wird sich bei dieser Lektüre hin und wieder die Frage stellen, ob es sich um Dichtung und Wahrheit handelt. Es wäre vermessen, einen direkten Bezug auf das Werk von Johann Wolfgang von Goethe herzustellen. Die dargestellten Begebenheiten mit dramatischen Elementen spiegeln einige Wendepunkte meines Lebens wider. Der Start führt in das Jahr 2019.
Es handelt sich um keine chronologische Erlebniserzählung. Manche Inhalte und Personen kristallisieren sich erst in einem späteren Kapitel heraus.
3 Lesehinweis
4 Meine Leser mögen die aus Gründen der Vereinfachung fehlende Erwähnung der weiblichen Form im Text nicht als Missachtung verstehen. Daher bitte ich, diese Ausdruckform zu verzeihen; alle mögen sich angesprochen fühlen.
Auf den Spuren im All
Das Internet zeigt sich hier und da als Glücksfall. Wer kennt nicht die Überraschung: Man gibt bei Tante Google oder Onkel Escosia Suchbegriffe ein und die Weichen in der Stratosphäre lenken zum gewünschten Thema, aber auch zu einem neuen Begriff. Sehr häufig erscheint auf dem Bildschirm eine völlige neue Entdeckung. So stellte das Internet zum Ende des Winters 2019 eine Weiche um wie bei Eisenbahnschienen, welche den Zug auf ein anderes Gleis lenken. Die Augen des Nutzers, meinem früheren Freund, weiteten sich zu großen Glaskugeln. Nach beinahe sechzig Jahren sinnierte er bei Betrachtung vieler Bilder in Alben seiner verstorbenen Tante über einen Ferienaufenthalt in meinem ehemaligen Heimatdorf Schüller – Scolinare – und suchte spontan meinen Namen im weltweiten Netzverbund. Siehe da, er entdeckte mich. Ein Geistesblitz zuckte in seinem Kopf, das Netzwerk bot ihm sogleich meinen Telefonanschluss und es drängte ihn überaus neugierig, sofort den Telefonhörer in die Hand zu nehmen und anzurufen.
Als ich es mir auf einem Sessel gerade etwas gemütlich machen wollte, klingelte plötzlich das Telefon.
„Ruft mich etwa meine Frau an, weil sie später aus dem Büro nach Hause kommt?“, murmelte ich vor mich hin.
Die Technik macht es möglich, Anrufer mit gespeicherten Nummern zu erkennen. Wer versteckte sich hinter der im Display erscheinenden Rufnummer? Sie war mir völlig unbekannt. Neugierig hob ich ab.
„Niebes“, konnte er meine zögernde Stimme vernehmen. Als er dann seinen Familiennamen nannte, klickte es bei mir und ich fand vor Aufregung und Verblüffung zunächst keine Worte. „Ach du je, Fritz. Nun bin ich aber platt. Erzähl doch, wo bist und was machst du? Du bist doch schon längst Rentner?“
„Na klar, ich genieße besonders die freie Zeit, kann fast machen, was ich will und muss mich nicht mehr mit Kunden ärgern und den Menschen nachlaufen.“
„Wieso, du warst doch nicht der Rattenfänger von Hameln. Ich denke, du bist Künstler geworden und wohnst irgendwo im Rheinland.“
„Nein, mein Weg führte mich auf eine völlig andere Spur. Versicherungsvertreter bin ich geworden.“
„Das ist ja ein Ding. Weißt du, das habe ich vor dreißig Jahren ein Jahr lang auch getan. Fritz, wo wohnst du denn? Das habe ich fast vergessen zu fragen.“
„Nur eine gute Stunde mit dem Fahrrad von meinem Geburtsort entfernt lebe ich seit vielen Jahren“.
Aus weiter Ferne kam war mir die vage Erinnerung gekommen, dass er Künstler werden wollte, und im Hinterstübchen wähnte ich ihn im Rheinland – wie sich nun herausgestellt hatte traf beides nicht zu.
Kurz berichtete er mir noch, sogar ein sehr musikalischer Mensch zu sein. Als Sänger in einem Gospelchor hatte er besondere Freude, stand vor einem größeren oder kleineren Publikum mit recht unterschiedlichen Menschen. Freudig erzählte er mir von einigen erschienen CD-Aufnahmen. Im Verlauf des Gesprächs bemerkte ich, dass er keine Hummeln im Hintern gehabt hatte, um wie ich unsesshaft zu werden.
Ein jeder mag sich denken, dass wir noch einige Zeit plauderten. Wichtig erschien uns, sofort die Mailadressen auszutauschen.
Bereits