In all den Jahren. Barbara Leciejewski

In all den Jahren - Barbara Leciejewski


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meinen Ersatzschlüssel geben und du kannst mir den Farn am Freitag in die Wohnung stellen. Bis Samstag hält er das schon aus.“

      „Gut“, sagte er.

      „Okay“, sagte ich.

      Damit war das Thema erledigt. Wir redeten noch über dies und das. Ich erzählte von meinem Besuch bei Edda und er erwähnte, dass er am nächsten Tag mit David verabredet war.

      „Sag ihm einen schönen Gruß“, sagte ich.

      „Mach ich“, sagte er.

      Als er ging, bedankte ich mich nochmal für seine Hilfe. Wieder gab es weder einen Handschlag noch eine Umarmung. Ich drückte ihm meine Ersatzschlüssel in die Hand und sagte: „Schöne Weihnachten und alles Gute für New York.“

      Dann ging er und ich versuchte, nicht daran zu denken, dass ich ihn zum letzten Mal gesehen hatte.

      Weihnachten bei meinen Eltern zu verbringen, war eine Schnapsidee gewesen. Sie schienen sich nicht übermäßig zu freuen und waren über die Feiertage bereits mit Freunden verabredet. Meine Eltern waren der Meinung, dass sie mit meiner Volljährigkeit ihr elterliches Soll erfüllt hatten, und nachdem beide Kinder aus dem Haus waren, genossen sie ihr Leben in vollen Zügen. Nicht dass ich mich hätte beschweren können. Sie unterstützten mich, wann immer es notwendig war, und sie waren auch für mich da, wenn sie es einrichten konnten, aber sie waren meilenweit von dem gluckenhaften Verhalten anderer Eltern entfernt, die ihre erwachsenen Kinder, wenn sie wieder einmal zu Hause erschienen, von vorn bis hinten bemutterten. So war das bei uns nicht.

      „Ach, hallo!“, sagte meine Mutter zur Begrüßung verblüfft und fügte sofort hinzu: „Du, wir sind aber an beiden Feiertagen verabredet, das kann ich jetzt nicht mehr absagen.“

      Mir war das recht. Ich war ganz froh, mich nicht allzu ausgiebig mit ihnen unterhalten zu müssen. Die Schnittmenge unserer gemeinsamen Gesprächsthemen war ohnehin nicht allzu groß. Aber wenigstens für mein leibliches Wohl wurde gesorgt. Meine Mutter zeigte mir, was im Kühlschrank war, und meinte, ich solle ruhig einkaufen, wozu ich Lust hätte. Nett von ihr! Ich verbrachte die Tage meist einsam mit Fertiggerichten vor der Glotze. Nicht einmal der Sissi-Dreiteiler verbesserte meine Stimmung.

      Beim Abschied küsste mich meine Mutter auf die Stirn, bedauerte, dass wir über die Feiertage so wenig von einander gehabt hatten, und empfahl mir, mich beim nächsten Mal früher anzukündigen. Ich versprach es.

      Als ich wieder nach München zurückkam, fand ich in meinem Postfach die Ersatzschlüssel. Ich fühlte mich so leer wie Finns Wohnung.

      In meiner eigenen Wohnung stand der Farn am Fenster, als hätte er schon auf mich gewartet.

      „Na, du!“, sagte ich zu ihm. Dann sah ich, dass auf meinem Sofa ein Paket lag, obendrauf ein Brief.

      An der Form und Größe des Pakets konnte man schon ahnen, was es war. Ich entfernte das Packpapier und tatsächlich: Es war die Zeichnung Verliebtes Paar am Meer bei Sonnenuntergang, mein Bild.

      Meine Augen füllten sich mit Tränen, die ich sofort wegwischte. Hastig riss ich den Brief auf:

      Liebe Elsa,

      das Bild ist ein Weihnachtsgeschenk für dich. Ich weiß, wie sehr du es von Anfang an gemocht hast (nicht wundern, ich bin Maler, ich sollte also über eine gute Beobachtungsgabe verfügen), und ich kann mir niemanden vorstellen, bei dem es besser aufgehoben wäre. Es ist auch mein Lieblingsbild.

      Vor allem aber hat es eine Geschichte, die auch irgendwie mit dir zu tun hat.

      Es ist nämlich an dem Tag entstanden, an dem wir uns zum ersten Mal begegnet sind. Ich bin mir ziemlich sicher, dass du dich daran erinnerst.

      Die Sache ist die: Ich male oft nackt. Vor allem dann, wenn mir etwas wichtig ist. Wenn ich das Gefühl habe, das, was ich male, muss etwas ganz Besonderes werden. Ich kann schlecht erklären, warum. Ich fühle mich dann weniger verkleidet und weniger geschützt. Ich bin dann so wie ich bin und das Bild hat mehr mit mir zu tun, mit meinen Empfindungen, mit meinem innersten Wesen.

      Dieses Bild war nicht das erste der Ausstellung, sondern eigentlich das letzte. Mit keinem der anderen war ich richtig zufrieden. (Gottseidank waren die Käufer anderer Meinung.) Ich hab mich ausgezogen und gemalt. Und als es fertig war, fand ich es selbst großartig, weil es das hatte, was den anderen gefehlt hat: Seele.

      Ich war so euphorisch, dass ich gar nicht mehr daran dachte, dass ich nichts anhatte, denn sonst wäre ich nicht auf die Idee gekommen, so zum Briefkasten zu gehen. Ich bin einfach rausgelaufen und im Flur ist mir erstens klar geworden, dass ich nackt war, und zweitens, folglich auch keinen Schlüssel in der Hosentasche haben konnte. Blöd, dass die Tür inzwischen zugefallen war. Das nur zur Erklärung.

      Egal. Was ich nur sagen wollte, ist: Das Bild ist eigentlich schuld an unserer ersten Begegnung und somit, finde ich, steht es dir in doppelter Weise zu.

       Alles Liebe, Finn

       1991

      Das Namensschild an Finns Briefkasten und an seiner Klingel war ausgewechselt worden. Jetzt stand da nicht mehr Finn McGregor, sondern S. Schulze.

      S. Schulze war eine Frau in den sogenannten besten Jahren, also Anfang vierzig, schätzte ich. Sie trug Kostüme, schlampige Hochsteckfrisuren und meistens eine schmale, schwarze Aktentasche, die sie als Businessfrau auswies. Wenn sie grüßte, lächelte sie breit und süßlich, doch sie war immer in Eile, so dass man nie ins Gespräch kam. Nicht dass ich das gewollt hätte. Ich versuchte, sie mir manchmal in Finns Wohnung vorzustellen, doch das verlangte zu viel Fantasie. Was hatte sie mit der Staffelei und dem Zeichentisch gemacht? Was mit dem schönen Holztisch? Schlief sie tatsächlich in seinem Bett? Und kümmerte sie sich auch um die Pflanzen?

      Ich war froh, dass ich Alfred gerettet hatte. Alfred, den Farn. Er war mir mittlerweile so ans Herz gewachsen und ich redete so viel mit ihm, dass ich fand, er sollte einen Namen haben. Schließlich konnte ich morgens ja schlecht sagen: Guten Morgen, Farn!

      Noch glücklicher war ich über Die Verliebten an meiner Wand über dem Sofa, das ja auch gleichzeitig mein Bett war. Es war das Erste, was ich am Morgen sah, wenn ich wach wurde, und das Letzte, wenn ich schlafen ging.

      Viel mehr hatte sich allerdings nicht geändert. Ich dümpelte vor mich hin, machte viel belanglosen Synchron, der mich gerade so ernährte, nahm an Castings teil, ohne ernsthaft zu erwarten, genommen zu werden, und spielte ab und zu Kleinstrollen in Fernsehproduktionen, gerne Leichen.

      Eines Tages Anfang Februar erhielt ich einen vielversprechenden Anruf. Es war nicht Hollywood, aber es war ein neues Privattheater in München, das sich ‚Die Theaterwerkstatt’ nannte. Die Dame am anderen Ende der Leitung erklärte mir, man habe von mir gehört und würde mich gern zu einem Vorsprechen einladen. Es ging dabei um die Hauptrolle in der Eröffnungsinszenierung: Hamlet.

      „Die Ophelia?“, schrie ich.

      „Nein, den Hamlet“, sagte die Dame sachlich.

      „Bitte?“

      Näheres würde mir der Regisseur dann mitteilen. „Werden Sie kommen?“

      Allein aus Neugierde wollte ich mir das nicht entgehen lassen. Ich machte also einen Termin mit ihr aus und begab mich gleich am nächsten Tag in den Norden Münchens nach Freimann, wo die neue Bühne ihre Räumlichkeiten hatte.

      Freimann. Also gut. Warum nicht auch einmal an der Peripherie spielen? Es musste nicht immer Schwabing, Haidhausen oder die Innenstadt sein. Warum nicht ein kulturell unterrepräsentierter Stadtteil? Immerhin war die Studentenstadt in der Nähe, die würden das Angebot schon nutzen.

      Das Theater befand sich in einer Art … Schuppen. Ein großer Schuppen zwar, der wahrscheinlich einmal eine Werkstatt gewesen war – womit mir auch die Wahl des Namens klar wurde –, aber trotzdem eben ein Schuppen, wenig größer als Finns Atelier. Finns ehemaliges Atelier.

      Immerhin hatte jemand den Holzboden


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