In all den Jahren. Barbara Leciejewski
entfuhr.
Neben dem Popart-Gemälde war ein kleiner, brauner Zettel an die Wand geheftet: sold.
„Verkauft?“, fragte ich.
„Ja, hat mich auch überrascht, dass jemand den Mist haben will“, sagte Finn.
„So war das nicht gemeint“, versicherte ich schnell.
„Stimmt aber“, sagte Finn schmunzelnd. „Von allen Bildern finde ich das am wenigsten gelungen. Nur Technik. Das kann praktisch jeder.“
Das bezweifelte ich stark, aber Finn schien fest dieser Ansicht zu sein.
„Wie viel …?“ Ich wusste nicht, ob es unhöflich war zu fragen, aber es hätte mich schon interessiert, was so ein Bild brachte.
„Nicht so wild: nur achthundert“, sagte Finn leichthin. „Mehr ist es auch nicht wert.“
Er lotste mich weiter von Raum zu Raum, auch ins obere Stockwerk. Ich sah jedes Mal das gleiche Bild, immer in einer anderen Variante, einem anderen Stil. Naturalistisch, expressionistisch, surrealistisch, manchmal den typischen Stil eines bestimmten Malers nachahmend. Es war einfach unglaublich. Dieser Mann hatte ein Talent, das nicht von dieser Welt war, jedenfalls erschien es mir so. Auch ohne eine Kunstkennerin zu sein, begriff ich: Das hier war etwas Besonderes. Sogar ein Blinder hätte das gesehen. Jedes einzelne Bild zeichnete eine andere Welt, weckte eine andere Emotion.
Bei vielen der Bilder hingen die kleinen, braunen Zettel. Ich versuchte, nicht auszurechnen, was Finn an diesem Abend verdiente.
Als wir unseren Rundgang beendet hatten, sah ich, dass David sich angeregt mit einer langmähnigen Dame auf High-Heels unterhielt, wenn man das so nennen konnte, was er tat. Das also hatte der Blick bedeutet, den die beiden Männer sich zugeworfen hatten.
„David findet immer Anschluss“, sagte Finn. Ich hörte den Unterton in seiner Stimme.
„Ist doch okay“, sagte ich, um zu zeigen, dass ich wahrlich nicht die Absicht gehabt hatte, mich von David abschleppen zu lassen.
„Klar“, sagte Finn, „er kann machen, was er will. Es ist nur so … unoriginell.“
„Wahrscheinlich liegt ihm nichts an Originalität“, erwiderte ich schulterzuckend.
Finn sah mich nur an.
„Noch einen Champagner?“, fragte er.
„Ich muss bald gehen“, sagte ich.
„Wir haben denselben Weg, oder?“, meinte er. „Wenn du es noch etwa eine Stunde aushältst, kannst du mit mir nach Hause fahren.“
„Also gut“, stimmte ich zu. Finn brachte mir ein Glas Champagner und entschuldigte sich dann fürs Erste. Er habe noch ein paar Verpflichtungen. Ich nahm an, dass er sich um seine Käufer kümmern musste, die tatsächlichen und die potentiellen.
Ich lief noch ein wenig durch die Zimmerfluchten, entdeckte voller Dankbarkeit die Toilette und kehrte schließlich in das große Zimmer zurück, in dem ich ganz zu Anfang gewesen war. Die alte Dame saß noch immer in ihrem Sessel, doch nun war sie ganz alleine. Sie beobachtete das Treiben um sich herum, ein kleines Lächeln im Gesicht, und schien ganz zufrieden zu sein. Ich jedoch fand es traurig, wie sie da so saß mit ihren ganzen Klunkern, wie eine Königin, die Hof hielt, aber die keiner beachtete.
Nach zwei Gläsern Champagner – und einem Glas Wein in der Kantine zuvor – war ich wesentlich geselliger als sonst und darum ging ich zu ihr.
„Guten Abend“, sagte ich, „ich bin Elsa Frank. Ich wollte Ihnen nur sagen, wie schön ich die Ausstellung finde. Ich habe gehört, dass Sie diejenige sind, die das möglich gemacht hat, und das finde ich ganz großartig.“
Sie sah mich zunächst erstaunt an, dann wurde ihr Lächeln weit und ihre Augen begannen zu strahlen.
„Das ist aber nett von Ihnen, danke!“, sagte sie mit leuchtendem Gesicht. „Nehmen Sie sich doch einen Stuhl und setzen Sie sich zu mir, wenn es Ihnen nichts ausmacht.“
Wenn es Ihnen nichts ausmacht. Sie war also sensibel genug zu spüren, dass viele der Leute, die sich mit ihr unterhielten, keinen großen Gefallen daran hatten.
„Danke, gern“, sagte ich und meinte es so. Ich nahm mir einen der wenigen Stühle, die sich in dem Raum befanden und von keinem genutzt wurden, weil es schicker war, in der Gegend herumzustehen, und zog ihn neben den Sessel der alten Dame.
Sie hielt mir ihre schmale, faltige Hand hin und sagte: „Edda Goldstein!“
„Freut mich sehr“, sagte ich.
„Kennen Sie den jungen Mann persönlich? Den Künstler, meine ich?“, fragte sie.
„Ja, das heißt, nein“, sagte ich. „Also, nicht so gut jedenfalls. Wir sind zufällig Nachbarn.“
Sie lächelte, als hätte sie nicht das geringste Problem, mein wirres Gestammel zu verstehen.
„Ich liebe Kunst“, sagte sie dann. „Ich habe mein Leben lang mit Künstlern zu tun gehabt und ich finde, dass man den jungen Leuten heutzutage wenig Chancen gibt, sich bekannt zu machen.“
Ich lächelte zustimmend, obwohl ich keine Ahnung hatte, wie es um die Chancen der jungen Künstler bestellt war.
„Mein Mann war auch Künstler, wissen Sie?“
Ich hob nur erstaunt die Brauen, was jedoch Aufforderung genug für sie war, mir ihre Lebensgeschichte zu erzählen.
„Nun ja, kein bildender Künstler, er war Pianist. Jude!“, fügte sie hinzu. Ihr Lächeln gefror und ich reimte mir in Sekundenbruchteilen zusammen, was mit ihm passiert war.
„Er starb in Auschwitz“, bestätigte sie meine Gedanken. „Ihm hat dieses Haus gehört. Man hat mich damals zu einer Scheidung zwingen wollen, aber ich habe mich geweigert. Ich kam nach Dachau. Das Haus wurde uns weggenommen. Ich habe die Nazis überlebt, er nicht.“
Ich war so schockiert, dass ich nicht wusste, was ich sagen sollte. Um uns herum standen schicke Menschen mit schicken Champagnergläsern, scherzten oder diskutierten kultiviert über Banalitäten und die alte Dame, die ihnen das Ganze ermöglichte, saß hier und redete ohne Umschweife über ihren Mann, der im KZ ermordet worden war. Es war grotesk. Schlagartig fühlte ich mich wieder nüchtern, meine Unsicherheit kehrte zurück. Ich war auf einen kleinen, angeregten Smalltalk gefasst gewesen, aber nicht auf so etwas.
Edda Goldstein ergriff meine Hand und lächelte wieder.
„Das ist alles so lange her“, sagte sie. „Ich konnte zwar nie mehr in dem Haus leben, aber ich wollte doch, dass es einen gewissen Zweck erfüllt. Das wäre auch im Sinne meiner Eltern gewesen. Sie haben die Villa immer geliebt.“
Ich verstand nicht. Ihre Eltern? Was hatten die jetzt mit dem Haus zu tun?
„Mein Vater hat den Garten immer selbst gepflegt. Er hatte ein großes Rosenbeet hinter dem Haus. Ach, was sag ich? Beet? Es war viel größer als ein Beet. Als ich ein Kind war, hat er mir eingeschärft, niemals dort in der Nähe zu spielen, weil er Angst um seine Rosen hatte.“
Sie lachte herzlich und erzählte davon, wie sie es einmal verbotenerweise trotzdem getan hatte und dann prompt in die Rosen gefallen war. Als Kind? Ich hatte gedacht, ihrem Mann hätte die Villa gehört, doch ich hakte nicht nach, sondern bemühte mich, meine Verwirrung zu verbergen. Vielleicht hatte ich etwas falsch verstanden.
„Und was machen Sie so, mein Kind?“
„Ich bin Schauspielerin“, sagte ich überrumpelt von dem abrupten Themenwechsel.
Sie hob die Hände in die Luft und klatschte sie begeistert zusammen.
„Noch eine Künstlerin!“, rief sie aus, so laut, dass es mir peinlich war, doch keiner achtete auf uns. Ich lächelte verlegen und fürchtete, nun von mir erzählen zu müssen, weil dann herauskäme, dass ich nur ab und zu beim Synchron einen Seufzer lassen durfte, wenn man mal von den vergangenen zwei Tagen