In all den Jahren. Barbara Leciejewski

In all den Jahren - Barbara Leciejewski


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hier betrogen? Wie kann man jemanden betrügen, den man nicht liebt? Ich hab die Schnauze voll von dir, verstehst du? Ich liebe dich nicht. Ich liebe dich nun mal nicht, und jetzt lass mich in Ruhe.’

      Das war mein Text. Claire machte gerade mit ihrem Freund Schluss, auf ihre Weise. Rücksichtslos, hart, verletzend. Sie wäre mir unsympathisch gewesen, wenn ich nicht schon das ganze Buch gelesen und gewusst hätte, dass das alles nur eine Maske war. Sie verletzte, bevor andere sie verletzen konnten, weil sie so viel Angst davor hatte. Eine junge Frau, die sich selbst im Weg stand.

      Gregor, der Tonmeister, spielte mir den Take vor: Er war lang, schnell, emotional, mit vielen winzigen Pausen. Ich versuchte zu erkennen, wo mein Text hingehörte und wie ich ihn verteilen musste, aber irgendwie schien das Original rhythmisch gar nicht zu der deutschen Fassung zu passen.

      „Lass dich nicht beirren“, ließ sich Henning vernehmen. „Der deutsche Text liegt etwas anders, aber das passt schon.“ Ach wirklich?

      „Einfach ablesen“, flüsterte mir David zu. Was? Ablesen? Nicht aufs Bild schauen? Ich sah ihn fragend an, doch er nickte nur.

      Der Take war schon da, ich hatte ihn verpasst. Also nochmal. Einfach ablesen. So, wie ich es sagen würde. Wütend, trotzig, aufgebracht. Einfach auf den Autor vertrauen und ablesen, sobald die vier kam.

      Eins. Zwei. Drei.

      „Was heißt hier betrogen? Wie kann man jemanden betrügen, den man nicht liebt? Ich hab die Schnauze voll von dir, verstehst du? Ich liebe dich nicht. Ich liebe dich nun mal nicht und jetzt lass mich in Ruhe.“

      Noch während ich las, war ich von mir selbst überrascht. Meine Stimme vibrierte förmlich, der heisere Ton ließ erahnen, dass hinter all der Wut eine verletzte Seele steckte, die sich verzweifelt zu verbergen versuchte.

      „Großartig!“, kam es aus der Regie.

      „Das war ja der Hammer“, sagte Regina verblüfft. „Den Schluss kann ich ziehen, das passt.“

      David grinste mich an und applaudierte geräuschlos. Besser ging’s nicht.

      Es war nicht so, als ob von da an alles reibungslos lief. Natürlich gab es Takes, die ich drei-, vier-, fünfmal machen musste, aber die gab es bei David auch. Wir ergänzten uns fantastisch und es machte am meisten Spaß, wenn wir Takes gemeinsam hatten.

      Am späten Vormittag kamen noch zwei weitere Kollegen dazu, am Nachmittag noch verschiedene andere. Auch das lief wunderbar.

      Den nächsten Tag begann ich alleine. David kam am Nachmittag wieder. Als wir am Abend unseren allerletzten Take gemeinsam sprachen, Regina danach strahlend in die Hände klatschte und Henning nach vorn kam und mich stürmisch umarmte, war ich so glücklich wie nie. Es war wie ein Rausch, bei dem ich nichts anderes denken konnte als: Das will ich wieder und wieder und wieder.

      Aber erst einmal war es vorbei. Man ging zwar noch gemeinsam auf ein Glas Wein in die Kantine, doch sowohl Regina als auch Henning verabschiedeten sich rasch. Für sie war es Routine. Am nächsten Tag wartete auf sie ein weiterer Ensembletag und danach kam ein anderer Film oder eine Serie. Mal besser, mal schlechter. Mal angenehmer, mal unangenehmer. Nur ich fühlte mich besonders und wollte dieses Gefühl nicht so schnell wieder loslassen. Ich bemerkte, dass David auf die Uhr schaute. Na klar, er hatte am nächsten Tag wahrscheinlich wieder irgendeine Hauptrolle zu sprechen, in einem anderen Studio einem anderen Weltstar seine Stimme zu leihen. Die altbekannte Ernüchterung klopfte schon wieder bei mir an, das Adrenalin versickerte.

      „Ich würde ja am liebsten noch was mit dir trinken“, sagte David dann prompt und ich machte mich schon bereit, ihm zu versichern, dass es nicht schlimm sei, dass er jetzt schon gehen müsse, ich müsse ja auch nach Hause und so weiter, aber dann sagte er: „Ich hab nur blöderweise einem Freund zugesagt, bei seiner Vernissage aufzutauchen. Hättest du vielleicht Lust, noch mitzukommen?“

      Mit so etwas hatte ich nicht gerechnet. „Ähm, äh, ja“, stammelte ich und besann mich dann. Mit diesem Mann hatte ich gerade eine innige Liebesbeziehung mit allen Höhen und Tiefen durchlebt, wenn auch nur vor einem Mikrofon, da gab es keinen Anlass mehr zu stammeln.

      „Ja, gern“, sagte ich mit fester Stimme und musste lachen.

      „Toll!“, strahlte er und meinte: „Wenn du dich in mein Auto traust, sind wir in fünf Minuten dort.“

      „Natürlich trau ich mich“, sagte ich. Ich hatte nicht den Eindruck, dass er einer war, der den Wagen in eine dunkle Gasse lenken und dort über mich herfallen würde, doch das war es nicht, was er gemeint hatte.

      Als wir nach draußen kamen, stand da ein hellblauer Trabbi, der nicht so aussah, als wäre er groß genug, um Davids langen Beinen und breiten Schultern Platz zu bieten.

      „Der musste sein“, sagte er und öffnete mir die Tür. „Wer weiß, wie lange es die noch gibt.“

      Ich stieg ein und David quälte sich auf den Fahrersitz, während er erklärte, er habe das Auto einem Cousin aus der DDR abgekauft, der sich jetzt, nach dem Fall der Mauer, so bald wie möglich etwas anderes zulegen wollte.

      Ich bekam allein schon vom Anblick seiner unbequemen Sitzhaltung Rückenschmerzen.

      „Ja, ich weiß, ich spinne“, erriet David meine Gedanken. „Keine Angst, demnächst fahre ich auch wieder Kombi. Hat mir mein Arzt verschrieben.“

      „Privatpatient, was?“, sagte ich. David lachte.

      „Da sind wir“, sagte er nach kurzer Zeit und bog in den Hof einer großen, alten Villa in Bogenhausen ein.

      „Wow!“, entfuhr es mir.

      „Da wohnt keiner mehr, die steht leer“, erklärte David. „Entsprechend heruntergekommen sieht es drinnen auch teilweise aus. Die Dame, der die Villa gehört, ist eine große Kunstliebhaberin und stellt das Haus jungen Künstlern als Ort für ihre Ausstellungen zur Verfügung.“

      „Umsonst?“, fragte ich.

      „Allerdings!“, antwortete David. „Sie selbst wohnt übrigens gleich dahinten.“ Er deutete auf eine andere Villa, die eindeutig in besserem Zustand und ebenfalls von einem riesigen, wunderschönen Garten umgeben war, den man jedoch wegen der hohen Hecken nur zum Teil einsehen konnte.

      „Wow!“, sagte ich noch einmal und David lachte.

      Der Eingang der alten Villa stand offen und man konnte einfach eintreten. Obwohl es von außen nicht danach aussah, war eine ganze Menge los. Leute, die sich schick gemacht hatten, schlenderten oder standen herum, hielten Sektgläser in der Hand, unterhielten sich oder betrachteten die ausgestellten Bilder, die überall an den Wänden hingen. Ich war vorher noch nie auf einer Vernissage gewesen, doch es war genau wie ich es mir immer vorgestellt hatte: mondän und etwas schräg. Ich kam mir denkbar fehl am Platz vor. David schien sich auszukennen und schob mich behutsam, seine Hand an meinem Ellbogen, von Zimmer zu Zimmer. Einmal beugte er sich zu mir herunter und flüsterte mir zu: „Da drüben ist die Besitzerin der Villa.“ Sein Kopf zuckte unauffällig in die Richtung, in der auf einem großen, alten Sessel eine kleine, alte Dame mit weißem Haar und unzähligen Klunkern um den Hals und an den Armen saß. Sie hielt ein Sektglas in der reich beringten Hand und unterhielt sich mit ein paar jungen Leuten, die um sie herum standen. Das heißt, sie redete und die jungen Leute hörten zu. Ich hatte den Eindruck, dass sie gerne geflohen wären, aber das war nicht möglich, ohne schlechte Manieren zu offenbaren. Und vielleicht war ja unter ihnen auch jemand, der sich in Zukunft von der Dame unterstützen lassen wollte.

      David nahm zwei Sektgläser von einem der Tabletts, die von jungen Aushilfskellnern mit langen, weißen Schürzen durch die Gegend getragen wurden, und drückte mir eines davon in die Hand.

      Die Farbe des ‚Sekts’ war verdächtig dunkel.

      „Das ist doch wohl kein …“

      „Champagner. Genau“, sagte David. „Zum Wohl!“

      Ich sparte mir ein drittes ‚Wow’, denn sonst hielt er mich womöglich für ein totales Landei, das noch nie rausgekommen war. Womit


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