In all den Jahren. Barbara Leciejewski

In all den Jahren - Barbara Leciejewski


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ließ.

      „Da“, sie zeigte auf Finn, als hätte sie ihn gerade bei einem Einbruch ertappt, „der junge Mann hot es nicht für nötik befunden, sich an die Hausordnunk zu holten.“ Sie versuchte, Hochdeutsch zu reden, vielleicht weil sie dachte, dass dadurch ihr Auftritt einen amtlichen Charakter bekam.

      Weil mir das als Erklärung nicht genügte und ich sie weiterhin nur fragend und wütend anstarrte, fuhr sie fort.

      „Hot af seiner Trumbeten gespuit. Es is scho glei Neine, und ma will doch seine Ruhe haben.“ Sie beendete den Satz trotzig erneut auf Hochdeutsch.

      „Ich dachte nicht, dass man …“, setzte Finn zu einer Entschuldigung an, doch ich schnitt ihm das Wort ab, ohne ihn zu beachten.

      „Ich habe in meiner Wohnung keinen Ton gehört“, sagte ich laut und deutlich, aber ohne zu schreien. „Alles, was ich gehört habe, war Ihr Geschrei, Frau Obermoser.“ Ich sah ihr fest und unverwandt in die Augen. „Ich habe mich mit Kopfschmerzen hingelegt und bin eingeschlafen und erst durch Ihren Lärm bin ich wieder wach geworden. Nicht durch eine Trompete. Durch Sie, Frau Obermoser.“

      Frau Obermoser stand der Mund offen und sie fühlte sich sichtlich unwohl in der Defensive, in die sie sich plötzlich gedrängt sah.

      „Aber I hab’s g’hert in meiner Wohnung herunten. Des muaß I ma doch need gfalla losn.“

      Sie versuchte, die dicken Arme über ihrem mächtigen Busen zu kreuzen, was jedoch nicht möglich war, sodass sie sie einfach wieder sinken ließ.

      „Dann beschweren Sie sich in Gottes Namen demnächst schriftlich oder rufen gleich die Polizei, aber veranstalten Sie bitte nicht einen solchen Lärm.“

      Ich blitzte sie noch einmal wütend an, zog mich dann in meine Wohnung zurück und warf energisch die Tür ins Schloss. Peng!

      Das hatte ja richtig gut getan, dachte ich amüsiert, unterdrückte ein Lachen und klemmte mich vorsichtig hinter den Spion, um den Effekt zu bewundern. Das konnte man einer Schauspielerin doch nicht verdenken, oder?

      „Also, Frau Obermoser, es wird nicht wieder vorkommen“, hörte ich Finn sagen, ohne dass ich ihn sehen konnte, dafür reichte der Blickwinkel des Spions nicht aus.

      Frau Obermoser stand noch unter Schock, nickte nur kurz und murmelte etwas wie: „Dös wui i a hoffen.“ Dann eilte sie, so schnell sie es vermochte, die Treppe hinab. Nebenan wurde die Tür geschlossen. Schade, jetzt würde er wohl nicht mehr spielen.

      Eine Minute später hörte ich leise durch die Wand The Rose.

      Bei der nächsten Begegnung mit Frau Obermoser war die Dame denkbar kühl und kurz angebunden, was mir gut gefiel. Mehr als ein schnippisches „Grüß Gott!“ – auf Hochdeutsch – schenkte sie mir nicht mehr. Kein süßliches Lächeln, kein „Scheena Doog no!“ Sehr gut!

      Finn sah ich eine ganze Weile überhaupt nicht. Ab und zu hörte ich seine Haustür nebenan, aber das war alles. Unsere Nachbarschaft schien sich so zu gestalten wie die mit seinem Vormieter. Eigentlich fand ich es schade, denn spätestens seit ich ihn Saxophon spielen gehört hatte, hatte ich den Wunsch, ihn kennenzulernen. Richtig kennenzulernen. Nicht dass ich mir das eingestanden hätte, aber ich dachte immer wieder an ihn. Wenn ich aus dem Haus ging oder zurückkam, hoffte ich insgeheim, ihm zu begegnen. Wenn ich seine Haustür hörte, war ich versucht, zum Spion zu eilen, was ich mir natürlich nicht gestattete. Wie kindisch wäre das denn gewesen?

      Dann kam endlich mein großer Tag. Zwei große Tage eigentlich. Die Synchronaufnahmen zu dem Kinofilm, bei dem ich die weibliche Hauptrolle sprechen sollte, gingen los. Ich hatte auf drei Tage gehofft, doch die geschickte und sparsame Aufnahmeleiterin hatte alle meine Takes in zwei Tage gequetscht. Das hieß von morgens bis abends hellwach sein und jede Minute einen der berühmten Henning-Ausbrüche fürchten, die zeitweise sogar die Leute ereilten, die er gut leiden konnte und mit denen er eigentlich ganz zufrieden war.

      Ich hatte nicht wenig Panik. Er kannte mich doch eigentlich gar nicht so gut. Dieser eine Take in einem günstigen Moment war sicher schon längst wieder vergessen. Jetzt wurden von mir ganz andere Qualitäten verlangt und wenn ich das nicht bringen konnte, was dann? Würde diesmal ich weinend auf dem Sofa sitzen? Würde Henning hysterisch durch die Gänge laufen und nach einem vernünftigen Ersatz schreien?

      Ich war froh, als mir im Studio Regina entgegenkam. Sie war Hennings Leib-und-Magen-Cutterin. Diejenige, die seinen Ausbrüchen standhalten oder sie manchmal sogar abfangen konnte und die sich nicht scheute, ihm auch mal die Meinung zu sagen. Und sie war eine echte Hilfe, besaß Adleraugen und die nötige Ruhe, die einem Sicherheit gab.

      Das Herzklopfen, das sich bei Reginas Anblick ein wenig gelegt hatte, setzte jedoch umso stärker wieder ein, als ich meine Sachen in den Aufenthaltsraum brachte.

      „Hallo, ich glaube, wir beide haben heute das Vergnügen miteinander, stimmt’s?“

      David Aigner stand leibhaftig vor mir, nannte höflich seinen Namen, als wäre er irgendein unbekannter Nobody, und streckte mir lächelnd die Hand entgegen. David Aigner, der Synchrongott, die Stimme aller Stimmen, der Star aller Stars unter den Sprechern. Ich wollte sterben. Oder mich in Luft auflösen. Irgendwas, nur nicht neben diesem Mann am Pult stehen müssen und in seinem Beisein versagen und von Henning fertiggemacht werden. Doch als nichts passierte, das mich vor dieser Schmach retten konnte, ergriff ich notgedrungen seine Hand, schaffte ein verkrampftes Grinsen und sagte etwas kurzatmig: „Elsa Frank!“

      „Hi Elsa“, sagte er nett. „Sagen wir Du?“

      Ich nickte nur, weil ich damit beschäftigt war, den Kloß in meinem Hals loszuwerden.

      Er lachte. „Bist du nervös?“, fragte er direkt, aber ohne dabei taktlos oder gar gönnerhaft zu wirken.

      „Ehrlich gesagt, ja“, sagte ich, meine Stimme rauer als ohnehin schon.

      „Ich auch“, erwiderte er zu meiner Überraschung und als ich ihn ein wenig skeptisch ansah, fügte er hinzu: „Im Ernst. Jedes Mal wieder. Und die Leute glauben es mir nie.“

      Er setzte sich auf das Sofa, auf dem einige Wochen zuvor die aufgelöste Kleine gesessen hatte. Es kam mir so absurd vor.

      David Aigner war sehr groß, sicher fast zwei Meter lang, und so breitschultrig, dass ich mich fragte, ob wir nebeneinander hinter das Pult passten. Er war attraktiv, aber ganz und gar kein Schönling, hatte leicht pockennarbige Haut und eine lange, sehr markante Nase, doch seine Augen strahlten Wärme und Herzlichkeit aus und waren umgeben von vielen kleinen Lachfältchen. Sein Alter war nur schwer zu schätzen, er konnte ebenso gut dreißig wie auch vierzig sein, denn er wirkte jugendlich und sehr erfahren zugleich.

      Ich wollte mich schon zu ihm setzen, als Regina hereinkam und meinte: „Dann legen wir mal los, oder?“

      „Auf in den Kampf“, sagte David und lächelte mir zu. Ich atmete tief durch und sammelte allen Mut, alle Konzentration und alles, was ich je gelernt hatte.

      Der Film war eine romantische Komödie, in der es um die schwierige Beziehung zwischen einer Frau und einem Mann ging, die von Anfang an füreinander bestimmt schienen, doch sich immer wieder aus den Augen verloren, weil sie zu unterschiedlich und zu dickschädelig waren. Ihre Liebe erkannten sie erst – wie in solchen Filmen üblich – ganz am Schluss.

      Meine Figur hieß Claire und war das Gegenteil von mir: eine unangepasste, aufmüpfige junge Frau, die gern gegen den Strom schwamm und immer ein wenig zu schnell mit dem Mundwerk war. Meine raue Stimme passte hervorragend zu der Figur, wie ich erstaunt feststellte, besser noch als zu mir selbst.

      Den ersten Take hatte David und er brauchte drei Versuche. Einmal war er zu kurz und beim zweiten Mal wollte er es selbst noch besser machen, obwohl Henning schon zufrieden war. Das war es also, was ihn von anderen unterschied: Er wollte das, was er tat, nicht einfach nur gut machen, er wollte es so gut wie nur möglich machen. Er war toll. Ich war ihm vom ersten Take an verfallen, in professioneller Hinsicht natürlich.

      Dann kam ich. Mein Take war erschreckend lang und Regina,


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