In all den Jahren. Barbara Leciejewski

In all den Jahren - Barbara Leciejewski


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fragte ich.

      Er schüttelte den Kopf. „Nein, eigentlich nicht. Mein Bruder ist Kunstprofessor und hat für seine Studenten, oder auch Ex-Studenten, Möglichkeiten gesucht, sich und ihre Arbeiten zu präsentieren. Dabei hat er eines Tages diese Villa entdeckt und das ganze Projekt ins Rollen gebracht. Dass die Besitzerin so eine spendable Rolle spielt, war zwar nicht geplant, aber wenn sie Freude daran hat, umso besser. Ich komme nur her, wenn ich den Künstler auch persönlich kenne oder wenn mein Bruder nicht hier sein kann. Und heute trifft beides zu.“

      Ich war irgendwie beruhigt, dass David einen persönlichen Bezug zu der Geschichte hatte und nicht hier war, weil er auf solche Schicki-Micki-Veranstaltungen stand.

      Eine rothaarige Frau im kleinen Schwarzen warf mir im Vorbeigehen einen abschätzigen Blick zu. Ich war mit meiner Jeans, den flachen, bequemen Schuhen und der zwar hübschen, aber doch alltäglichen Bluse mit dem kleinen Blümchenmuster nicht wirklich passend angezogen. Auch mein Make-Up war nicht für den Abend oder derartige Gelegenheiten gedacht und an das Aussehen meiner Haare wollte ich gar nicht erst denken. Ich nahm einen großen Schluck Champagner und versuchte, mein Selbstbewusstsein durch den Gedanken an meine Leistung der letzten beiden Tage aufzupolieren. Und natürlich durch den Mann an meiner Seite. Na ja, nicht gerade an meiner Seite, aber immerhin war David nicht irgendwer und seine imposante, durchaus charismatische Erscheinung machte Eindruck. Trotzdem, der Blick dieser Frau hatte seine Wirkung nicht verfehlt. Ich wollte mich am liebsten verkriechen. Oder nach Hause gehen.

      Plötzlich hob David die Hand und winkte.

      „Hey! Finn!“, rief er mit seiner markanten, durchdringenden Stimme.

      Ich zuckte zusammen. Das hatte er jetzt nicht wirklich gesagt. Den Namen. Finn. Mir fuhr ein Schreck durch die Glieder und ich versuchte hektisch herauszufinden, wem er da winkte und wer um alles in der Welt ebenfalls den Namen Finn trug.

      Nicht ebenfalls. Es war Finn. Mein Nachbar Finn McGregor. Der Finn.

      Er kam durch die ganzen Leute direkt und lässig auf uns zu. Weißes, ungebügeltes Hemd, Jeans, Turnschuhe und sein typisches breites Grinsen im Gesicht. Warum musste ich diesem Menschen immer dann begegnen, wenn es peinlich war, wenn er nackt oder ich unpassend gekleidet war. Unwillkürlich wich ich ein wenig zurück und war dankbar, dass David Finn entgegenging und ihm so den Blick auf mich versperrte.

      Die beiden gaben sich halb die Hand, halb umarmten sie sich. Irgend so eine männliche Begrüßungsgeste. Ich hatte Finn immer für ziemlich groß gehalten, aber neben David verschwand er fast und wenn er sonst schlaksig aussah, wirkte er neben diesem breitschultrigen Goliath so schmächtig, dass es fast schon rührend war.

      „Darf ich vorstellen“, sagte David weltmännisch und richtete einen seiner langen Arme auf mich: „Elsa Frank, eine ganz wunderbare Kollegin. Elsa, das ist Finn McGregor, der Künstler, der alle diese genialen Bilder gemalt hat.“

      Es war einer dieser Augenblicke, in denen man nur eins denken kann: Scheiße, was sag ich jetzt?

      Sogar Finn entglitten für einen kurzen Moment die Gesichtszüge, als er mich erkannte. Es war dieses verspätete Erkennen, dieses Das-Gesicht-hab-ich-doch-schon-mal-gesehen-aber-wo?Ach-ja-genau!-Erkennen, das einem definitiv klar machte, dass man bisher keinen bleibenden Eindruck hinterlassen hatte. Jedenfalls interpretierte ich seine Reaktion so.

      Und dann grinste er und sagte schlicht: „Hallo!“

      „Hallo!“, erwiderte ich, verklemmt wie immer, und fühlte mich verpflichtet, David aufzuklären. „Wir sind Nachbarn.“ Es klang vollkommen dämlich.

      „Im Ernst?“, fragte David verblüfft und schaute zwischen Finn und mir hin und her.

      „Ja“, sagte Finn, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt.

      „Du bist also Synchronsprecherin?“, fragte er mich dann. Meine Berufsehre gebot mir, ihn zu korrigieren: „Schauspielerin, ja.“ Und ich fragte meinerseits: „Und du bist also Maler?“

      „Illustrator eigentlich“, berichtigte er, „aber ja, das auch: Maler.“

      Er sah mich plötzlich nachdenklich an.

      „Ist es okay, dass wir uns duzen?“, fragte er.

      „Ja, klar. Ist okay“, erwiderte ich. Ich spürte Davids Blick von der Seite und auch, dass er sich fragte, was da zwischen seinem Freund und mir vorging.

      „Wie gefällt euch die Ausstellung?“, fragte Finn.

      „Toll!“, sagte David prompt, während mir bewusst wurde, dass ich die Bilder bisher gar nicht beachtet hatte, und so wusste ich nicht, was ich sagen sollte, als Finn mich erwartungsvoll ansah.

      Natürlich wurde ich wieder rot, was bei der guten Beleuchtung kaum zu verbergen war, doch bevor ich irgendetwas Blödes stammeln konnte, sprang David ein: „Wir sind gerade erst angekommen.“

      „Und woher weißt du dann, dass die Ausstellung toll ist?“, fragte Finn.

      „Weil deine Bilder immer toll sind“, sagte David grinsend, aber man konnte trotzdem erkennen, dass er es ehrlich meinte.

      „Idiot“, sagte Finn lachend. Zum ersten Mal hatte ich den Eindruck, dass er unter dem Lob seines Freundes ein wenig verlegen geworden war.

      „Wenn du willst, kann ich dir eine Privatführung geben“, wandte er sich an mich.

      „Gern“, sagte ich, erleichtert, dass sich die peinliche Situation so einfach aufgelöst hatte.

      „Du kannst dir ja inzwischen ein wenig Gesellschaft suchen“, meinte Finn zu David, „dürfte nicht so schwer sein.“ Die Blicke, die sie tauschten, enthielten irgendeinen Subtext, den ich nicht verstand, aber ich war nicht in der Lage, mir darüber Gedanken zu machen. Ich war viel zu verwirrt von dem ganzen Abend, der Villa, dem Champagner und vor allem der Tatsache, dass Finn hier aufgetaucht war.

      Er nahm mich mit zur Eingangshalle, wo das erste Bild hing.

      „Damit sollten wir anfangen“, meinte Finn, „weil es das Thema vorgibt: Verliebtes Paar am Meer bei Sonnenuntergang.“

      Wir standen vor einer Zeichnung, einer Art Skizze, nicht einmal eine sehr ausführliche, reduziert auf das Wesentliche: Ein Sonnenuntergang über dem Meer, davor, am Strand sitzend mit Blick zum Horizont, die Liebenden. Die Frau hatte ihren Kopf an die Schulter des Mannes gelegt, der Mann seinen Arm zärtlich um sie geschlungen. Es war eine simple Zeichnung, doch in den wenigen Strichen lag die ganze Innigkeit und Vertrautheit des Paares und ihre Gefühle füreinander waren fast greifbar. Das Bild war von so großer Intensität, in seinem Ausdruck so tief und beseelt, dass es mir die Sprache verschlug. Kein großartiges, detailreiches Ölgemälde, keine Fotografie hätte lebendiger oder berührender sein können.

      Ich hatte keine Ahnung von Kunst oder Malerei, aber das hier war das Werk eines wirklich großen Künstlers und es war überwältigend.

      Im Bewusstsein, dass eben dieser Künstler nun neben mir stand und weil ich fürchtete, er bekäme einen falschen Eindruck und würde, ob meiner Sprachlosigkeit, womöglich denken, ich fände das Bild nicht gut oder wäre nicht in der Lage, das Besondere daran zu erkennen, sagte ich: „Wunderschön!“, und hätte mich ohrfeigen können. Wie platt! Wie unpassend! Das Bild war viel mehr als ‚wunderschön‘. Es war unfassbar.

      Doch Finn hatte sein breites Grinsen im Gesicht, während er mich von der Seite ansah, und das gab mir die Hoffnung, dass er verstand, was ich eigentlich sagen wollte.

      „Da geht’s weiter“, sagte er und wir gingen in ein kleines Zimmer zur Rechten. Hier befanden sich zwei Bilder. Das gleiche Thema wie zuvor, Verliebte am Meer bei Sonnenuntergang, nur diesmal völlig anders. Das erste war eine schrille Popart-Version mit so knalligen Farben, dass man den Blick geblendet abwenden wollte, das zweite eine aufwendige Karikatur, die die ganze Szene grob ins Lächerliche zog. Der Mann hielt diesmal eine Zigarette in jener Hand, die auf der Schulter der Frau lag – hier eine Geste der Dominanz –, eine Bierflasche in der anderen. Weitere Flaschen lagen am Strand herum. Die Haltung des Kopfes


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