Schwabinger G'schichten. RAMSES III. (Wolfgang Kramer)

Schwabinger G'schichten - RAMSES III. (Wolfgang Kramer)


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stieß da noch einer zu uns, der fester Bestandteil der Clique wurde. Das war der Mike Hagenbusch, seines Zeichens Zahnarztsohn und am Studieren. Nebenbei fuhr er "Call Car", so wie auch ich zu dieser Zeit, wobei ich ihn kennen lernte. Das Studium gab er bald auf, er konnte nämlich kein Blut sehen und somit auch nicht Vaters Praxis übernehmen. Das war wirklich komisch : wenn der Mike Blut sah, wurde ihm nicht schlecht oder so was, sondern er fiel schlicht und ergreifend in Ohnmacht – ohne Vorwarnung! Ich habe einmal erlebt, dass ein fettes Insekt an die Windschutzscheibe klatschte, während er Auto fuhr (ich als Beifahrer), sodass sich ein Blutfleck bildete. Da ich von seiner Eigenart wusste, schaltete ich sofort den Scheibenwischer ein, denn er war bereits am Weg knicken. Das war nicht lustig – das hätte böse enden können! Er hat aber bis dato überlebt!

      Wir befreundeten uns ziemlich eng und unternahmen oft etwas zusammen. Da Mike recht klein und zierlich war, wurde oft gemutmaßt, wir wären schwul, aber das war uns egal.

      Am heftigsten wurden unsere Ausritte im Fasching. Mike rief mich fast täglich an und fragte, ob ich auf eine Party mitkommen würde. Ich konnte nie nein sagen! Also waren wir fast jede Nacht unterwegs. Das war ungeheuer anstrengend, da ich inzwischen bereits in meines Vaters Firma arbeitete, wo ich um 7 Uhr früh Arbeitsbeginn hatte. Deshalb erwischte ich teilweise in einer ganzen Woche nicht mehr Schlaf als etwa 8 Stunden. In der Firma wusste man schon – wenn ich überpünktlich zur Arbeit erschien, hatte ich durchgemacht. Normalerweise schaffte ich es nämlich nie, pünktlich zu sein.

      Aber wir hatten ungeheuer viel Spaß und lernten unzählige Mädels kennen. Adressen fürs ganze Jahr!

      Nebenbei – Mike war ein Waffen narr. Zunächst galt sein Interesse alten Schusswaffen, vornehmlich Westernwaffen, aber später wechselte er zu Samuraischwertern. Und obwohl er kein Zahnarzt wurde, hat er sich trotzdem etabliert und wurde erstaunlicherweise einer der anerkanntesten Gutachter weltweit für diese Waffen.

      Aber das alles war eben auch nicht befriedigend, auf die Dauer – Schwabing rief uns!

      Unsere ersten Ausflüge nach Schwabing unternahmen meine Spezln und ich bereits mit etwa vierzehn Jahren, allerdings Sonntag nachmittags, mit dem Fahrrad. Es war ein echter Abenteuertrip, denn wir Landeier mussten ans andere Ende der Stadt.

      Sonntag nach mittag – auch das hatte schon was! Der Trubel auf dem "Boulevard Leopold", die Eiscafés, jede Menge "steile Zähne", wie die Mädels damals im Teenagerjargon genannt wurden, Straßenmusiker, "anders" gekleidete Menschen, einfach verrückt, wie wir es empfanden. Die ganze Schwabinger Lebensart war höchst faszinierend!

      Da war das "Cadore" auf der "Leo". Das war das angesagteste von den italienischen Eis Cafés (heute "Gino's"), und dort traf sich im Sommer tagsüber alles, was in Schwabing Rang und Namen hatte – oder glaubte es zu haben. Die Leute kannten sich, scherzten, lachten, flirteten, und ich wünschte mir sehnlichst, ich würde dazu gehören – was ja später auch eintraf – aber erst viel später!

      Eine wichtige Anlaufstation in dieser Ära war auch der "Jazzkeller" in der Türkenstrasse. Ich glaube, das Gelände hieß offiziell "Türkenkaserne", obwohl da keine Kaserne mehr stand, nur ein antik anmutender steinerner Torbogen.

      Das war dort, wo heute die "Pinakothek der Moderne" steht.

      Das Gelände war unbebaut und wurde als Parkplatz genutzt, und mittendrin stand eine Holzhütte, die der Eingang zum "Jazzkeller" war, der ja tatsächlich ein "Keller" war.

      Es war die Zeit "nach dem Rock' n 'Roll", als wir glaubten, uns weiterentwickeln zu müssen und deshalb zum Jazz überliefen, der eben angesagt war.

      OK, zunächst war der "Jazz" eigentlich lediglich "Dixieland", was immerhin eine Musikrichtung war, zu der man gut trinken konnte.

      Als wir dann unsere musikalische Neugier weiter verfolgten und hinein schnupperten in "Modern Jazz", "Cool Jazz" und was es sonst noch alles gibt, verloren wir bald unser "intellektuelles" Interesse am Jazz. Das war uns dann doch zu abgefahren und zu wenig melodiös.

      Da gab es noch eine Location, die höchst interessant war, den "Tunnel"! Zwar nicht in Schwabing gelegen, aber einzigartig!

      Es war ein Gewölbe, sicher ein ausgedienter Bierkeller vom Augustiner Biergarten.

      Der "Augustiner" liegt ja auf einem Hügel, und an dessen seitlichem Abhang war dieses Gewölbe im Hügel gelegen.

      Der Platz ist deshalb erwähnenswert, weil er heutzutage als gastronomische Einrichtung völlig undenkbar wäre! Einen offiziellen Namen dafür gab es nicht, wir nannten die Lokalität einfach nur "Tunnel", weil es ein kerzengerades Gewölbe war – eben wie ein Tunnel.

      Am Eingang standen immer Bierkästen aufgetürmt, wo man sich gleich beim Eintritt mit Bier versorgen konnte. Gläser gab es natürlich nicht, nur Flaschen! Es gab kein elektrisches Licht, nur Kerzen auf den Tischen, und es gab auch keine sanitären Einrichtungen. Gebieselt wurde "wild", also im Freien.

      Das Gelände vor dem "Tunnel" war zu dieser Zeit ein unbewachter Parkplatz, also hatte sich auch niemand beschwert.

      Und die Band brauchte auch keinen Strom, da "Dixieland" unplugged gespielt wurde, ohne Stromgitarren und elektrischen Keyboards.

      Folgerichtig gab es auch keine Entlüftung, und man kann sich vorstellen, was da drin für eine Luft war. Der Laden war ständig zum Bersten voll, und vor allem im Sommer war es unerträglich stickig in dem Gewölbe.

      Aber in diesen Tagen hat uns das überhaupt nichts ausgemacht – wir hatten Gaudi ohne Ende!

      Eine meiner ersten Exkursionen ins Schwabinger Nachtleben führte mich ins "Café Reitschule". Das war damals, wie auch heute wieder, sehr "en vogue", allerdings war das damalige Konzept ein völlig anderes, aber eben zeitgemäß. Es war noch die Zeit vor den Discos, und so wurde noch ausschließlich Live-Musik gespielt. Zu der Zeit gab es noch den wirklich berühmten Münchner Schlagzeuger und Bandleader Freddie Brocksieper, eine absolute Jazz-Legende. Die Band spielte eingängigen und tanzbaren Jazz, und des öfteren gesellte sich auch der damals sehr bekannte und beliebte Jazz Sänger Frank Forster dazu sowie der Trompeter Charlie Tabor, ebenfalls eine international anerkannte Münchner Jazz Legende.

      Wenn man das Café betrat, spielte sich zur Rechten das Hauptgeschehen ab und zur Linken, etwas hermetisch abgetrennt durch eine Art breiten Pfeiler, eine Bar. Diese war ganz nach meinem Geschmack, und ich wurde Stammgast. Geld hatte ich kaum welches, ich war zu der Zeit noch Schüler, und so waren meine Zechen dementsprechend mickrig.

      Der Barkeeper war der "Peter". Wie ich im Lauf der Zeit erfuhr, war sein voller Name Hans Peter, also Peter war sein Familienname, aber jedermann nannte ihn nur Peter. Er war klein und eigentlich hässlich und hatte eine Glatze – damals schon.

      Der Peter war ein echtes Unikum, ein "Haderlump". Aber er war auch ein zertifierter "Barmeister". Er hatte immer nur Blödsinn im Kopf und sonderte am laufenden Band witzige Sprüche ab. Aber er war ein wirklich netter, lieber Kerl. Es war unfassbar, aber trotz seiner mangelnden Attraktivität, er war klein, schmächtig und damals eben schon fast "plattert", kam er offenbar bei der Weiblichkeit bestens an. Und er schnaxelte bei jeder erdenklichen Gelegenheit und in jeder unmöglichen Situation. So hatte er beispielsweise ein Art Büro, gleich gegenüber der Bar, das aber winzig war. Es war rund und im Durchmesser wohl kaum mehr als zwei Meter. Er schaffte es, schnell mal an der Bar ein Mädel klar zu machen, das er dann blitzartig in seinem Kabuff im Stehen vernaschte – so innerhalb von fünf Minuten! Wie er das immer so unglaublich schnell zuwege brachte, sollte mir ewig ein Rätsel bleiben – aber ich war voller Hochachtung und Neid.

      Denn ich war (und bin immer noch) eigentlich schüchtern, was man mir nicht direkt anmerkt, aber in meinen frühen Jahren war ich gerade deshalb oft unglücklich verliebt. Ich hatte oft "Zahnweh"! Der Ausdruck war eine Erfindung von mir. Die Medls hießen in den 60ern "Zähne". Ein tolles Mädchen war somit ein "steiler Zahn", und daraus ergab sich für mich, dass aus Liebeskummer eben "Zahnweh" wurde.

      Der Peter hat sich auch nie geändert. Als ich ihn viele Jahre später einmal im Hippodrom auf der Wiesn traf, er musste inzwischen um die 70 Jahre alt gewesen sein, sagte er nach unserer


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