Entenbootweltbürger und andere Erzählungen aus Südkorea. Park Min-gyu

Entenbootweltbürger und andere Erzählungen aus Südkorea - Park Min-gyu


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Coach, meinem besten Kumpel. „Wie steht’s denn so?“ ‒ „Alles bestens.“ Was hätte ich schon anderes sagen sollen? Über ihn hatte ich ja den Job bekommen. Die Informationen über Gelegenheiten zum Geldverdienen liefen in unserem Viertel wohl alle bei ihm zusammen, auf jeden Fall hatte er schon vielen anderen vor mir einen Job zugeschanzt, außerdem stand er einem dann noch immer mit Rat und Tat zur Seite. Unbezahlbar, so ein Kontakt. Ich griff nach einer Packung Capri Sun und drückte sie Coach in die Hand: „Geht auf meine Rechnung.“ Ich grinste, als ich das sagte, aber dabei schielte ich nach der Uhr und dachte: „Trink’s in dem Bewusstsein, dass das 25 Minuten meines Lebens entspricht.“ Er fing an zu quatschen: „Dort wo ich arbeite, der Chef, so ein Arsch! Hat er heut schon wieder eine Mitarbeiterin betatscht, Pfote zwischen die Schenkel geschoben ... Mich regt das so was von auf! Darf sich der alles erlauben?“ Im Stillen dachte ich da bei mir: Ob der Chef sich das erlauben darf oder nicht, würde ich dahingestellt lassen; allerdings sollte er, wenn er schon unbedingt grapschen muss, seiner Angestellten wenigstens einen Zehntausender pro Stunde zahlen. Nicht das Hingrapschen war das Böse. Das eigentlich Böse war, das Opfer nur mit einem Tausender die Stunde abzuspeisen. Fand zumindest ich, für meinen Teil.

      „Aber lassen wir das, bist du gut im Bankdrücken?“ – „Was? Bankdrücken?“ – „Oder sagen wir Liegestütze.“ Musste ich natürlich sagen, dass ich ein Ass bin. Anders kam man nie zu einem Job, das war schließlich auch damals schon das Fundamentalste vom Fundamentalen. „Die Knete ist gut, dreitausend die Stunde. Körperlich allerdings ein bisschen anstrengend.“ – „Was, drei Tausender?“ Ohne noch richtig zu wissen, worum es ging, bloß wegen diesem „dreitausend die Stunde“ wurde ich plötzlich hellwach und spitzte die Ohren. Gab es tatsächlich, hier irgendwo rund um mich, ein Unternehmen mit einer dementsprechend hohen Wertschöpfung? Schon allein, dass mir so ein Posten angetragen wurde! Von einem Moment auf den andern fühlte ich mich zum wichtigen Rädchen einer hochentwickelten Industriegesellschaft befördert. „Da bin ich dabei, sofort!“ Um einen Vergleich zu wagen: Ein Sonnenstrahl passiert den Merkur, die Venus und auch die Erde und landet schließlich sanft auf dem Mars. Ob der wohl ähnlich glücklich ist wie damals ich? „Vernachlässigbare Erde, ich weiß mir was Besseres! Tschüss!“

      So nahm ich also diesen Pushmann-Job an. „Das Gute dran: du fährst gratis U-Bahn, trainierst deine Armmuskulatur. Und das Beste: Unvereinbarkeit mit deinen anderen Jobs gibt’s auch keine. Malen wir uns das mal aus: Du bist hier im Minisuper fertig, schlenderst lässig zum U-Bahnhof, dort ein wenig Schubsdi-Schubsdi, und die Sache ist gegessen. Schwuppdiwupp, kurz und schmerzlos. Betrieb in öffentlicher Hand, sprich: bombensichere Lohnauszahlung. Arbeit quasi sportliche Betätigung – macht, dass dir dein Futter besser schmeckt. Folglich schläfst du auch besser, kannst infolgedessen auch den Tankstellenjob weiter machen.“ Coach war in Fahrt. Dass er im Geist schon alles für mich durchgespielt hatte, war vielleicht auch ein Grund dafür, dass ich die Arbeit annahm, aber die Hauptsache waren ja doch die drei Tausender. „In Nullkommanix ’n Hauf’n Kohle. Das ist doch der springende Punkt, oder?“ – „Wie? Nun ja, so kann man es natürlich auch zusammenfassen.“ Coach mochte verdutzt dreinschauen, aber wozu sollten wir uns denn was vormachen? Bleiben wir nüchtern. Ich hatte es mir schon fertig ausgerechnet, dank Rechenschlüssel. Es mag blöd klingen, aber es gibt nun mal Leute, die nicht anders können. Die müssen immer eins und eins zusammenzählen, kalkuliert nach ihrem jeweiligen höchstpersönlichen Rechenschlüssel. Die Welt ist so eingerichtet.

      „Dein Vater hat ein ganz schlechtes Gewissen.“

      Mein Herr Papa ließ sich so vernehmen. Schon wieder! Jedes Mal, wenn ich ihm eröffnete, dass ich einen neuen Job ergattert hatte, kam dieser Spruch. Anfangs war der ja noch nett anzuhören gewesen, aber mittlerweile ging er mir nur mehr bei einem Ohr rein und beim anderen wieder raus. Mit seinen 45 Jahren bekam mein Vater 3500 Won pro Stunde, will sagen: das war seine Rechenformel. Auf jeden Fall arbeitete er in irgendeiner Handelsfirma, oder jedenfalls in einem Betrieb, über den sich nicht viel mehr sagen lässt, als dass er eben „irgendeine Handelsfirma“ war. Ein einziges Mal habe ich ihn dort besucht. Ich war vielleicht vierzehn, da musste ich ihm eines Tages sein Essen vorbeibringen. „Ist womöglich die Zeichnung falsch?“ Ich studierte den Zettel, den mir die Mutter gegeben hatte, wieder und wieder und irrte dabei durch die Gassen. Zu guter Letzt schlug ich mich doch noch durch zu Vaters Büro, – immerhin existierte es, und viel mehr gab es daran auch nicht zu loben. Ein dunkler Flur, in dem sich wohl die Ratten tummelten, eine Neonröhre, eine Sperrholztür, von der der Lack abblätterte. Mein unwillkürlicher Gedanke dabei: „Hat es mich in irgendein Ausland verschlagen?“ Dermaßen armselig, dieser Ort. Hoppla, ich hatte das Wörtchen „armselig“ auf Lager! Nun ja, auch wenn wir nicht betucht waren, hatte ich doch immer uneingeschränkt Musik hören können, Metallica beispielsweise. Von der Welt und vom Leben insgesamt hatte ich ja nur eine sehr ungefähre Vorstellung, malte mir aber jedenfalls was Cooles drunter aus, so cool wie eine ESP Flying V (so hieß ein Gitarrenmodell, das sie bei Metallica hatten). Mit diesen Illusionen war jedoch Schluss, als ich die Tür zu jenem Büro öffnete, wo mein Vater mit eingefallenem Gesicht seinen Dienst tat. Man sah es ihm an, dass er all die Jahre immer nur kümmerlich aus Mutters Proviantdose Mittag gegessen hatte. „Hallo, Papa.“

      Ursprünglich war ich immer ein lustiger Kerl gewesen, aber dieser Tag machte komischerweise aus mir einen Leisetreter. In jenen Momenten dort in Vaters Büro formte sich nämlich in meinem Kopf, auch wenn mir das damals nicht bewusst war, jener besagte Rechenschlüssel. Zumindest glaube ich das heute. Fröhlichkeit war nicht damit verbunden, aber auch keine Trauer, und schon gar kein Groll auf wen auch immer. Das Ganze war sozusagen rein wie eine reine Zahl. Ich wurde also zwar still und maulfaul, umso fleißiger fing ich dafür an, zu jobben und Geld zu sparen. „Mensch, kauf dir doch lieber ein Lotterielos“, so der mitleidige Rat von Leuten, mit denen ich früher herumgehangen hatte. Aber mir war eins klar: Auch sie würden letzten Endes nicht drum herumkommen, sich einen Rechenschlüssel zuzulegen. Wie stehts denn mit dir, was willst’n du später machen?“, fragte ich die Mitleidigen manchmal. Und bekam dann beispielsweise zur Antwort: „Ich? Weiß nicht recht, in letzter Zeit denk ich mir, Schauspieler oder Sänger wär vielleicht was für mich.“

      Ein jeder hat seine eigene Art zu rechnen im Kopf. Und irgendwann im Lauf seines Lebens entdeckt das auch jeder. Natürlich gibt es auf der weiten Welt auch Leute, die eine hochgeistige Mathematik brauchen, aber bei der Mehrheit ist es mit einem bloßen Rechnen getan. Ein kleines Sümmchen mühselig wo dazurechnen, anderswo ein kleines Sümmchen wieder wegrechnen – und so läppern sich die Sümmchen wie das Laub unterm Herbstbaum, bis irgendwann vom letzten Zweig das letzte Blatt gerupft ist. Dann hat es sich ausgerechnet. Schlussstrich. In gewisser Weise war ich wohl an jenem Tag Zeuge von „Vaters Art zu rechnen“ geworden oder hatte gleich die Lösung gesehen oder vielleicht überhaupt den Schlüssel zu seinen Rechenoperationen übernommen. Keine Ahnung. Auf jeden Fall irgendwas in der Art. Mutters Lunchpaket übergeben, den Rechenschlüssel übernommen. „Da haste das Lunchpaket.“ – „Danke, erbste dafür meinen Rechenschlüssel.“ Und mit der „Papa, ’n bisschen Taschengeld“-Tour hatte es ein Ende. Wäre mir nicht einmal mehr im Traum eingefallen, dass ich meinen Vater anschnorre.

      Es ist schon ein rechtes Kreuz, das mit meinem Rechenschlüssel.

      „Tust mir so leid, mein Junge, ich hab wirklich ein ganz schlechtes Gewissen.“ Meine unausgesprochene Erwiderung war immer: „Lass nur Papa, ich üb’ mich eben auch schon im Rechnen.“ Ein Sparbuch, ein zweites Sparbuch und noch ein Extra-Bankkonto. Dachte ich an meine Sparbücher, wo sich, auf dem einen, mein Tausendfünfhundert-Won-Stundenlohn und, auf dem andern, mein Tausend-Won-Stundenlohn läpperten, konnte mir die Welt nichts mehr anhaben. Rund um mich gab’s genug von meiner Sorte. Coach war ein gutes Beispiel. Der hatte sogar fünf Sparbücher. Seine Familie war zwar vaterlos, dafür hatten sie aber auch keine kranke Großmutter so wie wir. Gleichstand. Seine Mutter: Köchin oder Kellnerin in einem Restaurant. Viel war’s ja nicht, was ich wusste, über seine private Existenz ließ sich Coach nicht gern aus. Dem Vernehmen nach war er früher mal ein berüchtigter Schnüffeljunkie gewesen. Als ich das zum ersten Mal hörte, wollte ich es absolut nicht glauben. Aber was soll’s, jeder sucht nach den für ihn richtigen Formeln. In diesem Sinne

      halte


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