Rot ist die Rache. Stefan Huhn

Rot ist die Rache - Stefan Huhn


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einen Killer, der Leute aufschlitzte? Vielleicht war das derselbe Täter!

      Frederick beschloss ein Foto zu machen. Manchmal stellte die Polizei doch eine Belohnung in Aussicht, wenn man zur Aufklärung eines Falls beitrug. Die Kohle könnte er gut gebrauchen – ein professionelles Mischpult war unter tausend Euro nicht zu haben. Dafür musste er näher an den Täter heran. Oder besser noch, er würde ihm folgen. Mann, das wäre ein Ding, wenn er den Behörden Informationen über den Aufenthaltsort des Mörders preisgeben könnte.

      Ganz langsam bewegte sich Frederick rückwärts durch die Balkontür in sein Schlafzimmer, zog sich rasch seine sündhaft teuren Marken-Sneaker an, steckte Handy und Haustürschlüssel ein und verließ die Wohnung lautlos. Seine Eltern, die im Wohnzimmer gerade schlaftrunken die Wiederholung einer Kochsendung im Privatfernsehen konsumierten, hatten nichts gehört.

      Die Person auf dem Boden war tot, das war Frederick nun klar. Durch die eine Handbreit geöffnete Haustür beobachtete er, wie der Mörder den Leichnam anhob und im Eingangsbereich des Gebäudes gegenüber positionierte.

      Dann ging alles schnell. Von irgendwoher rief jemand „Hey, was machen Sie da?“, der Mann steckte die Tatwaffe in seinen Rucksack und rannte los.

      Frederick wartete einen Moment, bis der Täter einen Vorsprung hatte, aber noch einholbar war. Dann sprintete auch er los. Dabei musste Frederick die Straße gut fünfhundert Meter runter hasten, um schließlich zu sehen, wie seine Zielperson links abbog. Sie wollte zum S-und-U-Bahnhof Jannowitzbrücke. Verdammt, ist der fit, dachte Frederick, dessen Puls spürbar in die Höhe geschossen war. Doch war der Täter überhaupt ein Mann? Anhand des Laufstils und der Statur schien es sich eher um eine Täterin zu handeln.

      Kurz vor der Station reduzierte die Verfolgte das Tempo, um gemäßigten Schrittes die Rolltreppe nach oben zu betreten, wo die S-Bahnen ein- und abfuhren. Frederick nahm die Treppe, wollte schneller sein, doch in diesem Moment kam ihm eine grölende Meute von Fans der Eisbären Berlin entgegen. Frederik schlüpfte durch die nach Schweiß und Alkohol riechende Menge hindurch, nicht ohne dass ihm einer der Trunkenbolde aus Versehen einen halben Plastikbecher Bier auf seine Baggy Pants kippte. Mitten in Fredericks Schritt. Die Menge lachte, pfiff und schrie. Frederick fluchte kurz, aber er musste weiter.

      Oben angekommen hörte er das Quietschen der einfahrenden S-Bahn. Am Bahnsteig drängelten sich die Menschen – schließlich war Samstag. Samstag in der Partymetropole Berlin.

      Auf dem Gleis stand die S5 in Richtung Berlin Westkreuz. Die Durchsagestimme kündigte die Abfahrt an. Frederick schaute hektisch in alle Richtungen. Da – in eines der vorderen Abteile stieg eine Person mit Kapuze und Rucksack ein. Frederick setzte zu einem Schlussspurt an und schaffte es so gerade noch hineinzuschlüpfen, bevor die automatische Tür unter Begleitung des piependen Warnsignals schloss.

      Während die S-Bahn langsam anfuhr, schaute sich Frederick verstohlen um. Fast alle Plätze waren besetzt, viele Fahrgäste standen wie er im Eingangsbereich oder auf dem Gang und hielten sich an den Stangen und Schlaufen fest.

      Wo bist du, Kapuzenmörderin, dachte Frederick. Nicht, dass sie ihm jetzt noch entwischte. Um das zu verhindern, musste er sich wohl oder übel durch das Gedränge kämpfen.

      „Tschuldigung, müsste hier vorbei. Darf ich eben mal?“

      „Hinten ist auch alles voll, du siehst doch, dass es hier nicht vor und nicht zurück geht“, grummelte ein Mann im Maler- und Lackieranzug. Die blaue Hose war mit lauter weißen Farbklecksen beschmiert. Im Gegensatz zu den meisten anderen Fahrgästen, die angeregt plauderten, lachten oder entspannt der Musik aus ihren Kopfhörern lauschten, war dieser Typ genervt. Frederick nun auch. Um einer möglichen Konfrontation aus dem Weg zu gehen – schließlich hatte er ja gerade eine Mission – bat er noch einmal höflich um Durchlass. Der Maler verdrehte die Augen und quetschte sich in den Zwischenraum des nächsten Vierersitzes. Dabei berührte sein famoser Bierbauch die weiße Bluse eines dieser – wie Frederick fand – lächerlichen It-Girls mit verspiegelter Sonnenbrille auf dem Kopf und Adiletten an den Füßen. Die sah in Frederick den Verursacher der unerwünschten Körpernähe und strafte ihn mit bösen Blicken.

      Ihr habt doch alle den Arsch auf, fluchte Frederick innerlich und schlängelte sich weiter durch die Menschenmenge. Er musste sich beeilen, schließlich konnte die Kapuzenfrau jederzeit wieder aussteigen. Die Haltestellen Alexanderplatz und Hackescher Markt hatten sie bereits passiert.

      Als sich die S-Bahn der Station Friedrichstraße näherte, war Frederick endlich auf der anderen Seite des Waggons angekommen. Es standen bereits mehrere Fahrgäste an der letzten Tür. Eine Frau mit Kinderwagen wartete in der ersten Reihe. Die musste sich bücken, nachdem das Baby seinen Schnuller über Bord geworfen hatte.

      Und da stand sie plötzlich, fast so als hätte sie sich vor Fredericks suchenden Blicken hinter der Mutter versteckt. Den Kopf zur Seite geneigt, sodass Frederick ihr Gesicht nicht sehen konnte.

      Die Tür ging auf und die Täterin huschte aus dem Waggon. Frederick hastete hinterher. Jetzt würde er sie nicht mehr aus den Augen verlieren. Das Katz- und Mausspiel ging weiter, entlang der Gleise bis zur Fußgängerbrücke, die über die Spree führte. Frederick rannte ihr so schnell er konnte nach.

      Auf der anderen Seite angelangt, drosselte die Täterin abermals ihre Geschwindigkeit und ging gemächlichen Schrittes die Uferstraße entlang. Vorbei an der Ständigen Vertretung, deren große Fenster ein reges Treiben offenbarten, vorbei an der Berliner Republik und zahlreichen weiteren prall gefüllten Restaurants und Bars. Auch die draußen aufgebauten Tische an der Spree waren gut besucht. Menschen mit reichlich Geld aßen, tranken und lachten. Dabei drang ein Kauderwelsch aus Deutsch, Englisch und Sprachen, die Frederick nicht zuordnen konnte, an seine Ohren.

      Sorgfältig gab er darauf acht, einen Abstand von circa zwanzig Metern einzuhalten. So, bald weiß ich, wo du wohnst und dann gibt’s eine Meldung bei der Polizei. Die würde spektakulär zugreifen, die Killerin dingfest machen, und er, er wäre der Held von Berlin. Auf allen Titelseiten.

      Die Frau bog nun ab auf den Bertolt-Brecht-Platz, ließ das stattliche Gebäude des Berliner Ensembles links liegen, um danach rechts hinter einer Litfaßsäule zu entschwinden.

      Frederick zögerte. Der Straßenabschnitt war nur schwach ausgeleuchtet und er kannte sich hier kein bisschen aus. Nicht seine Hood, wo die gehobene Mittelschicht ins Theater oder schick Essen ging. Die Täterin weiß doch gar nicht, dass jemand hinter ihr her ist, machte sich Frederick Mut. Vorne am Wasser sind etliche Leute am Start, hier kann dir nichts passieren.

      Aber da irrte Frederick. Nachdem er die Verfolgung wieder aufgenommen hatte und ebenfalls um die Ecke hinter der Litfaßsäule bog, drückte ihm jemand ein feuchtes Taschentuch auf Nase und Mund. Ein süßlicher Geruch verbreitete sich in seinen Atemwegen. Frederick wehrte sich mit Händen und Füßen. Vergeblich. Die Angreiferin hatte ihn mit dem freien Arm in den Schwitzkasten genommen und machte jede Gegenwehr unmöglich. Sekunden später sackte der Jugendliche bewusstlos in sich zusammen.

      Fünf

      „O oder Null, das ist hier die Frage!“, witzelte Stella und zeigte auf die nackte Brust der Leiche. Timo, der erneut etwas später als die eifrige Gerichtsmedizinerin am Tatort eingetroffen war, zog die Augenbrauen zusammen.

      „Zumindest haben wir jetzt ein Problem“, antwortete er, eilte die gut zwanzig Meter zum Absperrband und blaffte ungewohnt gereizt die beiden Streifenbeamten an. „Sagt den Gaffern mal, dass sie verschwinden sollen. Und kein Wort zur Presse. Die Boulevard-Aasgeier sind sicher schon wieder auf dem Weg.“ Timo ärgerte sich weniger über irgendwelche Schaulustigen oder die Medienvertreter, als vielmehr darüber, dass ihre Hauptverdächtige nicht mehr als Täterin infrage kam. Schließlich saß Carolin Reiters momentan in Untersuchungshaft. Jetzt gibt es Druck, dachte Timo. Ein Serienmörder – diese Bezeichnung verdiente sich der Gesuchte nun allemal –, der nach nur fünf Tagen erneut zuschlug, würde auch für ihn und seine Kollegen die Schlinge enger ziehen. Erst recht, wo die bisherigen Ermittlungen trotz vielversprechender Indizien in Richtung Sackgasse tendierten.

      Zurück am Tatort streifte sich Timo seine Handschuhe über und


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