Superhummeln - Bedrohte Stars am Bestäuberhimmel. Antje Arnold
der ein oder andere Aspekt eher zu einer Klimaerwärmung oder vielleicht doch sogar zu einer Abkühlung führen könnte.
Wie in der belebten Natur in einer nächsten Stufe all die unzähligen Arten miteinander agieren, nennt man funktionale Biodiversität oder auch Synökologie. Sie will mehr wissen als bloße Artenzahlen, sie will das große Ganze verstehen. Sie analysiert die Wechselwirkungen innerhalb einer Artengemeinschaft, innerhalb eines Ökosystems und schaut sich ebenso Rückkopplungsfunktionen bestimmter Organismen an. Ein historisches Beispiel: Fischotter wurden wegen ihrer Fischverfressenheit und ihres schönen Fells gejagt. Fischotter fressen aber nicht nur Fisch, sondern auch Seeigel. Und letztere dachten: „Heya, Fischotter sind weg, Party - wir können uns prima vermehren!“. Seeigel haben aber die äußerst schlechte Angewohnheit nicht nur abgefaultes Seegras, sondern frische Seegraswiesen wie moderne Mähroboter abzuweiden, was diese stark dezimierte. Viele Fischarten benutzen aber gerade diese Seegraswiesen als ihre Kinderzimmer. Und schwups, obwohl man eine Fischräuber fast ausgerottet hatte, nahmen die Fischbestände dramatisch ab anstatt zu. Man merkt: Selbst für solch vermeintlich simplen Beispiele Vorhersagen zu machen, ist immer noch unfassbar kompliziert und macht deutlich, dass der Forschungszweig der Synökologie gerade erst die Kinderkrippe besucht.
Klimawandel hat wenigstens noch ein klein wenig Glück im Unglück. Denn immerhin hat er mittlerweile Promistatus durch einen Ritterschlag zum Megatrend erlangt. Das konnte passieren, weil er so allumfassend sichtbar und auf Dauer unser Leben verändern wird. Wetterextreme sind leicht spürbar und Überschwemmungen, Stürme, Dürren und Hitzewellen lassen keinen kalt. Dass selbst methanpupsende und methanrülpsende Kühe zum Klimawandel beitragen, weiß mittlerweile jedes Kindergartenkind. Jedenfalls macht sich auch schon mal eine Weltgemeinschaft Sorgen um ihn und stellt dies auf regelmäßig wiederkehrenden Klimagipfeln immer wieder fest. Und dennoch, obwohl die Notwendigkeit eines Handelns bereits in der Hirnrinde vieler Köpfe angekommen ist, sitzt der Verhinderer zum Aktiv-Werden zwischen denselben Ohren - im Stammhirn. Dieser Uraltbereich des Gehirns ist einzig und allein auf Energiesparen aus. Beim eigenen Körper allerdings und nicht beim Erdsystem. Deshalb greift Homo Sapiens auch lieber zum Auto als zum Fahrrad – Klimawandel hin oder her. Und deshalb folgen Taten nur dort, wo die Hirnrinde das Stammhirn oder die Vernunft den Instinkt besiegt.
Biodiversität hingegen ist die noch immer ignorierte Katastrophe. Bisher scheiterte sie bereits am ersten Schritt, mal etwas tiefer in unser Bewusstsein vorzudringen. Nach wie vor erscheint sie uns verschwommen und fragmentarisch. Denn im 1000er Puzzle zu diesem Weltbild fehlen noch viele hundert Teile.
Schön und auch dringend nötig wäre es, wenn hier zigtausende Wissenschaftler mitpuzzeln würden wie es beim Klimawandel geschieht und sich Fürsprecher fänden. Leider sieht das aktuell eher mau aus. Selbst der Nachwuchs fehlt. Dringend bräuchten wir an dieser Stelle die Taxonomen aus dem Bereich der Biologie. Ihnen ergeht es jedoch mittlerweile auch wie vielen Arten. Sie sind eine vom Aussterben bedrohte Spezies. Zur letzten Jahrhundertwende wurden Genetik und Biochemie immer hipper, Fördergelder und Drittmittel sprudelten. Erfolg, Ansehen und Coolness winkten. Der Molekularbiologe sucht nach DEM Krebsmedikament. Der Artenkundler sucht vielleicht nach DER Spinne. Welch Spinnerimage! Jetzt fehlen sie. Arten sterben aus und keiner bekommt es mit, weil keiner nachschauen kann. Schließlich fehlen hier spürbare Wirbelstürme und das Totenglöckchen läutet nur stumm. Ist aber eine Art erst einmal verschwunden, ist sie für immer futsch. Spüren werden wir es erst später. Das Aussterben umzukehren oder eine Resettaste zu drücken, funktioniert hier nicht. Klima pendelt sich in ferner Zeit letztendlich doch wieder ein.
Die Welt berät
Tatsächlich gibt es auf der Ebene der Weltgemeinschaft bereits seit 1948 eine internationale Union zur Bewahrung der Natur und ihrer Ressourcen. Da schlummerte ein Klimawandel noch tief im Dornröschenschlaf. Diese Union hört heute auf den Namen IUCN „International Union of Conversation of Nature“ und ist unter anderem für die internationale Rote Liste gefährdeter Arten zuständig. Viele Arten stehen mittlerweile drauf und auch Wildbienen säumen diese zahlreich. Ganz schnell wurde klar, dass Artenschutz nur über internationale Grenzen hinweg erfolgreich sein kann. Es nützt nichts Rotkehlchen in Deutschland zu schützen, nur um sie anschließend wohlgenährt und massenhaft in den Bratpfannen der Südeuropäer schmoren zu lassen.
Seit dem Erdgipfel in Rio 1992 gibt es ein UN-Übereinkommen zur Sicherung der Biodiversität. Sogar ein Weltbiodiversitätsrat analog dem Weltklimarat existiert seit 2012. Und auch innerhalb der EU gab es ein großes gemeinsames Ziel: nämlich das Artensterben bis 2020 innerhalb der EU-Grenzen zu stoppen. Krachender Bauchklatscher. Der Weltbiodiversitätsrat benennt die Gründe für das Artensterben: veränderte Landnutzung, Intensivlandwirtschaft mit Pestizideinsatz, Umweltverschmutzung, Verbreitung gebietsfremder invasiver Arten und Krankheitserreger, Klimawandel. Alles menschgemachte Dinge, deren Faktoren oft zusammen wechselwirken und sich dabei fatalerweise gegenseitig verstärken. Oft unsichtbar. Und wieder mal rutscht dieser Reigen in unserer Wahrnehmung durch.
Herr Einstein lässt zur Relativitätstheorie bitten
Ein weiterer Aspekt zur Wahrnehmung: Wir bewegen uns grundsätzlich in einer relativen Welt und nicht in einer absoluten. Das behauptete bereits Einstein mit seiner Relativitätstheorie, und dann muss es ja wohl stimmen. Wir vergleichen uns ständig mit den Klassenkameraden, den Nachbarn und Kollegen und nicht damit welche Sneakers Mister Homo Neanderthalensis seinerzeit trug und welch Boliden er fuhr. Es kommt immer auf das Bezugssystem an.
Und auch heute noch ergeht es uns ähnlich wie den Bewohnern der Osterinseln. Sie holzten über Jahrhunderte ihre einst mit Palmenwald überwucherte Insel nach und nach ab. Vermutlich mehr als zehn Millionen dieser heimischen Palmen fielen ihnen zum Opfer, um nicht zuletzt Steinklötze für den Bau ihrer kolossalen Statuen zu bewegen. Von Generation zu Generation wurde es immer weniger Wald, und jeder dachte, „Hey, kein Problem, wir haben schon immer Bäume gefällt“.
Eine gewisse Analogie findet man heute bei manch konventionellem Bauer mit Kurzzeitgedächtnis. „Das haben wir schon immer so gemacht“, wenn er von Spritzen und Düngen redet und damit gerade mal die Generation seines Großvaters meint. Denn das alte Wissen seines Urgroßvaters hat er schon längst auf dem Müllhaufen der Geschichten und Anekdoten entsorgt. Also alles ganz normal oder: So geht Wissen verloren. Erst als der letzte Baum fiel, bemerkte der Osterinsulaner: „Ups, wie transportiere ich denn jetzt meinen neuesten Opferstein?“. Und erst, wenn die letzte Wildbiene verhungert ist, sagen wir heute: „Ups, wo sind denn meine Früchte?“ Lange dauerte das mit der Zivilisation auf den Osterinseln dann auch nicht mehr. Heute liegt sie nahezu nackt im Stillen Ozean. Fast keine ursprünglichen Arten findet man mehr auf ihr. Vermutlich erging es einigen Weltkulturen genauso. Die Majas brauchten immer mehr Anbaufläche für ihren Mais, das Angkor Wat der Khmer wuchs und wuchs. War doch schon immer so. In beiden Fällen wurde immer mehr Wasser verbraucht, das regionale Klima änderte sich und der Regen blieb aus. Die Menschen verstreuten sich in alle Himmelsrichtungen und die Hochkulturen gingen den Bach runter.
Und wir? Fiel es uns tatsächlich von selbst auf, dass Windschutzscheiben nach sommerlicher Abendfahrt in den letzten Jahren blitzeblank blieben? Bemerkten wir von selbst, dass die Insekten, Bienen und Hummeln sterben wie die Fliegen? Nein. Wir brauchten dazu die Krefelder Insektenforscher, um zu sagen: „genau, stimmt, da war doch irgendetwas anders“. Wir hatten es schlicht und einfach vergessen, dass jedes Mal nach einer Ausfahrt mühsames Schrubben angesagt war, um den ganzen Insektenbatz von der Scheibe wieder runter zu kratzen („Batz“: bayerisch, wird langgesprochen und bedeutet „klebriges Zeug“).
Deshalb ist es zuweilen hilfreich über den eigenen Zeithorizont hinaus zu denken und mit Alten zu sprechen. Und siehe da, da erfährt man beispielsweise von ihnen, dass sie als minderjährige Gesellschaftsmitglieder ihren täglichen Schulkilometer tatsächlich zu Fuß bewältigt haben und nicht in Mamas‘ SUV. Ganz gesund mal diese vertikale Relation wahrzunehmen - mal nach oben und unten zu schauen und nicht immer nur nach rechts und links. Denn Veränderungen schleichen sich rein und wir glauben nach kurzer Zeit, es sei schon immer so gewesen. Angewandte Relativitätstheorie oder nur eine Folge der genialen Anpassungsfähigkeit