Superhummeln - Bedrohte Stars am Bestäuberhimmel. Antje Arnold
Big Five plus eins: Sechstes Artensterben
Trotz des enormen Kuschelfaktors ihrer Kinder ist es Fakt, dass gerade unsere wilden Großtiere alle bald verschwunden sein werden - weil ausgerottet. Das hat mehrere Gründe. Sie brauchen Platz und rauben damit viel zu viel Lebensraum ihrer Menschenkonkurrenz, benötigen lange Tragzeiten mit geringer Reproduktion, verbleiben lange im Schoße ihrer Familie. Obendrein besitzen sie einen Symbolcharakter durch ihre Stärke, Größe, Sichtbarkeit. Diese Symbolik reizt blöderweise Wilderer und Abergläubige. Letztere bezahlen Ersteren Unsummen für Nashornpulver, weil sie glauben, dass es gegen Krebs und Schnupfen helfen soll. Fingernägelkauen wird ja auch nicht als Wundermittel gepriesen, hätte aber den gleichen Effekt. Beides besteht schließlich aus Keratin. Hierbei handelt es sich tatsächlich um echte Dummheit. Oder Tigerhoden gegen Potenzprobleme. Wenn da mal endlich jeMANNd ehrlich wäre! Schnurstracks würde sich ein Tigerabschlachten in Wohlfühl-Tigerstreicheln auflösen und der WWF Unsummen in den Hummelschutz stecken können, den er jetzt für den Schutz der letzten Tiger aufbringen muss.
Und dann gibt es noch die Fraktion der völlig Bekloppten. Kaum zu fassen, man trifft sie noch immer an. Wilderer, die Geld dafür zahlen, Wildtiere einfach nur so zum Spaß abzuknallen. Sich großartig und überlegen fühlen. Wohlgemerkt mit einem Gewehr, nicht mit eigener Kraft, Geschicklichkeit oder etwa echter Intelligenz. Unfair - feige - nutzlos! Denn was fängt man bitte mit solch einem Giraffenkadaver an? Zerlegen und beim Nachbarn klingeln? „Hier, ich hab‘ mal eine Giraffe erlegt, lassen Sie es sich schmecken“, oder den Chef zum sonntäglichen Giraffenbraten einladen?
Viele Großtiere hat Homo Sapiens auf seinem Weg durch die Evolution in den vergangenen zwei Millionen Jahre bereits endgültig erlegt. Den Dodo, vermutlich auch das Mamut und den Säbelzahntiger, den Büffel Amerikas. Letzteren schoss man nur zum Spaß und Zeitvertreib ab. Kaum eines der Verbliebenen wie Tiger, Löwe, Elefant, Nashorn, Panda, Wal, Gorilla hat wirklich langfristig eine echte Chance. Es ist nur eine Frage der Zeit.
Dabei hat es die Maxifauna noch vergleichsweise gut getroffen. Viele Menschen und etliche Förderprogramme aus Forschung und Wissenschaft halten Elefanten, Orang-Utangs und Eisbären als große, attraktive Arten für schützenswert. Als Botschafterarten für den Naturschutz genießen sie Promistatus. Wobei hier als Faustregel gilt: Pelz vor Federn vor Schuppen.
Diesen Bonus besitzt die Minifauna nicht – auch keine Wildbienen und Hummeln. Unscheinbar und klein, womöglich manche unsympathisch oder gar hässlich, grasen sie manchmal mit und manchmal ohne Chitinpänzerchen am Rande des Abgrundes. Kaum jemand, außer ein paar Spinnern, interessiert sich für die Ängste und zunehmenden Bedrängnisse von Schnecken, Insekten und Spinnen. Schmeißfliegen, Schleimspurzieher und Kakerlaken sind außerhalb der Ekelbranche nicht hipp. Dennoch sind es zuweilen gerade diese Aussätzigen, die als Schlüsselarten in manch Ökosystemen Wunder wirken. So vergräbt der Mistkäfer in der Serengeti täglich die Ladung von 200 Güterzugwaggons Dung der dortigen Großtiere - millionenfach zu handlich kleinen Kügelchen gerollt - und düngt damit die Savanne. Und siehe da, das Grün sprießt und ernährt wiederum Abermillionen Großtiere.
Deshalb macht es häufig mehr Sinn ganze Lebensräume zu schützen als nur einzelne Arten. Dazu geht man mittlerweile immer mehr über. Man sucht kleine, einigermaßen nette Tierchen als Flaggschiffe aus wie etwa die Libelle und macht sie zum „Panda des Süßwassers“.
Aber selbst hässliche Arten haben in dem Moment eine Chance zu Leitarten gekrönt und wirksam zu werden, sobald man eine coole Story über sie erzählen kann. Bei Fledermäusen hat diese Strategie funktioniert. Wenn diese Arten dann noch ähnliche Bedürfnisse wie viele andere Arten in dem Ökosystem anmelden, entsteht durch diese clevere Rollenbesetzung eine Win-Win-Situation. Sie können zu Schirmarten werden, die passiv für ihren gesamten Lebensraum werben. Für die Flora wird es jedoch eine Ecke schwieriger. Eine Pflanze als Leitart für bestimmte Ökosysteme zu positionieren, funktioniert nur selten. Mit Flora kann man innerhalb der Homo Sapiens-Gemeinschaft allerhöchstens mit einer Orchidee einen Blumentopf gewinnen. Sie besitzt eben kein Stupsnäschen und keine Kulleraugen, auf die wir so stehen. Flora ist evolutionär viel zu weit weg, als dass ihre Ähnlichkeit Empathie bei vielen von uns wecken könnte.
Selbst wenn die Hoffnung zuletzt stirbt, so ist es dennoch sehr, sehr ernst für die Biodiversität. Und obwohl sie sich überall herumtreibt, an Land, im Wasser und in der Luft: An allen Fronten kämpft sie ums Überleben. Nirgendwo lebt es sich bald mehr wirklich entspannt. Aktuell wird davon ausgegangen, dass weltweit pro Tag um die 100 Arten aussterben. Laut IUCN (International Union of Conversation of Nature), der Weltnaturschutzorganisation, liegt damit die derzeitige Aussterberate um den Faktor 100 (schöngerechnet) bis 10.000 (eher wahrscheinlich) über dem natürlichen Aussterbeprozess der Evolution, dem natürlichen Hintergrundsterben mit zwei bis drei Arten pro Jahr. Falls das so weitergeht, werden wir Meteorit spielen und damit das erdhistorische 6. Artensterben in 240 bis 540 Jahren vollbracht haben. So schreibt man Geschichte - Erdgeschichte. Übrigens käme selbst irgendwann mal eine Art namens Homo Sapiens an die Reihe. Biodiversität ist schließlich die Grundlage seines Lebens und schon wenige Stunden ohne feste Nahrung lassen ihn grantig werden.
Natürlich gab es bereits mehrere Massenaussterben, insgesamt fünf innerhalb der letzten 540 Millionen Jahre – unter Wissenschaftlern auch schon mal „Big Five“ genannt. Eigentlich versteht man unter den Big Five, diejenigen Tiere - Löwe, Büffel, Elefant, Nashorn und Leopard -, die man früher unbedingt für das eigene Ego erlegt haben musste und heute bei einer Safari gesehen haben sollte. Massenaussterben bedeutet, wenn 75 Prozent aller Arten in einer geologisch relativ kurzen Zeit flöten gehen. Relativ kurz heißt hier so an die 100.000 Jahre, weil die Erde ein anderes Zeitempfinden besitzt als wir. Statt Massenaussterben kann man auch Faunenumschwünge dazu sagen. Das hört sich fast ein bisschen nett und irgendwie nach Fabelwesen an, aber jedes dieser Ereignisse kommt mit Verlustraten im hohen zweistelligen Prozentbereich auf der Artenliste daher. Am Ende des Perms, ungefähr vor 260 Millionen Jahren - da gab es noch den Superkontinent Pangäa - kam es zum dritten und gleichzeitig heftigsten Massenaussterben in der Erdgeschichte, dem sogenannten Perm-Trias-Ereignis. 95 Prozent aller meeresbewohnenden Arten, 66 Prozent aller an Land lebenden Arten und sogar 30 Prozent aller Insektenarten kostete es damals das Leben. Damals ereignete sich auch das bis heute einzige Massenaussterben von Insekten in der Erdgeschichte. Die Gründe für dieses gigantische Artensterben sind bis heute unklar. Aber Vulkanismus, Meteoriteneinschläge oder ein kosmischer Gammablitz gelten als wahrscheinlich. Das fünfte und bekannteste Artensterben vor 65 Millionen Jahre ist mittlerweile in den Kinderzimmern eingezogen. Jedes Kind kennt es - die Dinosaurier fielen ihm zum Opfer.
Heute sind laut IUCN 13 Prozent der Vögel, 25 Prozent der Säugetier- und Reptilienarten und sogar 40 Prozent der Amphibien vom Aussterben bedroht. Das kennt fast keiner. Und diese Angaben korrigieren sich ständig – nach oben. Dabei sprechen diese Zahlen nur über die Menge der Arten und nicht über die Menge von Individuen innerhalb einer Art. Da sieht es nämlich ebenfalls dramatisch aus: Innerhalb von 14.000 Tierpopulationen sind die Bestände über 60 Prozent geschrumpft, bei Tieren in Flüssen und Seen über 80 Prozent und eben besagte 70 Prozent bei den „Krefelder Insekten“. Also nicht nur Klasse stirbt, sondern auch Masse. Außer beim Homo Sapiens. Lag dessen Population um 1900 deutlich unter zwei Milliarden, so hat sie sich in etwas mehr als 100 Jahren fast vervierfacht. Ob es da wohl einen Zusammenhang gibt?
Über den Zeitpunkt des Beginns des derzeitigen und sechsten Massensterbens wird ebenfalls noch debattiert. Möglicherweise startete es schon latent vor 12.000 Jahren mit dem sesshaft Werden des Menschen und dessen damit verbundener Überpopulation. Ackerbau und Viehzucht begannen das Spektrum der Arten leicht zu verschieben. Wenige Nutzpflanzen bekamen damals den Vorzug. Viele andere heimischen Pflanzen und Kräuter erhielten im Gegenzug einen neuen gemeinsamen Familiennamen: Unkraut. Und genauso erging es der Tierwelt: Schaf gut – Wolf böse.
Richtig Fahrt nahm das Artensterben aber erst mit dem Beginn der Industrialisierung auf. Da halfen plötzlich gigantische Energiemengen aus Kohle, Erdöl, Erdgas die letzten oberen Meter der Erdkruste umzubuddeln - mit bloßer Menschenkraft vorher unmöglich. Seit 250 Jahren