Superhummeln - Bedrohte Stars am Bestäuberhimmel. Antje Arnold
Jahrhunderts erleben wir so richtig Kahlschlag. Die moderne Landwirtschaft als sogenannte grüne Revolution mit gewaltiger Fleischproduktion für immer mehr Erdenbürger krempelt natürliche Lebensräume und Ressourcen gründlich um. Was früher Großwildjäger erledigten, übernimmt heute Kevin-Normalverbraucher. Früher mit Speer und Gewehr – heute mit Konsum: egal, ob Lebensmittel, Genussmittel, Erlebnisse oder haufenweise Krempel daheim. Bei diesem Massenaussterben sind keine interstellaren Kräfte aus dem All mit Impactfolgen à la Yucatan am Werk, sondern nur ein vergleichsweise winziges Lebewesen mit etwas zu groß geratenem Kopf, dafür aber zu klein geratenem Respekt. Dieses Lebewesen hat sich zur Aufgabe gestellt, alle natürlichen Hindernisse zu beseitigen und natürliche Ressourcen in technische und künstliche Äquivalente umzutauschen. Dabei verarbeitet er die unermessliche Vielfalt der Naturschätze in gleichförmige und stets verfügbare Industrieprodukte. Deshalb kann man heute das neueste Sneakermodell auch gleichzeitig in New York, Neu-Delhi und Neuendettelsau kaufen – zu Homo Neanderthalensis-Zeiten völlig undenkbar.
Wagen wir uns in eine weitere Dimension - in die der Zeit. Betrachtet man die Zeitspanne der aktuellen Ereignisse sowohl beim Artensterben als auch beim Klimawandel, ergibt sich eine interessante Parallele. Klimaänderungen wie Artensterben gab es schon immer auf der Erde. Nur haben beide im aktuellen Geschehen massiv an Tempo zugelegt. Und hier sind wir an einem entscheidenden Punkt angelangt: Dass sich ein Klima ändert, dass mal Arten aussterben, sind völlig normale und natürliche Vorgänge. Der echte Hund ist in deren Beschleunigung begraben. Da kommt eine Evolution nicht mehr mit, um Vielfalt wieder nachzuliefern. Evolution braucht nämlich eine Ressource am dringendsten: Zeit. Also her mit der Entschleunigung!
Nature first! Das Vorrangmodell der Nachhaltigkeit
Die gängigen Modelle zur Nachhaltigkeit weisen die drei Elemente Ökologie, Soziales und Ökonomie oft isoliert auf. So stehen beim Säulenmodell einfach alle drei Bereiche schön brav nebeneinander, so als hätten sie nichts miteinander zu schaffen. Beim Dreiecksmodell, in dessen Ecke sich jeweils eine der genannten Fraktionen aufhält, gibt es zwar in der Mitte erste Überschneidungen, aber dennoch viel Isolation. In der alltäglichen Realität aber spielt Naturschutz und Ökologie in diesem Dreiklang, oftmals die letzte, schräg klingende Tuba in der hintersten Ecke des Orchesters. Ganz im Gegensatz zur Knete. Ganz banal zu sehen an so mancher Kaufentscheidung: Statt zur Biomilch zu greifen, kauft man dann doch lieber die vom konventionellen Billigheimer, um ein paar Cent zu sparen. In der Anonymität der Supermarktkasse fällt das schließlich keinem auf. Anders ist es nicht zu erklären, warum viel mehr Bürger Nachhaltigkeit gut finden, als dass sie sie kaufen. Natur wird oft nur genutzt, benutzt, ausgenutzt, totgenutzt – bis zur totalen Vernichtung. Bei der Ökonomie und selbst im sozialen Bereich passen wir da viel besser auf.
Nach der Logik des von Felix Müller visualisierten Vorrangmodells der Nachhaltigkeit sollte dies jedoch genau andersherum laufen: Ökologie spielt hier die erste Geige. Sie ist das Reservoir, aus dem sich alles - sowohl eine Gesellschaft als auch eine Wirtschaft - speist. Um im Tortenbild zu bleiben, stellen wir uns einfach mal eine dreistöckige Hochzeitstorte vor: Die unterste Etage und damit das Fundament der weiteren Stockwerke bildet die Natur. Die darauffolgende entspricht der Gesellschaft und die dritte Etage der Wirtschaft. Die oberen beiden bedienen sich an der Natur ohne Gegenleistungen. Aber ohne funktionierendes Fundament der Ökosysteme stürzen sowohl Gesellschaft als auch Wirtschaft irgendwann ab. Ehemalige Hochkulturen haben das am eigenen Leib schmerzhaft erfahren. Wie die bereits erwähnten Mayas.
Zusätzlich bedient sich eine Wirtschaft an der Gesellschaft. An ihren Grundwerten, an ihrer Bildung. Bildung wird oftmals bezahlt, Grundwerte eher selten. Oder sind Sie schon mal in einem Gespräch zur Gehaltserhöhung gefragt worden, wie oft Sie im letzten Jahr gelogen oder betrogen haben? Ganz im Gegenteil, moralische Grundfeste werden in wirtschaftlichem Zusammenhang oft in Frage gestellt und damit erodiert. Obwohl ein „Du sollst nicht lügen“ gesellschaftlich verbrieft ist, lügen viele für ihr Unternehmen in großem Stil. Verankerte Moralvorstellungen werden beim Betreten des Büros an den Kleiderständer gehängt. Denn wer würde schwerste Kinderarbeit auf Kakaoplantagen persönlich schon gut finden? Der Broker an der Kakaobörse, der im Auftrag seines Schoko-Unternehmens handelt, tut dies in seiner Rolle durchaus. Er wettet auf den größten Vorteil seines Arbeitgebers und damit auf den billigsten Preis. Der ist oft nur mit der billigen Arbeitskraft der Kinder, die 60 Kilogramm schwere Säcke schleppen müssen, und mit einer Übernutzung der Ökosysteme zu erzielen. Ökonomie sticht Soziales sticht Ökologie. Immer noch.
Neue Begriffe braucht das Land – auch der Naturschutz
Naturschutz ist immens wichtig und liefert das Konkrete. Das, was wir hinterher sehen und anfassen können. Das ist auch gut so, denn dadurch wird er begreifbar und wirksam. Trotzdem steckt Naturschutz in einem weiteren Dilemma. Weil die Zusammenhänge der Natur so dicht gewebt sind, passiert es durchaus, dass man mit einer Maßnahme zwar eine Art fördert, jedoch eine andere Art genau dadurch aber schädigen könnte. Deshalb ist Naturschutzarbeit immer multidisziplinäre Weitwinkelarbeit, die ganz viel systemisches Verständnis und Abwägung abverlangt. Und deshalb weiß keiner so richtig welches das gemeinsame Ziel ist, außer eben Natur im Allgemeinen zu schützen oder wiederherzustellen. Aber von welcher Natur spricht man beispielsweise bei einer Renaturierung? Von der vor fünfzig, vor fünfhundert Jahren oder doch besser von der zum Status ante vor fünftausend Jahren? Was bringt mehr für die Biodiversität? Was ist mehr wert, was wichtiger?
Oder mal schwarzweiß gemalt: Rodet man für Vögel wertvolle Hecken, um einem wertvollen Magerrasen mit vielen Blüten, Insekten und Hummeln den Vorrang zu geben? Oder entfernt man nun besser oder besser nicht das indische Springkraut, das als invasive Art in Europa gilt und heimischer Flora Platz wegnimmt, gleichzeitig aber eine gute, von Imkern eingeführte Bienenpflanze ist? Schwer zu entscheiden und mitunter schwer zu vermitteln.
Noch hinderlicher aber für die Akzeptanz des Naturschutzes auf breiter Basis ist sein Image und nicht nur selbstgestrickte Schafwollsocken machen ihm da zu schaffen. Ödland, Badland, Brache, Rohboden, Magerrasen, Totholz. So heißen immens lebenswichtige Elemente von Ökosystemen. Deren Namen sind aber damals aus der Sicht einer unmittelbaren „Unnützlichkeit“ für uns Menschen vergeben worden. Denn wer bezahlt schon für öde, mager oder tot sein? Was kann daran schon wertvoll sein? Hier sieht man direkt: Naturschutz hat ein echtes PR-Problem. In Zeiten wo Kommunikation zu den Dreh- und Angelpunkten der Gesellschaft wird, wo überall nur noch Wörter wie smart, mega, geil und eine künstliche Intelligenz in einer immer jugendlicheren und perfekt retuschierten Bilderwelt überstrapaziert werden, verharrt Naturschutz-PR in negativen, in sterbenden Begriffen. Begriffe wecken schließlich Bilder, Emotionen. Schokolade mit zartem Schmelz klingt schließlich auch leckerer als klebriger Batz.
Zum Beispiel Ödland: natürliches Ödland ist für Biodiversität enorm wichtig. Endlich mal ein Fleck ohne Bebauung und Kultivierung, pure, karge Natur. Hier herrscht Ruhe vor dem Menschen, hierhin können sich Arten zurückziehen, die sich eben genau auf diese Kargheit eingestimmt haben. Zugegeben: Ödlandboden signalisierte den Augen unserer Ahnen lediglich eins, und das war Hunger. Sein Bewuchs ist weder saftig und einladend grün, also angenehm für unser Auge, sondern eben karg, trocken, dornig. Aber diese Assoziation ist für den Gesamtzusammenhang weder clever noch richtig. Hier könnte eine Namensgebung den Perspektivenwechsel wagen und aus ökologisch wertvollem Ödland schlichtweg mal Rückzugsland, Refugium oder stilles Kämmerlein machen. Schon sind wir im Positiven. Und selbst von sogenanntem „Badland“, das noch zerklüfteter, karger und unzugänglicher ist als Ödland und das rein materiell zu gar nichts mehr nütze ist, gibt es atemberaubend schöne Bilder, nach denen sich jede strapazierte Menschenseele sehnt.
Brachen werden oft in die gleiche Schublade gesteckt wie Ödland, sind aber tatsächlich ein klein wenig anders. Als Brachen werden solche Flächen bezeichnet, die sich ins Sabbatical gewagt haben. Einfach mal nicht bewirtschaftet werden, sich ausruhen und Kraft schöpfen, um dann in vollem Saft und guter Laune wieder produktiv zu werden. Warum also nicht Sabbatland?
Rohboden klingt nach Rohkost, schwer im Magen liegend, unverdaulich. Rohböden entstehen durch Vulkanausbrüche, Überschwemmungen, Erdrutsche und auch schon mal auf Müllkippen. Pionierboden