Theaterherz. Stefan Benz

Theaterherz - Stefan Benz


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Friseur hat gesagt: Ich mach Ihnen was Schickes.“ Beck war jetzt doch ein wenig verunsichert. „Ist doch flott.“

      „Na, immerhin hat er Dir keine hellblaue Dauerwelle reingemacht, sonst könntest Du als Deine eigene Oma gehen. Aber irgendwie siehst Du jetzt aus wie der Opa von Toni Schumacher.“

      „Wer?“ Beck hatte es nicht mit Fußballern.

      „Dann halt wie der Opa von Atze Schröder.“

      „Was?“ Beck hatte es auch nicht mit Quatschköpfen.

      „Ist ja auch egal“, motzte Paula. „Ich versteh den ganzen Aufzug nicht.“

      „Ich wollte Dir zeigen, was ich Neues gekauft habe. Du sagst doch immer: Kauf Dir mal was Anständiges.“ Ein bisschen Enthusiasmus hatte er sich schon von ihr erwartet.

      „Aber, Du musst doch nicht sooo losfahren. Da zieht man doch was Bequemes an.“

      Beck fand das jetzt bequem, er wollte das bequem finden. Hinter ihm stand ein kleiner alter Koffer mit braunen Lederriemen. Der kam noch auf die Rückbank. Da waren seine Bücher drin. Im Wagen verstaut waren schon vier Koffer, zumeist mit den Kleidern, die Paula seit Jahren hatte ausrangieren wollen. Aber eine Garnitur für die Festspiele hatte sich Beck geleistet, die wollte er jetzt präsentieren, und er erwartete angemessenen Jubel. Kriegte er aber nicht. Das Jackett mit dem grünblauen Einstecktuch brauchte er ihr jetzt gar nicht mehr zu zeigen. Paula hob eine Tragetasche vor Becks Nase.

      „Da ist Kartoffel-Brokkoli-Auflauf drin, Gemüseschnitze mit drei Dips, Multivitaminsaft und…“ Paula zog eine Packung heraus: „Ginsengtee mit Zitronengras, Pfefferminze, Hagebutte, Orangenschalen, Süßholz, Kardamom, Zimt, Ingwer, Zitronenöl, Brennnessel, Luzerne, schwarzem Pfeffer, Selleriesamen , Nelken…“

      „Gut, gut!“ Beck musste sie jetzt dringend unterbrechen: „Ich hab Vollpension, weißt Du doch.“

      „Ja, und ich weiß, was Du immer so isst.“

      „Ach, Paula, Du kommst mich ja sicher mal besuchen. Ist ja nicht so weit.“

      „Ja, aber Du hättest trotzdem den Zug nehmen können. Wer weiß, ob nicht wieder an dem Wagen was ist. Dann stehst Du da.“

      Gewiss, Beck hing mehr an seinem Saab, als der Wagen an ihm. Der altersschwache 900er wollte immer wieder auseinanderfallen. War keine gute Baureihe. Das Blech dünner als sonst bei den alten Schweden. Dieser hier sah zwar trotz einiger Rostblasen noch ganz robust aus, knarzte und ächzte aber seit einiger Zeit erschreckend altersschwach. Fünf Monate bis zum TÜV. Ob er da noch mal drüber kam, wusste Beck nicht. Aber zu seiner Festival-Kur wollte er mit Weste und Fliege im eigenen Automobil vorfahren. Ja, er wollte auto mobil sein: selbst beweglich! Da konnte Paula jetzt sagen, was sie wollte.

      Beck blickte noch einmal hinauf zu seiner Wohnung, zum Fenster ohne Vorhänge, hinter dem Julianes altes Geisterzimmer lag, jetzt leer und weiß getüncht. Keine Ahnung, was er eines Tages in diesem Raum verstauen sollte, aber die Leere dort oben machte ihn leicht. Was für ein Ballast dieser Raum auf seinem Gemüt gewesen war, wusste er erst jetzt, da der Druck verschwunden war. Mit einem guten Gefühl räumte er die letzten Stücke ein, packte Taschen, Koffer, Pakete und einen roten Beutel für den Notfall so, dass er kaum noch was sah durch die Heckscheibe, drückte Paula – „Dank Dir. Bis bald!“ – ließ sich in die Rückenkissen auf den ausgeleierten Fahrersitz fallen. Beck startete, der Saab stotterte, wolkte grauschwarz, hustete und machte einen großen Sprung nach vorne. Paula tat einen kleinen Satz zur Seite, Beck winkte noch, und schon war er um die Ecke.

      Der Saab stöhnte. Doch das Geräusch wurde an jeder Ecke leiser, und Beck hörte zunächst nicht diesen anderen hohen Ton. Je mehr er sich von der Innenstadt entfernte, desto mehr hellte sich seine Laune auf. Und als er die Felder am Stadtrand sah, war er bereit zur großen Expedition. Es sollte zwar nur 60 Kilometer durch Wälder und Hügel gehen, aber für ihn und seinen alten Schweden war das schon eine Fernreise. Selten war Beck zuletzt weiter als bis ins Parkhaus des Stadttheaters oder zum Verlagshaus im Gewerbegebiet gerollt. Nun aber lag für einige Zeit die letzte Ampel hinter ihnen. Beck hatte die Kappe wieder aufgezogen, die Fenster geöffnet, schaltete hoch und fühlte sich ein wenig verwegen. Dazu passte es, dass der Saab mittlerweile kämpferisch schnaubte. Ja, so klang der Aufbruch! Beck drückte noch ein wenig mehr auf die Tube. Der Wagen fauchte. Was für ein Spaß! Warum war er nicht früher mal einfach so rausgefahren? Den Kopf lüften, den Motor hochjubeln. Viel zu lange hatte er in seiner stickigen Bude gehockt, zugeschaut, wie Julianes Andenken einstaubten und er selbst Spinnenweben ansetzte. Der Saab jubelte jetzt zweistimmig. Hinter dem Bassbrüllen war immer deutlicher dieser hohe Ton zu hören, ein fast außerirdisches Sirren, als würde er in einer fliegenden Untertasse aus den Fünfzigern sitzen. Am Ende einer langgezogenen Kurve trat Beck noch stärker aufs Gas, wollte auf die Gerade herauspreschen, da verlor der Wagen alle Spannung, die Leistung sackte spürbar ab, und im selben Moment sah Beck die Fahrbahn nicht mehr. Er fuhr durch Nebel, was ja nicht sein konnte an diesem trockenen sonnigen Tag. Im Rückspiegel war der Nebel schon verweht, an den Seiten zischte er vorbei, vorne aber war er fast undurchdringlich und wurde immer dicker, je langsamer der Wagen rollte. Da erst verstand Beck, dass der weiße Nebel unter der Motorhaube hervorquoll und heißer Dampf war. Im selben Moment, als ihn dieser Gedanke durchzuckte, schüttelte ihn der Wagen durch. Es tat einen Knall, der Saab hob sich leicht an. Beck sah sich panisch um. Hatte er etwas überrollt? Nein, da lag nichts. Das konnte er im Rückspiegel erkennen, während er an den Fahrbahnrand lenkte, wo Knirschen und Jaulen erklangen, als würde sich Metall in Metall verbeißen. Nur wenige Meter mehr, dann hielt der Wagen ächzend an. Mit einem schweren Seufzen entwich noch einmal eine große Wolke, dann blubberte es nur noch leise.

      Beck hielt das Lenkrad umklammert. Nicht weil es noch etwas zum Lenken gegeben hätte, sondern weil er innerlich Halt suchte. Das gab’s doch jetzt nicht. Endlich hatte er den Aufbruch geschafft, und schon steckte er mitten im Wald fest. Als sich der Krampf in seinen Fingern gelöst hatte, Beck das Mobiltelefon im Handschuhfach gefunden und den Abschleppdienst angerufen hatte, sollte es noch fast eine Stunde dauern, bis Hilfe zu erwarten war. Beck stieg aus, zwängte sich zwischen Koffer und Taschen, fingerte nach dem roten Beutel und zog. Sein Notfallbesteck leistete Widerstand, klemmte, hakte so sehr, dass Beck unruhig wurde und so lange zerrte, bis ihm der Beutel fast entgegensprang. Um ein Haar wäre ihm die Flasche entglitten. Das kleine dickwandige Gläschen klirrte bedenklich, doch alles blieb heil. Beck atmete tief durch, bohrte hastig in den Korken und zog heftig. Ein Pfützchen ins Glas. Beck schnüffelte: Er hatte nicht geglaubt, dass er den Sangiovese-Verschnitt so schnell brauchen würde. Eigentlich hatte er den toskanischen Montepulciano nur deshalb mitgenommen, weil er fürchtete, die vielen Weißen aus der Kurstadt könnten ihm irgendwann zu den Ohren herauskommen. Aber jetzt kam ihm dieser Rote genau recht. Er tat einen großen Schluck. Das war gut! Noch einen und noch einen und noch einen. Als habe er Durst. Hatte er Durst? Beim dritten Glas hörte er auf, darüber nachzudenken. Nach dem vierten wurde er schläfrig, und als er schließlich wie betäubt hinter dem Lenkrad in sich zusammensackte, war nur noch so wenig in der Flasche, dass sie nicht einmal auslief, als Beck sie in seinem unruhigen Nickerchen mit der Wade im Fußraum seines Wagens umstürzte.

      So schnell der Schlaf gekommen war, so bleiern zog er ihn in die Tiefe, aus der er nur langsam wieder emporstieg, um einem seltsamen Ton zu folgen. War es eine Sirene? Nein, ein Hupen! Wo war er? Während er noch blinzend nachdachte, klopfte es an die Windschutzscheibe. Beck schreckte auf. Vor der Motorhaube ragte ein gelber Abschleppwagen mit Kran auf, ein dicker Glatzkopf stand neben ihm, redete gegen die Scheibe und gestikulierte. Wie lang stand der schon da? Beck war immer noch benommen, kurbelte das Fenster runter, und ein Schwall streng riechender Worte schwappte zu ihm herein. Beck verstand nichts von Motoren, stammelte etwas von Rauch und Geräuschen, kriegte mit Mühe die Haube entriegelt und hörte dann den Mechaniker in seinem Motorraum rumoren.

      Zwischen das Geklapper seines Werkzeugs mischten sich Flüche. Beck verstand nur Satzfetzen. „Eijeijei“ und „Was für ein Dreck“, aber auch „Du lieber Gott“ oder „Das gibt’s doch gar nicht.“ Beck traute sich nicht aus dem Auto heraus. Er konnte ohnehin nur mit Mühe Scheibenwaschwasser und Öl unterscheiden. Mit dem dicken Schrauber würde er kein vernünftiges Gespräch zustande bringen. Mit


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