Theaterherz. Stefan Benz

Theaterherz - Stefan Benz


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Beck im Auto lassen. Er selbst musste auf dem Beifahrersitz des Abschleppwagens Platz nehmen. Auf der Fahrt in die Kurstadt sprach der Mann am Lenkrad nicht viel und das wenige in einer Mechatronikersprache, die Beck nicht verstand. Irgendwas mit dem Motor, Getriebe, Achse, Rost und Öl. Es ergab für Beck keinen konkreten Sinn, aber es klang nicht gut.

      Beck hing im Gurt. So hatte er sich die Fahrt in sein neues Leben nicht vorgestellt. Draußen zogen die letzten Bäume vorüber und es öffnete sich das Tal mit dem kleinen Fluss, an dessen Ufern die Weinberge der Kurstadt bisweilen steil aufstiegen. Eine Burg-Ruine aus rotem Sandstein schmiegte sich, von Wald gekrönt, an die obersten Weinlagen. Auf den Zinnen flatterten die Fahnen des Festivals, das dort seine größte und grünste Bühne besaß – mit einem Parkett, das von einer gewaltigen Linde beschirmt wurde und einer Bühne, die direkt in den Wald überzugehen schien. Die Postkarten-Aussicht des Kurorts hellte Becks Stimmung wieder auf, und je näher der Ort kam, desto besser wusste er wieder, warum er sich so auf diese Auszeit gefreut hatte. Neben dem Ortsschild „Bad Weinfurt“ prangte ein gigantisches gelbes Transparent. Schon von weitem sah man den schwarzen Schriftzug „Festspielstadt“. Ja, sie hatten sich hier einiges vorgenommen. Schluss mit dem betulichen Sommertheater. Zwar waren ganz klassisch Hofmannstahl, Molière, Kleist und Zuckmayer angekündigt, aber mit Regietheater und Sponsorenspektakel. Darauf waren die Weinfurter ganz stolz, hatte er im Programmheft gelesen. Erst als sie fast schon vorbei waren, erkannte Beck, dass über dem Wort „Festspielstadt“ etwas kleiner und in rot wie mit der Sprühpistole geschrieben „Bankrott einer“ stand.

      Der Abschleppwagen umkurvte zwei Verkehrsinseln. Auf der einen stand ein enorm großes Weinfass, auf der anderen eine alte Kelter. Dahinter tauchten schon die ersten schiefen Fachwerkhäuser auf. Was für ein erfreulicher Anblick. Beck wunderte sich schon gar nicht mehr über die Antiwerbung am Ortseingang, da erblickte er auch schon das Plakat für „Jedermann“, und auch hier hatte ein Sprayer die Botschaft verändert, durchgestrichen und dazugekritzelt, so dass da nun stand: „Jedermann muss sterben“. Kaum zweihundert Meter weiter grüßte „Der eingebildet Kranke – ein Gesundheitsprogramm“, doch das war kaum noch zu erkennen, dafür prangte hier nun fett und schwarz: „Total krank“. So ging es weiter: Vom „Zerbrochnen Krug“ blieb nur „Krieg“. Und „Weinberg, die fröhliche Gastroshow“, ein Event frei nach Zuckmayer, war übermalt mit der Krakel-Drohung „Tod dem Weinberg“.

      Beck fragte sich, ob das nun Marketing oder Vandalismus war. Die Frage an den Fahrer, was es mit den Plakaten auf sich habe, hätte er sich sparen können. Die grüne Latzhose klärte Beck darüber auf, dass „Jedermann muss sterben“ und „Tod dem Weinberg“ wohl Theaterstücke seien. Und als Beck einwandte, dass Hofmannsthal und Zuckmayer andere Titel gewählt hatten, murrte der Fahrer: „Schade, ich wollt mir das schon angucken. Na, das wird dann ja eine schöne Kunst-Kacke sein.“

      Der Diskurs über Aufführungsästhetik war damit nur wenig länger ausgefallen als zuvor das Fachgespräch über Karosserie und Hydraulik. Die beiden Männer hatten sich nichts mehr zu sagen, bis Beck endlich mit seinen Koffern auf dem Bordstein vor dem „Nehoda Imperial“ stand. Er war verblüfft. Im Katalog hatte es besser ausgesehen. Die glänzenden Steinfliesen der Achtziger-Jahre-Fassade waren mit Efeu überwachsen, der aus dem angrenzenden Kurpark zu kommen schien und offenbar dabei war, das Hotel langsam zu verschlingen. Ein wenig enttäuscht streifte sein Blick ins Grüne, doch bevor ihn der prächtige Park hätte aufmuntern können, rief der Mechaniker aus dem Führerhaus noch: „Ich melde mich. Aber machen Sie sich keine Hoffnung.“ Dann sah Beck, wie sein alter Schwede huckepack um die nächste Ecke verschwand. Da stand er nun mit all seinen Koffern und Taschen. Bis zur Lobby waren es noch einige Meter. Kein Kofferwagen zu sehen. Er wollte sich gerade auf den Weg, die Auffahrt hinauf zum Empfang machen, da kam ihm auch schon ein Portier in Sakko und Mütze entgegen. Wie aufmerksam, dachte sich Beck und hob dem Mann einen Koffer entgegen. Und der junge Herr eilte sich. Ja, er rannte. Das wäre nun auch nicht nötig. Und wieso hatte er einen Besen in der Hand? Beck blieb verwundert stehen und merkte, dass der Portier zwar in seine Richtung rannte, ihn aber offenbar gar nicht wahrnahm. Schon war er an ihm vorbei. Beck schaute ihm nach und sah, wie der Mann auf einen Grünstreifen auf der anderen Straßenseite zurannte. Dort standen drei Flaggenmasten, an denen Banner des Festivals flatterten – und eines stand in Flammen. Der Portier schlug von unten gegen den qualmenden Stoff. Als wenn da noch etwas zu retten gewesen wäre. Glühende Fetzen fielen auf ihn herab. Beck stand da, immer noch mit seinem Koffer in der Hand, und staunte: Was für ein Empfang!

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