Todesstrafe - Der zweite Fall für Schmalenbeck und Paulsen. Brigitte Krächan

Todesstrafe - Der zweite Fall für Schmalenbeck und Paulsen - Brigitte Krächan


Скачать книгу
zu. „Wir finden selbst hinaus. Danke. Wir machen jetzt auch Feierabend.“

      „Was bildet sich dieser Aktentaschenträger eigentlich ein! Die nennen einfache Personalplanung jetzt Ressourcenmanagement, pinnen sich ein paar Umsatzkurven an die Wand und meinen dann, den Handel neu zu erfinden. Auf Erfahrung und Persönlichkeit wird überhaupt keinen Wert mehr gelegt. Und jeder macht mit: Rationalisierung, Technisierung. Sie fühlen sich nackt ohne ihr Smartphone. Digitale Notiz-App. Und wenn der Strom ausfällt, wissen sie nicht mehr, wo sie gerade hinwollten und was sie denken sollen. Fängt bei uns auch schon an. Wenn ich Emma nach einer Akte frage, rollt sie mit den Augen und meint, hätte ich doch alles im Computer. Wenn sie gut gelaunt ist, schickt sie mir einen Link zur Akte oder noch schlimmer: eine Mail mit einer PDF im Anhang. Wer heute einen Fall bearbeiten will, braucht ein IT-Studium. Also ich tue mir das nicht mehr an. Ist der da vorne am Steuer eingeschlafen!?“

      Paule fuhr dicht auf den Wagen vor ihnen auf und drückte auf die Hupe. „Bestimmt mischt der Eisler bei der digitalen Polizei-Revolution ganz vorne in der ersten Reihe mit. Dem Seidel wird er Nachhilfe im Gebrauch dieser kleinen, tragbaren Computer geben und sich dabei gleich für einen Posten in der Führungsebene empfehlen. Aber was rege ich mich überhaupt auf ? Ich hab’s bald hinter mir. Noch ein paar Monate und dieser ganze technische Blödsinn kann mir gestohlen bleiben.“

      Paule setzte zu einem gewagten Überholmanöver an. „So wie der fährt, kommen wir erst in der Nacht im Präsidium an. Der braucht einen Rollator und kein Auto.“

      Als die beiden am Polizeipräsidium angekommen waren, hatte Paule sich wieder abgeregt. „Ich kann mir den Kömen einfach nicht als Mörder vorstellen“, meinte er ganz friedlich, als er Ulli an ihrem Wagen absetzte.

      Ulli stimmte ihm zu: „Wir werden uns weiter mit Wilhelm Tiecks Umfeld beschäftigen. Vielleicht finden wir dort noch ein Motiv. Sieht sich eigentlich jemand seine Finanzen an?“

      „Ist notiert. Analog“, grinste Paule und deutete auf seine Stirn, „gleich morgen früh werde ich Emma beauftragen, sich die Kontoauszüge von Tieck anzusehen. Und ich erkundige mich, ob die Schwester erbt. Wenn jemand, aus welchem Grund auch immer, Tieck umbringen wollte, dann bot sich dieser Jahrestag als perfekte Ablenkung an. Ist doch klar, dass jedem der alte Fall zuerst einfällt und wir in diese Richtung ermitteln.“

      ***

      Kurz nach neun Uhr lenkte Ulli den Citroën in die Auffahrt zur Villa. Sie begrüßte Frau Geese und bedankte sich dafür, dass sie, wie schon so oft, auf Rocco aufgepasst hatte. Für Ende August waren die Abende immer noch sehr warm. Rocco trottete langsam der Villa entgegen. Ulli beschloss, heute auf den Abendspaziergang zu verzichten. Sie würde morgen eine Stunde früher aufstehen und dann in der kühlen Morgenluft mit Rocco um den See laufen. Ein langer Spaziergang am Tag genügte dem Schäferhund mittlerweile. Ulli streichelte sein dunkles Fell.

      „Du kommst auch in die Jahre, mein Guter.“ Der Schäferhund wedelte mit dem Schwanz und sah Ulli erwartungsvoll an. Er schien zu fragen: War das ein Lob? Gibt es für irgendetwas eine extra Belohnung?

      Ulli lächelte. „So verfressen. Komm, wir gucken, was wir finden.“

      KAPITEL 4

      Ulli ließ Rocco bei Frau Geese und fuhr früh zum Präsidium. Sie hoffte, am Abend zeitig nach Hause zu kommen. Es war schon Dienstag und nach dem nächsten Wochenende würden die Handwerker kommen, um mit dem Umbau des oberen Stockwerkes der Villa zu beginnen. Bis Samstag musste sie entscheiden, was sie aus dem Haus ihrer Eltern behalten wollte, und sie hatte noch nicht einmal damit angefangen auszusortieren. Sollte sie sich von allem trennen, so wie es ihr erster Gedanke gewesen war? Aber vielleicht würde sie nach ein paar Jahren manches anders sehen und es bereuen, wenn sie alle diese besonderen Möbel und Erinnerungsstücke einfach weggegeben hatte. Ulli brauchte Zeit und Ruhe, um eine Entscheidung zu treffen. Sie hoffte, dass die Ermittlungen im Fall Tieck ihr erlaubten, das Wochenende frei zu machen. Im Moment sah es so aus, als würden dem Team einige Tage mit Routinebefragungen bevorstehen. Sie fasste die ersten Ergebnisse in wenigen, kurzen Sätzen handschriftlich zusammen. Zwar sammelte Emma alle relevanten Tatsachen regelmäßig in der elektronischen Fallakte, aber Ulli zog persönliche Notizen vor. Sie halfen ihr, ihre Gedanken zu ordnen.

      Ulli legte den Stift beiseite, trat an das Whiteboard und betrachtete das Foto der Tatortszene. Gedankenverloren zog sie mit dem Stift einen Kreis um den Stuhl, der mitten im Wohnzimmer stand.

      Was hattest du zu erzählen, was so lange gedauert hat, dass du dir dazu einen Stuhl aus der Küche geholt hast? Hast du Wilhelm Tieck erklärt, warum er sterben musste? Oder war er schon tot, und du hast nur dagesessen und deine Tat bewundert? fragte sie den ihr noch unbekannten Mörder.

      „Überlegst du, dir neue Küchenstühle anzuschaffen?“ Wie gewohnt hatte Paule gleichzeitig mit dem Anklopfen Ullis Büro betreten. Er zeigte auf das Foto mit dem Stuhl. „Auf diesen altmodischen Eichenstühlen kann man erstaunlich bequem sitzen. Und sie sind verzapft, nicht geklebt. Für die Ewigkeit geschaffen.“

      Paule trat neben Ulli vor das Whiteboard. „Wenn Heinz Kömen der Mörder war, dann hatte er dem Mordopfer bestimmt einiges zu erzählen. Aber ich kann mir den alten Mann nicht als kaltblütigen Mörder vorstellen.“

      „Aber ein Auftragskiller würde sich nicht so lange aufhalten. Weshalb sollte er einen Stuhl vor das Opfer stellen?“, wandte Ulli ein.

      „Und wenn er eine Art Urteil im Namen des Auftraggebers verlesen musste?“, überlegte Paule, nur um gleich darauf den Kopf zu schütteln. „Unsinn, das würde ein Profi nie machen. Das Risiko, dabei erwischt zu werden, wäre viel zu groß. Diese Art Dienstleistung hat keiner von denen im Angebot. Vielleicht ist der Stuhl ein Ablenkungsmanöver.“

      Ulli wandte sich von dem Whiteboard ab. „Vielleicht ergibt die Überprüfung der Kontodaten von Heinz Kömen etwas. Auftragsmord ist teuer. Und wenn Kömen nicht unser Täter ist, stehen uns jede Menge Befragungen im Umfeld von Wilhelm Tieck bevor. Irgendjemand muss einen Grund gehabt haben, Tieck zu erschießen.“

      „Irgendwelche neuen Anhaltspunkte, die auf ein Motiv hindeuten? Was wissen wir bisher über das Opfer?“, fragte Ulli in die Runde, als das Team um den Konferenztisch versammelt war.

      „Erst einmal die schlechte Nachricht“, begann Emma, „der Staatsanwalt hat die Überprüfung der Kontodaten von Heinz Kömen nicht genehmigt. Auch die Handydaten dürfen wir nicht anfordern. Heinz Kömen sei ein unbescholtener Bürger, und die Tatsache, dass das Opfer vor zehn Jahren verdächtigt wurde, seine Tochter getötet zu haben, mache ihn nicht zum Tatverdächtigen. Dann habe ich die Telefonnummern vom Handy des Opfers abtelefoniert“, fuhr Emma fort, „er rief mehrmals im Monat denselben Pizzadienst an. Häufig telefonierte er mit seiner Schwester. Ein paar Mal mit dem Arbeitskollegen Klaus Faas und einige wenige Male mit anderen Kollegen, in erster Linie mit dem zweiten Lageristen Andreas Kreiter und den Hausmeistern Hans Schmidt und Reinhard Graus. Vielleicht sollten wir bei der Befragung der Arbeitskollegen mit denen beginnen. Und dann gab es noch ein paar 0900er Nummern, die ich nur am Computer recherchiert habe, um dem Präsidium Geld zu sparen. Ihr wisst schon, diese Servicenummern“, Emma ignorierte das Grinsen ihrer Kollegen und fuhr fort, „außerdem ist die Personalliste der Firma Ziegler gekommen. Allein in der Niederlassung Hamburg hat die Firma hundertfünf Angestellte. Ungefähr dreißig hatten mit Wilhelm Tieck unmittelbar zu tun. Bestandsverwaltung, Buchhaltung, Logistik, Mitarbeiterdisposition. Die Liste ist schon in der Fallakte.“

      Ulli nickte. „Die werden wir uns anschauen und verteilen. Wenn wir sonst nichts haben, müssen wir alle Personen auf der Liste abarbeiten. Und wenn das nichts ergibt, werden wir die Befragung auf die Händler, mit denen Tieck Kontakt hatte, ausweiten.“

      Emma schaute in ihre Notizen: „Es sieht schlecht aus mit weiteren Informationen. Die Kontoauszüge des Opfers geben keinen Hinweis auf ein Motiv. Keine ungewöhnlichen Ein- oder Ausgänge. Wilhelm Tieck hat nicht viel Geld ausgegeben, aber auch nicht so viel verdient, dass man ihn als wohlhabend bezeichnen kann. Aktenkundig ist Wilhelm Tieck in den letzten zehn Jahren auch nicht geworden, nicht einmal mit einer Anzeige wegen Falschparkens. Er muss ein ziemlich langweiliges, einsames Leben geführt haben. Und Reinhard Graus, der Hausmeister


Скачать книгу