Todesstrafe - Der zweite Fall für Schmalenbeck und Paulsen. Brigitte Krächan

Todesstrafe - Der zweite Fall für Schmalenbeck und Paulsen - Brigitte Krächan


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sich eine Notiz. „Das werden wir uns anschauen, wenn wir Jürgen Faas noch einmal befragen.“

      Jana meldete sich zu Wort: „Im Bericht steht, Jürgen Faas habe das Haus des Mordopfers vor der Tat noch nie betreten. Ich war gestern noch einmal dort und habe im ersten Stock Fingerabdrücke genommen. Die meisten waren verwischt und offenbar uralt. Aber ein paar auf dem Lichtschalter und der Türklinke waren frisch und lassen sich eindeutig Herrn Faas zuordnen. Ohne Zweifel war er in letzter Zeit im ersten Stock von Wilhelm Tiecks Haus. Ihr solltet nachfragen, was er dort wollte und warum er es uns nicht erzählt hat.“

      „Sonst noch irgendwelche Anhaltspunkte?“, fragte Ulli und schaute in die Runde.

      Paule deutete auf die fünf Aktenordner, die in der Mitte des Tisches lagen.

      „Die haben wir von Heinz Kömen bekommen. Eine traurige Dokumentation seines zehnjährigen Kampfes um Gerechtigkeit für seine Tochter. Ich habe sie gestern flüchtig durchgesehen. Zeitungsausschnitte, Briefwechsel mit einigen Rechtsanwälten, Unterstützungsschreiben von verschiedenen Leuten. Aber keine aktuelle Spur. Wenn wir nichts Besseres finden, müssen wir wohl mit allen reden.“

      Ulli wandte sich an Kai: „Hat die Befragung der Nachbarn etwas ergeben?“

      Kai schüttelte den Kopf. „Leider ohne Ergebnis. Ich habe einem Journalisten der Hamburger Aktuellen eine Cola ausgeben. Er meinte, ihm und seinem Kollegen wäre in den Tagen vor dem Mord nichts Verdächtiges aufgefallen. Allerdings hätten sie sich eher auf das Opfer als auf die Straße konzentriert. Er selbst habe ein paar Mal versucht, Wilhelm Tieck zu einer Stellungnahme zu dem Artikel zu bewegen, aber der habe noch nicht einmal die Tür geöffnet. Am Donnerstag hätten sie gegen achtzehn Uhr ein letztes Mal bei ihm geläutet und seien dann in die Redaktion gefahren.“

      „Es gab keine Einbruchsspuren“, überlegte Walter, „Wilhelm Tieck hat den Pressefritzen nicht geöffnet, aber den Mörder hat er hereingelassen. Er muss seinen Mörder gekannt haben.“

      „Oder der Mörder hatte einen Schlüssel“, warf Ulli ein. „Vielleicht sollten wir dazu die Schwester des Opfers befragen. Ob ihre Kinder vielleicht noch einen Schlüssel zum Haus ihres Onkels haben. Auch nach möglichen Bekannten ihres Bruders sollten wir fragen. Schließlich hat Wilhelm Tieck nicht auf einer einsamen Insel gelebt. Er muss irgendwo eingekauft haben. Er war HSV-Fan. Mit wem außer Jürgen Faas ging er zum Fußball? Was ist mit den Nachbarn? Gab es Streit? Haben die sozialen Medien etwas ergeben?“

      Das war Dirks Stichwort. Er startete eine Präsentation, die er auf die Wand des Besprechungszimmers projizierte.

      „Auf der Facebook-Seite der Hamburger Aktuellen ist einiges los. Die meisten beglückwünschen den Täter zu seiner Tat. Ein paar Selbsthilfegruppen haben sich zu Wort gemeldet. Aber es ist nichts dabei, das zwingend auf ein Motiv hinweisen würde. Wenn wir jedem, der sich dort feindlich gegenüber dem Opfer äußert, auf den Zahn fühlen wollen, haben wir bis Weihnachten zu tun. Und das ist nur die Spitze des Eisberges. Ich denke, die Aktuelle hat auch Leserbriefe zu dem Thema bekommen.“

      Ulli nickte. „Kannst du die Namen durch unsere Datenbank laufen lassen? Vielleicht ergibt sich eine Übereinstimmung. Gewalttaten, unerlaubter Waffenbesitz, Rechts- und Linksextreme. Und besorge dir die Namen der Leserbriefschreiber. Solange wir nichts anderes haben, müssen wir im Trüben fischen.“

      Ulli wandte sich an Sebastian. Er und Walter waren zur Teamsitzung dazu gekommen, um über ihre Befragung zu berichten: „Wie war es bei Bruno Dörfer?“

      Aber der Kommissar schien noch mit Dirks Präsentation beschäftigt. Mit einer Geste gab er die Frage an Walter weiter, der ihm zunickte und berichtete: „Haus gebaut, verheiratet, zwei Kinder. Sagt, er war schon seit Jahren nicht mehr in der Gegend. Hat angeblich das Opfer ewig nicht mehr gesehen. Er weiß nicht einmal, ob er Wilhelm Tieck wiedererkennen würde. ,Wenn ich ihm damals nicht den Hals herumgedreht habe, warum sollte ich es heute tun? ‘, meinte er. Ich denke, er ist glaubhaft. Er habe keinen Kontakt zu der alten Clique. Und von denen hätte gewiss auch keiner mehr eine derartige Wut auf Wilhelm Tieck gehabt. Tatsächlich hat Bruno Dörfer das damalige Opfer, Karin Kömen, längst nicht mehr als so sympathisch und allseits beliebt geschildert wie damals. Ich habe ihn gefragt, warum er seine Meinung über sie geändert habe, und er meinte, über Tote und erst recht über Tote, die so tragisch gestorben sind, könne man doch nichts Schlechtes erzählen. Aber jetzt, nach zehn Jahren, sei das eben anders. Es sieht nicht aus, als würde sich da ein Motiv ergeben“, schloss Walter seinen Vortrag.

      Nach der Teamsitzung war Paule Ulli in ihr Büro gefolgt.

      „Es scheint, als müssten wir die ganz große Fragerunde starten. Es sei denn, Jürgen Faas kann uns nicht plausibel erklären, was er im ersten Stock von Tiecks Haus zu suchen hatte.“

      „Vielleicht sollten wir die Kinder der Schwester und ihren Mann verhören“, schlug Ulli vor.

      Paule schüttelte den Kopf. „Und dafür extra nach Berlin fahren? Bestimmt kommen sie zur Beerdigung. Ich glaube allerdings nicht, dass uns das weiterbringt. Wilhelm Tieck war so uninteressant, dass es jedem gleich sein konnte, ob er tot war oder lebte. Das Einzige, was ihn jemals aus der grauen Masse hervorgehoben hat, war dieser Mordverdacht.“

      Paule zögerte. „Aber ich würde gerne Frau Kömen fragen, ob sie ihrem Mann einen Mord zutraut.“

      ***

      Ulli und Paule hatten sich mit Herrn Graus, dem Hausmeister von Schrauben Ziegler, am Eingangstor verabredet. Ulli hatte eine grantigen, älteren Herrn erwartet und war von der selbstbewussten Erscheinung des jungen Hausmeisters angenehm überrascht. Reinhard Graus ging ihnen über den großzügig angelegten Hof voraus. Er zeigte auf die imposanten Rolltore mit den Laderampen: „Hier werden die LKW bedient. Wir setzen ungefähr fünfzig Tonnen Ware am Tag um. Anlieferung und Auslieferung. Von Hamburg aus fahren wir Kunden in ganz Deutschland an. Und da“, Herr Graus öffnete die Tür zu einem modernen, hellen Büro, „ist der Arbeitsplatz unserer Lageristen.“

      So hätte sich Ulli das Büro eines Lageristen nicht vorgestellt. Es gab keinen Pin-Up-Kalender an der Wand, stattdessen Hinweise über Brandschutz und Unfallverhütung. Eine Liste mit Telefonnummern hing an der Pinnwand. Auf dem großen Schreibtisch standen zwei Computer mit riesigen Bildschirmen.

      Der Hausmeister stellte den Kommissaren Andreas Kreiter, den zweiten Lageristen, vor. Der hagere, ältere Mann erhob sich widerwillig vom Schreibtisch und begrüßte die beiden Kommissare mit einem flüchtigen Handschlag, dabei ließ er die Monitore nicht aus den Augen. „Ich hoffe, Sie fassen sich kurz. Hier ist richtig viel los. Willi hat am Freitag schon gefehlt. Heute Morgen meinte die Personalverwaltung, sie würde Hilfe von der Zweigstelle schicken.“

      Fahrig zeigte Andreas Kreiter auf den Stuhl am anderen Ende des Schreibtisches, auf dem sich Paule niedergelassen hatte.

      „Nichts, gestern kam keiner und heute auch nicht. Ich weiß nicht, wie sich die Geschäftsführung das vorstellt. Einer muss draußen nach dem Rechten sehen, aber wenn ich auf den Hof gehe, läuft hier drinnen alles aus dem Ruder.“

      Ulli nickte mitfühlend. „Sie haben hier mit Wilhelm Tieck zusammengearbeitet. Erzählen Sie uns von Ihrem Kollegen.“

      Andreas Kreiter warf einen letzten Blick auf die Monitore und wandte sich dann Ulli zu: „Was wollen Sie wissen? Willi war ein guter Arbeiter. Sehr gewissenhaft. Er hat seine Arbeit gemacht, ohne sich darum zu kümmern, was um ihn herum geredet wurde. Die Aufträge hat er immer zügig und korrekt abgearbeitet. Da gab es keine Beschwerden irgendwelcher Händler. Ein bisschen eigenbrötlerisch war er vielleicht. Er ließ sich auf keinen Smalltalk ein. Aber das war mir ganz recht, es frisst nur Zeit, wenn man sich mit jedem Händler verquatscht. Willi hat seine Arbeit gemacht und sich aus allem andern herausgehalten. Ich habe ihn eigentlich nur einmal richtig genervt erlebt. Das war, als wir die Umstellung auf die computergestützte Warenkommissionierung hatten. Mit der EDV ist er anfangs nicht klargekommen. Er hat mir erzählt, er hätte keinen Computer zuhause.“

      Andreas Kreiter schüttelte den Kopf. „Können Sie sich das vorstellen? Es gibt wirklich noch Menschen, die keinen Computer zuhause haben?“

      Paule


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