Von Lübeck bis Laboe. Karla Letterman

Von Lübeck bis Laboe - Karla Letterman


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die ich nicht verstehe. … Nein. … Doch, der ist noch hier. Wir halten ihn auf, wenn Sie wollen. … In Ordnung, bis dann.«

      Es war ein schläfriger Krieger, der Waisling in der Küche erwartete. Er hockte zusammengesackt und schief gegen die Fensterbank gelehnt auf einem der gepolsterten Buchenholzstühle.

      Gerda hatte ihre Lieblings-CD mit Shantys vom Travemünder Chor Möwenschiet eingelegt, klapperte im Takt dazu mit dem Alltagsporzellan und tat so, als wäre nichts Ungewöhnliches passiert.

      Hinnerk hievte seinen erschöpften Körper auf die Küchenbank. Er stöhnte auf, als das steife rechte Bein gegen den ungewohnt platzierten Holzstuhl stieß. Brummend langte er über den Tisch, um die taubenblaue Kaffeekanne zu sich heranzuziehen. Gerda legte ihm eine Hand auf den Arm. »Die nicht. Diese Mischung ist nichts für dich.« Sie griff hinter sich, beförderte eine kleine Thermoskanne zutage und goss sowohl Hinnerk als auch sich selbst von dem starken Bohnenkaffee ein. Er duftete nach Zuflucht und Nestwärme.

      »Und das da, das ist die spezielle Besuchermischung?«, vergewisserte sich Waisling und deutete mit dem Kinn in Richtung der blauen Kanne. Gerda nickte, überlegen lächelnd. Offenbar hatte sie den Rest dieser Benzodia-dingsda, die sie vor einiger Zeit hatte einnehmen müssen, als Kaffeezusatz für den Wikinger verwendet.

      Waisling beugte sich über das Display des Mobiltelefons. »Wundert euch nicht«, las er mit belegter Stimme vor, »schicke einen Freund zu euch, der nach Fehmarn will. Kann selbst nicht kommen. So, so, ›kann selbst nicht kommen‹ … Was sagst du dazu?«

      »Fabian liegt nicht viel an uns«, bemerkte Gerda leise, wobei ihre Stimme minimal bebte. »Ich glaube, die Corona-Krise kommt ihm ganz gelegen.«

      Waisling stutzte. Er dachte an die Szene vor der Tür, als die Polizistin den Namen nachgelesen hatte. »Dann muss der Mensch hier Fabians Ausweis benutzen.« Er wandte sich um.

      »W-w-w-wäre sons’ m-m-mit der Bahn gekommen«, murmelte der außer Gefecht gesetzte nordische Krieger. »Weil ja Plan A nich’ gefunzt hat. Mi’m Auto … als Beifahrer.« Er breitete die Arme aus. »Hab euch l-l-l-lieb!« Sein Kopf kippte zur Seite.

      »Der hat sich einen Zugang zur Insel erschlichen«, stellte Waisling fest. »Aber warum bloß?«

      »Wenn er Fabian aus Lübeck kennt«, überlegte Gerda laut, »heißt das vielleicht, dass er einfach raus wollte aus der Stadt. Frische Luft, weniger Leute, weniger Viren.«

      »Aber wo will er hier wohnen? Bestimmt nicht bei seiner Tante.« Waisling nieste in die Armbeuge. »Denn die gibt es nicht.«

      »Prost«, kommentierte Gerda das Niesen.

      Der Körper des Rotblonden regte sich ruckartig. »… Stoff sch…sch…schon da?«, nuschelte er.

      Hinnerk und Gerda wechselten einen Blick. Gerda schlussfolgerte als erste. »Prost … dann geht’s um Alkohol.«

      »Allo---loo …« Der Kopf des Fremden sank wieder zur Seite. Seine Lippen formten ein ergriffenes Lächeln.

      Gerda fackelte nicht lange. Mit flinken Händen begann sie, die Jackentaschen des jungen Mannes zu durchstöbern. Sie förderte Fabians Personalausweis zutage, dann fischte sie das zerkratzte Smartphone just in dem Moment heraus, als es zu vibrieren begann. »Nachricht von einer ›Jule‹«, gab sie Hinnerk bekannt. »›Bin an der Kate. Wo bleibst‘…‹« Gerda stutzte. »Da fehlt doch ein ›du?‹«

      »Kate?« Waisling richtete sich auf. »Meinen die vielleicht unseren Schuppen? Fabian sagt doch immer Kate.«

      »Was sollen sie da?«, sagte Gerda. »Das Ding steht doch seit Ewigkeiten …« Sie zögerte, dann sah sie Hinnerk an. »Das Ding steht seit Ewigkeiten leer. Dachte ich jedenfalls … Da ist jede Menge … Platz …«

      Hinnerk Waisling spürte das Vibrieren der Türglocke, noch bevor sie zu hören war. »Mein Stock«, raunte er, und Gerda griff wie schlafwandlerisch zur Anrichte. Mithilfe der Krücke hievte er sich mit einem einzigen Ruck hoch und hinkte zur Haustür.

      Die junge Uniformierte stand mit erwartungsvollem Blick auf der obersten Treppenstufe. Waisling winkte sie und ihren Kollegen, der einige Schritte hinter ihr herkam, herein. Neben ihm im Hausflur erschien Gerda und sah den neuen Besuchern interessiert entgegen. »What shall we do with the drunken sailor«, sang sie leise, aber verständlich vor sich hin.

      »Dem Sailor oder was er ist legen wir jetzt ganz gepflegt Handschellen an«, beantwortete der Polizist die Frage.

      Als es an seinen Handgelenken klickte, murmelte der Wikinger »Hände hoch«, erwachte aber nicht aus seinem Dämmerzustand.

      »Gehört die alte Scheune am Ortsende, hinten am Graben, Ihnen?«, erkundigte sich derweil die Beamtin.

      Waisling nickte.

      »Wann waren Sie das letzte Mal dort?«

      Waisling blickte seine Frau an, die zuckte mit den Schultern. »Wir nutzen die Scheune schon lange nicht mehr. Früher, als wir noch unsere Ziegen hielten, hatten wir dort Stroh gelagert. Aber das ist … ach, fast zehn Jahre her.«

      »Kennen Sie eine gewisse Jule?«, fragte der Polizist.

      »Wir kennen eine Juliane«, antwortete Gerda, »die Tochter unserer Nachbarn zur Rechten.«

      Der Beamte streckte ihnen das Display seines Smartphones entgegen, auf dem das Foto einer flachsblonden Frau zu sehen war.

      »Das ist sie nicht.« Hinnerk und Gerda schüttelten ihre Köpfe im Takt. Im Hintergrund sang der Chor schwungvoll ›Good night ladies‹.

      »Wer ist denn diese Jule?«, fragte Gerda. Die Nachricht auf dem Handy des Festgenommenen ließ sie unerwähnt.

      »Das ist eine etwas längere Geschichte«, erwiderte die Polizistin.

      »Dann stärken wir uns mit einem Schlückchen«, schlug Gerda vor, zog eine Flasche aus dem altmodischen Küchenbuffet und schenkte selbstangesetzten Salbeilikör in birnenförmige Gläschen. »Gut für das Immunsystem«, erklärte sie.

      »Ihr Gast hier und auch diese Jule sind Teil eines Schmugglerrings«, begann die Polizistin ihren Bericht. »Das sind überaus flexible Typen, die sich jetzt, in Zeiten der Corona-Krise, auf Alkoholschmuggel nach Dänemark verlegt haben.«

      »Die Grenzen sind dicht«, dachte Waisling laut nach. »Die Dänen können nicht mehr die Fähre Rømø-Sylt nutzen, um sich zu versorgen.«

      »Genauso ist es«, bestätigte die Beamtin. »Und da winken lukrative Geschäfte. Ein kleines Scheinchen an den Grenzposten hier, ein schnelles Motorbötchen da – das ist ein ausgeklügeltes System. Ihre Scheune hinten am Ortsrand dient übrigens als Zwischenlager.«

      »Was?!« Waisling fuhr zusammen. »Da haben wir extra dicke Schlösser angebracht! Damit nicht dreiste Touristen auf die Idee kommen, da drin Party zu feiern. Wir haben sie ja von hier aus nicht im Blick. Und was man hier im Sommer alles schon erlebt hat …«

      »Tja … vielleicht ist jemand an den Zweitschlüssel gekommen«, ließ der Polizist vernehmen und blickte konzentriert in sein leeres Likörglas. »Jedenfalls haben wir an der Scheune die blonde Jule eingesackt.«

      »Und wo hatten Sie unseren müden Krieger aufgegabelt?«, wollte Gerda wissen.

      »Der ist mit Jule im Auto Ihres Sohnes bis Großenbrode gefahren. Dort wollte er auf die Bahn umsteigen, hat dann aber bemerkt, dass Kontrolleure im Zug waren, und hat sich stattdessen bis zum Fuß der Brücke kutschieren lassen. Von da an hat er den Fußweg genommen.«

      »Hui, wie ungemütlich!«, entfuhr es Gerda. »Wieso ist er nicht im Auto geblieben?«

      »Sie haben das Risiko gestreut«, sagte die Polizistin. »Die junge Dame stammt von der Insel, ihre Eltern sind hier im Pflegeheim. Allerdings gerade verstorben, ein lupenreiner Rückweisungsgrund, wenn man als Kontrolleur die Info hat. Der junge Mann hat keine Angehörigen hier, deshalb hat er sich den Ausweis Ihres Sohnes besorgt. Er hat wohl zunächst im Kofferraum


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