Der Winterkönig. Geschichten des Dreißigjährigen Krieges. Jörg Olbrich

Der Winterkönig. Geschichten des Dreißigjährigen Krieges - Jörg Olbrich


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die Kathedrale betreten hatten, und beobachtete die weiteren Besucher, die nach und nach ihre Plätze einnahmen. Noch immer litt er an den Nachwirkungen seines nächtlichen Abenteuers und der vorangegangenen Reise. Der Schreiber dachte daran, dass in den letzten Tagen Vieles ganz anders gekommen war, als er es noch vor eine Woche erwartet hatte.

      Den ersten Schock hatte Anton gleich nach dem Aufbruch aus Wien erlitten. Die wenigen Kutschen waren dem Materialtransport vorbehalten gewesen. So war dem Schreiber nichts anderes übriggeblieben, als zu reiten. In seinem bisherigen Leben waren ihm Pferde immer suspekt gewesen und er hatte gewaltigen Respekt vor den großen Tieren.

      Es hatte Stunden gedauert, bis er auf der Reise nach Pressburg soweit mit dem Pferd zurechtgekommen war, dass es seine Anweisungen befolgte. Nachdem er den ganzen Tag auf dem Rücken des Tieres zugebracht hatte, konnte er am Abend kaum laufen und musste sich am nächsten Morgen unter dem Gelächter der Landsknechte beim Aufsitzen helfen lassen.

      König Ferdinand hatte ihm befohlen, immer neben ihm zu reiten, obwohl er die Dienste seines Schreibers unterwegs nicht ein einziges Mal in Anspruch genommen hatte. Anton vermutete, dass er so einer Konversation mit Kardinal Klesl aus dem Weg gehen wollte. Der kaiserliche Berater von Matthias begleitete den Tross nach Pressburg, und Ferdinand ließ keine Gelegenheit aus, ihm zu zeigen, wie sehr ihm dies missfiel.

      Am vorletzten Tag der Reise trafen sie auf Erzherzog Maximilian von Bayern und setzten den Weg nach Pressburg mit ihm und seinem Gefolge fort. Ferdinands Laune besserte sich sichtlich, als der Bruder seiner Mutter neben ihm ritt, und er ließ seinen Schreiber aus den Augen, der die Gelegenheit nutzte, sich etwas zurückfallen zu lassen. Die beiden Habsburger unterhielten sich lebhaft und ließen sich dabei auch über die Rebellion in Böhmen aus. Kardinal Klesl ritt hinter ihnen und hörte den mächtigen Männern mit bitterer Miene zu.

      Die vier Tage, die sie bis zu ihrem Ziel brauchten, gehörten zu den bisher schlimmsten in Antons Leben. Wegen dem langen Ritt schmerzte sein Körper. Er konnte auch jetzt noch nicht wieder normal gehen und sein Rücken brannte wie Feuer. Kardinal Klesl hatte ihm unterwegs mehrfach geraten, nicht so verkrampft auf dem Pferd zu sitzen und den Rücken gerade zu halten. In seiner Angst herunterzufallen, hatte er diese Empfehlung aber nicht befolgen können.

      Der abendliche Empfang in Pressburg war dagegen durchaus spannend und aufregend gewesen. Noch nie hatte er so viele Adelige auf einmal gesehen. Zu Beginn schien die Stimmung etwas gereizt zu sein, und Anton hatte den Eindruck gewonnen, dass nicht alle der Anwesenden froh über Ferdinands Krönung waren. Insbesondere die Vertreter der protestantischen Stände hatten ihm immer wieder unverhohlene Blicke zugeworfen und in ihren Gesprächen abwertend mit den Fingern auf den König gedeutet. Aus Mangel an einem Gesprächspartner hatte Anton die Zeit während des Banketts genutzt und die Menschen um sich herum genau beobachtet.

      Auch wenn der Empfang zu Ferdinands Ehren gegeben worden war, hatte der sich gemeinsam mit dem Erzherzog von Bayern früh zurückgezogen. Danach war der Wein in Strömen geflossen. Auf sein nächtliches Abenteuer mit dem wilden Weibsstück hätte Anton allerdings liebend gerne verzichtet, zumal er sich nicht einmal mehr daran erinnern konnte, wie er mit der Rothaarigen in sein Zimmer gekommen war …

      Inzwischen war die Kathedrale bis auf den letzten Platz gefüllt. Der Martinsdom war mit bunten Fahnen geschmückt, welche die Wappen der Habsburger, des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation und des ungarischen Reichs zeigten. Der kostbare Marmorboden glänzte im farbigen Licht, das durch die aufwändig bemalten Fenster des Domes fiel und das Kirchenschiff erhellte. Anton vermutete, dass der Bischof seine Novizen die ganze Nacht den Innenraum der Kathedrale hatte schrubben lassen. Alles war für die Krönung des neuen Regenten des ungarischen Reiches bereit. Lediglich die Soldaten, die verhindern sollten, dass sich einer der Gäste dem Altar näherte, störten den festlichen Eindruck in der Kathedrale.

      Es kam Anton vor, als würde die Luft mit jeder Person, die den Dom betrat wärmer und schlechter. Anton spürte wie sein Hals immer trockener wurde. Er sehnte sich nach einem Krug Wasser, wusste aber, dass er noch mehrere Stunden ohne etwas zu trinken auskommen musste.

      Anton wendete seine Aufmerksamkeit den Besuchern im Martinsdom zu. In den Gesichtern der Menschen sah er, dass viele eher aus Zwang anwesend waren als aus echtem Interesse. Der ungarische Adel wirkte gelangweilt und teilweise sogar abweisend.

      Das einfachere Volk zeigte sich dagegen von der Pracht beeindruckt. Reglos standen die Menschen auf ihren Plätzen und warteten ehrfürchtig auf den Beginn der Zeremonie. Anton konnte im Sinne des angehenden Königs nur hoffen, dass Ferdinand im ungarischen Reich nicht ähnliche Probleme bekommen würde wie in Böhmen. Er befürchtete aber, dass dies recht schnell der Fall sein würde, schließlich war auch ein Großteil der ungarischen Stände protestantisch. Nicht auszudenken, wenn sich die Ungarn mit den Böhmen verbündeten! Das wäre das Ende jeglicher Friedensbewegungen und würde einen vermutlich langen Krieg bedeuten.

      Endlich wurde Ferdinand von den geistlichen Würdenträgern hereingeführt. Im Dom wurde es schlagartig still. Trotz der großen Wärme im Saal spürte Anton, wie ihm ein eisiger Schauer über den Rücken lief. Er trug schwarze Reiterstiefel und eine weiße Uniformjacke. Die rote Hose erinnerte den Schreiber an seine Bettgefährtin in der vergangenen Nacht. Sofort, als er an das sündige Weib dachte, kehrte sein schlechtes Gewissen zurück.

      Hinter dem Bischof gingen zwei Kirchendiener, die violette Schleifen über ihren schwarzen Gewändern trugen. Die beiden hielten je ein rotes Samtkissen mit der goldenen Stephanskrone und dem königlichen Zepter und brachten diese zum Altar. Beiden war anzumerken, dass der kostbare Schatz ein immenses Gewicht haben musste.

      Als Letzter trat Kardinal Klesl zum Altar und warf Erzherzog Maximilian, der in der vordersten Besucherreihe saß, einen finsteren Blick zu. Genau wie der Bischof aus Pressburg trug er ein samtenes Gewand, auf dessen weißen Untergrund mit goldenen Fäden heilige Motive gestickt waren.

      Anton hörte den Worten des Bischoffs kaum zu, als dieser die Zeremonie eröffnete und beobachtete stattdessen die Reaktionen des ungarischen Adels. Die Blicke der Menschen waren zu einem großen Anteil angewidert oder verachtend.

      Als der Bischof nach seiner Ansprache und der Vereidigung Ferdinands die Krone auf das Haupt des Königs setzte, gab es verhaltenen Beifall. Ferdinand ließ sich von den abweisenden Reaktionen des Publikums nicht beeindrucken. Er stand vor dem Altar und blickte stolz in die Runde. Die halbrunde Krone schien wie für seinen Kopf gemacht zu sein. Auf ihrer Oberseite war ein goldenes Kreuz angebracht. Der König nahm das Zepter in die Hand und schritt erhaben durch den breiten Flur zum Ausgang des Martinsdoms. Anton schaute seinem König begeistert dabei zu, wie er die Kathedrale verließ. Am Ende der Zeremonie schienen es dann alle besonders eilig zu haben, den Martinsdom zu verlassen. Anton selbst war einer der letzten, die aus der Kathedrale ins Freie traten. Die Hitze des Tages traf ihn wie ein Schlag, und er wischte sich den Schweiß von der Stirn. Innerhalb des Martinsdoms war es angenehm kühl gewesen. Hier draußen jedoch war die Luft schwül und warm. Anton, dessen Magen sich noch immer nicht von dem vielen Wein des Vorabends erholt hatte, beeilte sich, den Sonnenstrahlen zu entkommen und schritt eilig Richtung Burg. Dort ging er direkt zum Ballsaal, wo die Feierlichkeiten zu Ehren des Königs stattfinden sollten.

       ***

      Während der Feierlichkeit versuchte Anton, sich nicht anmerken zu lassen, dass er sich am liebsten sofort, nachdem die Speisen abgetragen worden waren, verabschiedet hätte. Er saß den ganzen Tag neben Kardinal Klesl, der nur schweigend mit dem Messer in seinem Essen herumstocherte und dem König finstere Blicke zuwarf. Ferdinand schien ebenfalls kein sonderlich großes Interesse an dem Fest zu haben und leerte gelangweilt einen Becher Wein nach dem anderen, während sich der Erzherzog von Bayern mit dem ungarischen Adel unterhielt.

      Anton war erleichtert, als er sah, dass seine Gefährtin von letzter Nacht an einem anderen Tisch servierte und er so nicht in die Verlegenheit kam, vor den anderen Gästen mit ihr reden zu müssen. Zwar warf sie ihm hin und wieder wissende Blicke zu, doch Anton tat so, als kenne er das Weib nicht. Genau genommen war das sogar die Wahrheit, immerhin wusste er noch immer nicht, wie ihr Name war.

      Als zu später Stunde eine Gruppe von Spielleuten auftrat, um die Anwesenden bei Laune zu halten, entschied


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