Der Winterkönig. Geschichten des Dreißigjährigen Krieges. Jörg Olbrich

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bete zu Gott, dass er bald erwacht und eine schnelle Genesung erfährt.«

      »Das hoffen wir alle«, sagte Diepold von Lobkowitz.

      In der Tat hatte es Slavata von allen drei Opfern am schlimmsten erwischt. Martinitz selbst würde zwar noch ein paar Tage unter den Schmerzen leiden, im Vergleich zu seinem Amtskollegen ging es ihm aber den Umständen entsprechend gut.

      »Was gedenkt Ihr nun zu unternehmen?«, fragte die Gräfin und sah Martinitz herausfordernd an. »Im Moment dürfte es zu gefährlich sein, Euch offen in den Straßen Prags blicken zu lassen.«

      »Das ist es in der Tat«, gab Martinitz zu. »Wir müssen auf Hilfe aus Wien hoffen. Ansonsten sind wir mit unseren wenigen treu ergebenen Soldaten den protestantischen Ständen hoffnungslos unterlegen. Bis dahin bitte ich Euch, mir und dem Grafen Slavata weiterhin Eure Gastfreundschaft zu gewähren.«

      »Die habt Ihr, solange es von Nöten ist«, antwortete Polyxena. »Graf von Thurn wird es nicht wagen, ohne meine Erlaubnis auch nur einen Fuß in mein Haus zu setzen. Hier seid Ihr sicher.«

      »Dafür bin ich Euch sehr dankbar. Darüber hinaus werden wir noch eine Möglichkeit finden müssen, zu erfahren, was die protestantischen Stände unternehmen und was in der Burg vor sich geht.«

      »Darum werde ich mich kümmern, Martinitz«, sagte Diepold von Lobkowitz. »Im Gegensatz zu Euch kann ich mich frei in der Stadt bewegen. Von Thurn kann unmöglich alle katholischen Adeligen aus dem Weg schaffen, und ich denke auch nicht, dass dies seine Absicht ist. Ferdinand ist der wahre Feind der Protestanten. Nach seiner Wahl zum König von Böhmen hat er klar gegen den evangelischen Glauben Stellung bezogen und den Majestätsbrief in Frage gestellt. Damit hat er die Stände gegen sich aufgebracht und die Rebellion provoziert.«

      »Sei trotzdem vorsichtig«, sagte Polyxena. »Niemand kann sagen, wie die Prager Bürger auf den gestrigen Tag reagieren werden. Wenn die Stimmung hochkocht, ist niemand mehr sicher.«

      »Mach dir um mich keine Gedanken. Unser Volk ist zu großen Teilen katholisch. Es werden längst nicht alle gutheißen, was in der Prager Burg geschehen ist.«

      Martinitz sah Diepold von Lobkowitz nach, als dieser den Raum verließ. Er wusste, dass sich der Mann nicht so leicht in Gefahr begeben würde. Eher redete er Graf von Thurn nach dem Mund, als dass er seinen eigenen Wohlstand riskierte. Martinitz selbst war zur Untätigkeit gezwungen. Für ihn war der einzige sichere Platz das Anwesen der Gräfin von Lobkowitz. Die Tatsache, dass die ihm vermutlich die meiste Zeit über Gesellschaft leisten würde, um etwas Abwechslung in ihr ansonsten tristes Leben zu bekommen, machte es für Martinitz wesentlich leichter, seine derzeitige Lage zu ertragen. Auch wenn die Gräfin die Fünfzig bereits überschritten hatte, sah man ihr dieses Alter keineswegs an. Außerdem war Polyxena klug und ließ sich nicht so leicht etwas vormachen.

       ***

      »Warum habt Ihr selbst nicht den Vorsitz übernommen?«, fragte Graf Wenzel Wilhelm von Ruppau, sah sein Gegenüber stirnrunzelnd an und wischte sich mit der Hand eine der wenigen schon lange ergrauten Haarsträhnen weg, die noch auf seinem Kopf wuchsen.

      »Ihr seid für diese Aufgabe besser geeignet als ich«, antwortete Graf Matthias von Thurn. »Wir haben heute die Macht in dieser Stadt übernommen. Wenn wir diese behalten wollen, werden wir nicht umhin kommen, uns gegen einen Angriff der kaiserlichen Armee zu rüsten. Der wird früher oder später kommen.«

      »Ihr wollt einen Krieg gegen das Kaiserreich führen?«

      »Nicht, wenn es sich vermeiden lässt. König Ferdinand wird die gestrigen Ereignisse nicht ohne weiteres hinnehmen und den Kaiser davon überzeugen, unsere Rebellion niederzuschlagen. Darauf müssen wir uns vorbereiten. Daher sehe ich es als meine Aufgabe an, eine Armee aufzustellen und deren Oberbefehl zu übernehmen.«

      »Ich sehe ein, dass dies notwendig ist«, sagte von Ruppau. »Dennoch erhoffe ich mir, zu einer friedlichen Lösung mit dem Kaiser zu gelangen.«

      »Solange Ferdinand König von Böhmen ist, wird dies nicht gelingen.«

      »Also wollt Ihr ihn absetzen?«

      »Zunächst müssen wir Zeit gewinnen. Noch steht ein Großteil des katholischen Adels auf unserer Seite. Wir müssen unsere Macht stärken. Matthias wird nicht mehr ewig leben. Sollte Ferdinand dann zum neuen Kaiser gewählt werden, wird es einen Krieg in Böhmen geben.«

      Die beiden Männer saßen allein im Sitzungssaal der Prager Burg, in dem tags zuvor noch die Statthalter ihre Arbeit verrichtet hatten, um die weiteren Schritte zu planen. Von Thurn war fest entschlossen, Ferdinand zuvorzukommen und wenn nötig, sogar mit einem Heer nach Wien zu ziehen. Mit ihrem Aufstand hatten sie eine Rebellion ausgelöst. Wenn sie jetzt kleinbeigaben, würde die Stellung der Protestanten in Böhmen noch schwächer werden, als sie es vorher gewesen war. Das durfte nicht geschehen.

      Von Thurn wollte von Ruppau allerdings jetzt nicht zu viel von seinen Plänen mitteilen. Wichtig war es zunächst, Ordnung in die Regierung der Stadt zu bekommen. Alles Weitere würde er dem Vorsitzenden des neuen Direktoriums später erklären. Er hielt von Ruppau für einen intelligenten Mann, der sich darauf verstehen würde, die Geschicke des Landes in die Hand zu nehmen. Von Thurn durfte nicht riskieren, dass er vor der Größe seiner Aufgabe kniff und sich doch noch auf die Seite von König Ferdinand schlug. Dann wäre alles umsonst gewesen.

      Im Sitzungssaal der Prager Burg hatten die Aufständischen in einer Versammlung ein Direktorium gewählt, in dem jeweils zehn Vertreter des Adels, der Ritter und der Bürger der Stadt ihren Platz fanden. Zum Vorsitzenden des Gremiums war Graf Wenzel Wilhelm von Ruppau gewählt worden. Damit waren die Statthalter des Königs abgesetzt.

      »Ich erwarte regelmäßig Berichte über den Fortgang bei der Erstellung des Heeres«, sagte von Ruppau nach einer Weile.

      »Selbstverständlich«, antwortete von Thurn. »Schließlich seid Ihr der Regent dieser Stadt.«

       ***

      »Was ist passiert?«, fragte Philipp Fabricius und schaute verwirrt in das Gesicht einer ihm unbekannten jungen Frau, die über ihn gebeugt stand. »Wo bin ich hier? Wer seid Ihr?«

      »Ihr stellt viele Fragen auf einmal«, antwortete die Unbekannte tadelnd. »Ich bin Magdalena Lava. Ihr seid hier in Sicherheit. Mehr braucht Ihr im Moment nicht zu wissen.«

      »Wie lange habe ich geschlafen?«

      »Einen ganzen Tag. Es ist fast Abend.«

      Philipp sah sich in dem Raum, in dem er untergebracht war, um. Neben dem Bett stand eine schlichte Holztruhe, ansonsten war das Zimmer leer, aber sehr sauber. Nur langsam kehrten seine Erinnerungen wieder zurück. Die schrecklichen Szenen, die sich in der Prager Burg abgespielt hatten, nahmen in seinem Geist Gestalt an. Plötzlich fiel ihm alles wieder ein. Der Anschlag auf die Statthalter und ihn selbst, seine Flucht aus der Stadt. Der Kutscher musste ihn in ein Gasthaus gebracht haben. Sicher hatte der Mann Angst gehabt, dass ihm sein Fahrgast unterwegs verstarb und hatte die Reise deshalb unterbrochen.

      »Ich muss so schnell wie möglich weiter«, sagte er mit müder Stimme. Erst jetzt merkte er, wie ausgetrocknet sein Mund war. Obwohl er in einem Bett lag und man ihn dick zugedeckt hatte, fror er entsetzlich. Egal wie schwer ihm aber der weitere Weg nach Wien fallen würde, er durfte nicht hierbleiben.

      »Ihr müsst zunächst wieder zu Kräften kommen«, entgegnete Magdalena mit entschlossener Stimme, die keinen Widerspruch duldete. »Ich werde Euch nicht aus diesem Zimmer herauslassen. Zumindest heute nicht.«

      »Ich habe eine wichtige Nachricht, die so schnell wie möglich in Wien ankommen muss. Wenn mein Auftrag erfüllt ist, kann ich mich immer noch ausruhen.«

      »Nein. Ihr werdet mindestens noch eine Nacht in diesem Bett bleiben. Tot werdet Ihr Eure Nachricht nicht übermitteln können.«

      Ein Blick in die Augen der jungen Frau reichte Philipp aus, um zu erkennen, wie ernst es ihr mit ihren Worten war. Ihm fiel auf, wie schön Magdalena war. Sie hatte lange braune Haare und ihre ebenfalls braunen Augen schienen unergründlich


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