Der Winterkönig. Geschichten des Dreißigjährigen Krieges. Jörg Olbrich
weiter an. Er spürte, dass er sich sehr leicht in das zarte Gesicht mit dem herzlichen Lächeln verlieben könnte, wusste aber auch, dass dafür nicht der richtige Zeitpunkt war. In Prag hatte er sich nie viel aus den jungen Frauen gemacht. Seine Karriere als Sekretär war immer das einzig Wichtige für ihn gewesen. Jetzt hatte er das Gefühl, einen Engel vor sich zu haben.
Er versuchte sich aufzusetzen, legte sich aber sofort wieder zurück auf das Kissen, als sein Körper an fast allen Stellen zu schmerzen begann.
»Seid Ihr immer noch der Meinung, dass Ihr heute weiterreisen wollt?«, fragte Magdalena und sah ihren Gast mitfühlend an.
»Es geht nicht darum, was ich will. Ich muss so schnell wie möglich nach Wien. Mein Name ist übrigens Philipp Fabricius.«
»Ich weiß. Das hat mir der Kutscher bereits gesagt.«
»Wo ist er?«
»Unten im Schankraum.«
»Könnt Ihr ihm sagen, dass er die Pferde einspannen soll?«
»Nein. Ihr werdet heute nicht mehr abreisen. Es wird bald dunkel und dann ist die Fahrt viel zu gefährlich. Wir leben in unsicheren Zeiten. Sicher wollt Ihr nicht mit irgendwelchen Wegelagerern darüber streiten, ob sie Euch weiterfahren lassen oder nicht. Schon gar nicht in Eurem Zustand. Ich werde Euch jetzt eine Suppe holen. Wenn Ihr nicht mehr im Bett liegt, wenn ich wiederkomme, binde ich Euch daran fest.«
Magdalena wartete Philipps Antwort nicht ab und verließ den Raum. Der Sekretär nutzte die Gelegenheit, seinen Körper näher zu untersuchen. Erst jetzt fiel ihm auf, dass er bis auf ein paar Verbände völlig unbekleidet war. Er konnte nur hoffen, dass es der Kutscher gewesen war, der ihn ausgezogen hatte und nicht Magdalena. Danach fragen würde Philipp allerdings nicht, seine Lage war peinlich genug.
Trotz seiner beginnenden Kopfschmerzen und der immer noch großen Müdigkeit zwang sich Philipp dazu, wach zu bleiben. Ihm war klar, dass er höchstens eine Tagesreise von Prag entfernt war. Er war also noch lange nicht außer Gefahr. Magdalena musste ihm mehr über sich erzählen. Er wollte nicht befürchten müssen, dass sie ihn nach einem falschen Wort an einen protestantischen Adeligen verriet.
Die junge Frau kehrte schneller zurück, als Philipp erwartet hatte. In der Hand hielt sie eine Schale mit einer dampfenden Flüssigkeit.
»Ich habe Euch eine Hühnerbrühe warm gemacht.«
»Ich habe keinen Hunger.«
»Ihr müsst etwas essen, wenn Ihr wieder zu Kräften kommen wollt.«
»Kann ich bitte zunächst einen Becher Wasser bekommen?«
»Natürlich.«
Philipp setzte sich leicht auf, und Magdalena legte das Kissen so zurecht, dass er sich mit dem Kopf darauf abstützen konnte. Dann hielt sie ihm einen Becher mit Wasser an die Lippen.
»Danke«, sagte Philipp, nachdem er ein paar kleine Schlucke getrunken hatte. »Erzählt mir, wo ich hier bin.«
»Wir sind im Gasthaus meiner Eltern. Es liegt etwas abseits der Handelsroute, wird aber häufig von Reisenden besucht. Im Moment seid Ihr und Euer Kutscher die einzigen Gäste.«
»Warum seid Ihr noch hier?«
»Wie meint Ihr das?«
»Eine so hübsche Frau hat doch sicher zahlreiche Verehrer. Warum seid Ihr bei Euren Eltern geblieben?«
»Weil sie mich brauchen. Außerdem war bisher kein Mann hier, der es wert gewesen wäre, mit ihm fortzugehen. Ich bin katholisch erzogen und werde nicht mit dem erstbesten Kerl mitgehen, der mich umwirbt. Und jetzt wird gegessen.«
Philipp musste innerlich lächeln, als er sah, dass Magdalena leicht errötet war. Dabei hatte er sie mit seinen Fragen nicht kokettieren wollen. Er wusste jetzt aber, dass sie den richtigen Glauben hatte und ihn sicher nicht an die Protestanten verraten würde. Die Wirtstochter nahm einen Löffel mit Suppe und hielt ihn an seinen Mund. Die Brühe war warm, aber nicht zu heiß. Philipp spürte schnell, wie gut es ihm tat, etwas davon zu essen. Als die Schale zur Hälfte leer war, konnte er nicht mehr.
»Ihr müsst jetzt schlafen«, erklärte Magdalena bestimmt. »Ich werde zwischendurch immer wieder nach Euch schauen. Wenn das Fieber morgen verschwunden ist, könnt Ihr Eure Reise fortsetzen.«
***
»Den Kerl muss uns die Heilige Jungfrau Maria persönlich geschickt haben«, sagte Jakub Lava und rieb sich die schwieligen Hände.
»Wie kommst du darauf?«
»Er wird uns unsere Sorgen nehmen, mein Kind.«
Magdalena saß mit ihren Eltern in der Küche beim Essen. Es gab einen Gemüseeintopf mit einem Rest Hühnerfleisch vom Vortag. Die Einrichtung war karg. Die Familie hatte gerade das Nötigste, um sich mit ihrem Gasthof am Leben zu halten. Magdalenas Eltern standen die Sorgen ins Gesicht geschrieben. Die langen arbeitsreichen Jahre hatten sie gezeichnet. Johannas Haare waren ergraut, Jakub hatte schon lange keine mehr. In den letzten Wochen waren nur wenige Besucher gekommen. Überall im Reich war zu spüren, dass sich die Lage zwischen den Protestanten und dem böhmischen König zuspitzte. Die Familie wusste nicht genau, was am gestrigen Tag in Prag vorgefallen war. Der Kutscher, der am späten Abend mit seinem kranken Fahrgast bei ihnen angekommen war, hatte von einer Rebellion in der Stadt gesprochen.
»Die Zeiten sind schwer«, sprach Jakub weiter. Er stand auf, ging zu seiner Tochter und legte ihr die Hände auf die Schulter. »Die Leute sprechen von einem möglichen Krieg. Wir haben keine Ersparnisse mehr und werden das Gasthaus nicht behalten können, wenn niemand mehr zu uns kommt und für Essen und Unterkunft bezahlt. Unser Gast scheint eine wichtige Person zu sein. Sicher hat er genug Geld, um uns für unsere Mühen großzügig zu entlohnen.«
»Er sagt, dass er so schnell wie möglich nach Wien reisen muss«, sagte Magdalena. »Wir können ihn nicht lange gegen seinen Willen in unserem Haus festhalten.«
»Das habe ich auch nicht gesagt. Wenn er wirklich eine wichtige Botschaft für den Kaiser hat, dürfen wir seine Mission nicht in Gefahr bringen. Im Gegenteil: Wir müssen ihm helfen! Je schneller die Rebellion der Protestanten niedergeschlagen wird, umso eher kehrt der Friede in unser Reich zurück. Und damit auch die Besucher in unser Gasthaus.«
Magdalena sah ihren Vater nachdenklich an. Normalerweise sprach er nicht viel. Selten hatte sie ihn so lange reden hören. Dennoch verstand sie nicht, was genau sie tun sollten. Sie schaute zu ihrer Mutter, die ihrem Blick jedoch auswich. In diesem Moment wusste sie, dass ihre Eltern bereits eine Entscheidung getroffen hatten.
»Was soll ich tun?«
»Du fährst mit diesem Fabricius nach Wien und sorgst dafür, dass er unterwegs nicht stirbt.«
»Ihr schickt mich weg?« Magdalena sah ihren Vater entsetzt an. Warum wollte er, dass sie das Gasthaus verließ?
»Nein, mein Kind. Du sollst ja nicht in Wien bleiben. Der Sekretär aus Prag wird dich aber großzügig für diesen Dienst entlohnen. Vielleicht schaffen wir es mit dem Geld, unser Gasthaus zu behalten.«
»Was, wenn Fabricius nicht will, dass ich ihn begleite?«
»Es wird dir schon etwas einfallen, wie du ihn überzeugen kannst. Die Entscheidung ist gefallen. Ihr werdet morgen aufbrechen.«
***
Als Philipp am nächsten Morgen erwachte, fühlte er sich zwar deutlich besser, merkte aber, dass er immer noch Fieber hatte. Die Prellungen, die er sich bei dem Sturz aus dem Fenster zugezogen hatte, schmerzten nach wie vor bei jeder Bewegung. Am meisten machte ihm sein linker Ellenbogen zu schaffen. Noch immer konnte er den Arm kaum bewegen. Als er sich aufsetzte, spürte er leichten Schwindel, kämpfte aber dagegen an. Er musste seine Reise heute fortsetzen. Egal wie schwer ihm das auch fallen mochte.
Durch das Fenster fielen die ersten Sonnenstrahlen, und Philipp konnte sich in dem Zimmer umsehen. Er erschrak, als sein Blick plötzlich auf Magdalena fiel, die neben seinem