Der Winterkönig. Geschichten des Dreißigjährigen Krieges. Jörg Olbrich

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und öffnete die Augen.

      »Geht es Euch besser?«

      »Ein bisschen.« Philipp stellte die Beine auf den Boden und wollte aufstehen, als ihm einfiel, dass er unbekleidet war. Verlegen sah er Magdalena an. »Wo sind meine Sachen?«

      »Sie waren völlig verdreckt. Meine Mutter hat sie gewaschen und die Löcher gestopft. Ich kann sie Euch holen.« Magdalena machte keine Anstalten aufzustehen und sah Philipp stattdessen skeptisch an. »Wollt Ihr heute wirklich aufbrechen? In Eurem Zustand werdet Ihr Wien nicht lebend erreichen.«

      »Ich habe Euch doch gesagt, dass ich dringend dorthin muss. Ich habe eine sehr wichtige Nachricht für den Kaiser. In Prag gab es einen Aufstand und er muss so schnell wie möglich davon erfahren. Ich kann nicht länger bleiben.«

      »Werdet Ihr später nach Prag zurückkehren?«

      »Ich habe es vor.«

      »Wie lange wird das dauern?«

      »Ich weiß es nicht genau. Eine Woche vielleicht. Höchstens zehn Tage.«

      »Dann werde ich Euch begleiten.«

      »Ihr werdet was?« Philipp sah Magdalena überrascht an. Er hatte damit gerechnet, von ihr weitere Vorträge zu hören, dass er so krank nicht weiterreisen konnte, nicht aber mit diesem Vorschlag.

      »Ihr müsst heute weiter. Das verstehe ich. Allein werdet Ihr Euer Ziel aber nicht erreichen.«

      »Der Kutscher ist bei mir.«

      »Er wird sich nicht um Euch kümmern können. Ihr habt die Wahl. Entweder bleibt Ihr hier, oder ich komme mit.«

      »Das wollt Ihr wirklich tun?« Noch immer war Philipp von Magdalenas Vorschlag völlig überrascht. Auch wunderte er sich darüber, wie selbstsicher die junge Frau ihm gegenüber auftrat. Offensichtlich wusste sie genau, was sie wollte.

      »Ja. Natürlich mache ich das nicht umsonst. Pro Tag, an dem wir unterwegs sind, zahlt Ihr meinem Vater einen Taler. Die ersten sieben bekommt er im Voraus.«

      Ach daher weht der Wind, dachte Philipp und lächelte Magdalena an. »Wie kommt Ihr darauf, dass ich so viel Geld habe?«

      »An Eurer Kleidung kann man erkennen, dass Ihr nicht arm seid. Auch wenn die Sachen in einem erbärmlichen Zustand sind, müssen sie einmal teuer gewesen sein. Wenn Ihr so ohne Weiteres beim Kaiser vorgelassen werdet, bekleidet Ihr sicher ein hohes Amt.«

      Dumm ist sie nicht. Philipp musste zugeben, dass ihm der Gedanke, die weitere Reise gemeinsam mit Magdalena anzutreten, durchaus gefiel. »Was wird Euer Vater dazu sagen?«

      »Er ist einverstanden. Wir brauchen das Geld.«

      »Ihr habt also bereits mit ihm gesprochen.«

      »Ja. Ich wusste, dass ich Euch nicht würde überzeugen können, noch eine weitere Nacht hierzubleiben.«

      Wieder musste Philipp anerkennen, dass Magdalena sehr genau wusste, was sie wollte. Natürlich ging es ihrer Familie zunächst um die Bezahlung. Er konnte sich gut vorstellen, wie schwer es sein musste, mit den Einnahmen aus dem Wirtshaus zu leben. Es kamen sicher weniger Gäste hierher, als Magdalena zugegeben hatte. Den geforderten Preis konnte er bezahlen. Später würde er das Geld von Slavata oder Martinitz zurückverlangen.

      »Könnt Ihr mir dann jetzt bitte meine Sachen holen?«

      Magdalena musste lachen. Sofort verliebte sich Philipp in den Klang. Er würde alles daran setzen, die junge Frau während der nächsten Tage für sich zu gewinnen. Der Weg nach Wien war weit, und er war fest entschlossen, die Zeit zu nutzen.

      Eine Stunde später saßen Philipp und Magdalena in der Küche. Die Wirtsleute hatten dem Sekretär noch ein reichhaltiges Frühstück aufgetischt, von dem er allerdings nicht viel essen konnte. Jakub Lava hatte sich von dem Sekretär die sieben Taler auszahlen lassen und ihn eindringlich gewarnt, gut auf seine Tochter aufzupassen. Philipp hatte dem Mann versichert, dass seiner Tochter nichts geschehen würde. Von Johanna Lava bekamen sie noch ein gut gefülltes Paket mit Reiseproviant. Dann stand der Abfahrt nichts mehr im Wege.

       Wien, 27. Mai 1618

      »Ich fühle mich geehrt, meine Arbeit als kaiserlicher Schreiber antreten zu dürfen«, sagte Anton Serger, als er von Wilhelm Zeidler im Kaiserhof empfangen wurde. Den ganzen Morgen über hatte er sich überlegt, wie er seinen neuen Meister begrüßen sollte und an diesem Satz gefeilt. Jetzt war er so nervös, dass er fast seinen eigenen Namen vergessen hätte.

      »Das solltest du auch. Wir haben dich auserwählt, weil du die Universität als Bester deines Jahrganges abgeschlossen hast.«

      »Ich habe hart dafür gearbeitet.«

      »Natürlich hast du das. Nun beginnt die Zeit, in der du dich zu bewähren hast. Es gibt nicht Wenige, die für diese Anstellung im Kaiserhof töten würden. Vergiss die Zeit auf der Universität. Hier musst du beweisen, dass du dieser Aufgabe würdig bist.«

      Anton schaute den alten Professor skeptisch an. Er hatte einen freundlicheren Empfang erwartet und nicht damit gerechnet, dass Zeidler seine Leistungen gleich in den ersten Minuten derartig in Frage stellen würde. Er hatte aber auch gehörigen Respekt vor diesem Mann, der eine hohe Stellung bekleidete und das Vertrauen des Kaisers genoss.

      »Ich bin mir der Herausforderungen, die man hier an mich stellt, durchaus bewusst«, sagte er leicht säuerlich.

      »Das bist du nicht. Vermutlich denkst du, dass dir nun die ganze Welt offen steht. Das ist aber nicht der Fall. Als Erstes wirst du lernen müssen, demütig zu sein. Ich fürchte, dass das die schwierigste Aufgabe für dich werden wird.«

      Das fängt ja gut an, dachte Anton. Als Sohn einer Kaufmannsfamilie aus Wien war es ihm dank der Unterstützung seiner Eltern in den vergangenen Jahren möglich gewesen, sich voll auf sein Studium zu konzentrieren. Er hatte alles daran gesetzt, als Schreiber eine gute Anstellung zu finden und sein Glück kaum fassen können, als man ihn tatsächlich an den Kaiserhof rief. Jetzt war er noch nicht einmal im Gebäude und bekam schon erste Zweifel, ob sich hier wirklich ein Traum für ihn erfüllte. Er atmete tief durch und strich sich die langen dunkelblonden Haare aus dem Gesicht.

      »Ich werde meine Aufgabe zu Eurer vollen Zufriedenheit ausführen.«

      »Das werden wir sehen. Folge mir.«

      Endlich führte Zeidler seinen neuen Helfer in den Palast. Anton wusste, dass der Alte für ihn die wichtigste Person war. Der Professor ging leicht gebeugt und musste sich auf einem Stock abstützen. Seine wenigen grauen Haare hingen in einzelnen Strähnen von seinem Kopf und sahen aus, als würden sie jeden Moment abfallen. Seine Haut war faltig und von dunklen Flecken übersät. Zeidler war alt. Sehr alt. Ewig würde er nicht mehr als erster Chronist am Kaiserhof tätig sein können. Diese Aufgabe wollte Anton von seinem neuen Meister übernehmen. Bis dahin konnte allerdings noch einige Zeit vergehen und er nahm sich vor, noch so viel wie möglich von dem Alten zu lernen.

      »Dein Zimmer werden dir die Bediensteten später zeigen. Zunächst gehen wir in die Bibliothek. Dort wirst du in den nächsten Wochen den Großteil deiner Zeit verbringen. Ich hoffe, du bist das Vertrauen wert, welches man in dich setzt.«

      Anton war es mehr als recht, dass er zunächst seinen Arbeitsplatz sehen sollte. Er war gespannt auf die Menge von Schriften und Büchern, die in der Bibliothek des Kaisers auf ihn wartete. Nach allem, was man sich auf der Universität erzählte, musste sie gewaltig sein.

      Was er wenige Minuten später sah, übertraf seine Erwartungen bei Weitem. Der Raum, in den ihn Zeidler führte, erschien ihm riesig. Er war voller Regale, die bis an die Decke reichten und bis auf den letzten Platz gefüllt waren. Der Raum war so hoch, dass Anton die obersten Böden nicht einmal erreichen würde, wenn er seine doppelte Größe hätte. Mehrere Leitern ermöglichten es, an die Bücher und Schriftrollen, die dort lagen, zu gelangen.

      »Ich bin beeindruckt«, sagte Anton staunend und ließ sich von Zeidler in einen Nebenraum führen, in dem es drei Schreibtische gab, die voller Bücher


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