Der Winterkönig. Geschichten des Dreißigjährigen Krieges. Jörg Olbrich
sie küssten sich innig. Mit dem vierjährigen Heinrich Friedrich und dem im Vorjahr geborenen Karl Ludwig, hatte die Ehe der beiden bereits zwei Söhne hervorgebracht. Der pfälzische Kurfürst war überglücklich, dass er jetzt bereits zum dritten Mal Vater werden sollte. Genau wie Elizabeth würde er im kommenden Jahr fünfundzwanzig werden. Sie konnten noch viele gemeinsame Kinder bekommen.
»Lass uns noch ein Stück gehen«, bat Elizabeth ihren Gatten und löste sich aus seiner Umarmung. Sie hakte sich bei ihm unter, und sie schritten langsam über den mit weißem Kies überzogenen Weg, der sie zwischen der blühenden Blumenpracht hindurchführte. Zu Ehren seiner Gemahlin hatte Friedrich neben dem Schloss den prächtigsten Garten angelegt, den man im ganzen Reich finden konnte. Auch wenn die Arbeiten des Baumeisters Salomon de Caus, den Friedrich eigens wegen dieser Anlage nach Heidelberg geholt hatte, noch nicht fertig waren, war der Garten bereits jetzt doppelt so groß wie die Fläche des gesamten Schlosses. Auf den vier Terrassen waren Statuen, Pflanzen, Blumen und Bäume in den unterschiedlichsten Farben und Größen perfekt aufeinander abgestimmt.
Die zahlreichen Gäste des Kurfürsten bewunderten die Anlage und lobten Friedrich ob seines Geschmacks. Um Elizabeth einen Ort zu bieten, an dem sie immer allein sein konnte, hatte Friedrich ihr an der Westseite des Schlosses noch einen kleineren Garten angelegt. Als einziger Eingang diente ein prächtiges Tor, welches der Kurfürst in nur einer einzigen Nacht hatte bauen lassen, um seine Gemahlin zu ihrem 19. Geburtstag zu überraschen.
Friedrich und Elizabeth genossen die gemeinsame Zeit in ihrem Garten, durch den sie fast täglich einen Spaziergang unternahmen. Gerade in der jetzigen Jahreszeit, wo alles in blühender Pracht stand, konnte die Kurfürstin nicht genug davon bekommen. Es war jetzt fünf Jahre her, dass Elizabeth nach ihrer Hochzeit von London nach Heidelberg gekommen war. In der Zwischenzeit hatte Friedrich alles unternommen, um das Schloss nach ihren Wünschen umbauen zu lassen.
Als Tochter vom englischen König Jakob I und Anna von Dänemark war Elizabeth einen hohen Lebensstandard gewohnt. Diesen wollte Friedrich seiner Gemahlin auch in der neuen Heimat bieten. Zunächst war der Londoner Adel gegen die Heirat gewesen, weil sie der Meinung waren, dass ein Kurfürst kein standesgemäßer Ehemann für eine Königstochter war. Als sie den jungen Mann aber kennengelernt hatten und ihnen die Strukturen des deutschen Adels erläutert wurden, hatten sie ihre Meinung geändert.
Plötzlich wurde die Zweisamkeit der beiden unterbrochen. Ein Bediensteter kam eiligen Schrittes zu ihnen und verbeugte sich kurz vor seinem Kurfürstenpaar, das gerade im Schatten zwischen den Apfel- und Kirschbäumen entlangschritt. »Der Fürst von Anhalt ist soeben angekommen und wünscht Euch zu sprechen.«
»Was ist passiert?«, fragte Elizabeth auf Englisch.
Obwohl sie schon so lange in Heidelberg war, weigerte sie sich strikt die deutsche Sprache zu lernen und zu sprechen. Friedrich vermutete zwar, dass sie mittlerweile vieles von dem verstand, was gesprochen wurde, ließ ihr aber ihren Willen. Er selbst beherrschte die Muttersprache seiner Gemahlin fließend. Es war ihm ganz recht, dass die Bediensteten nicht viel von den Gesprächen zwischen ihm und Elisabeth verstanden.
»Ich muss mich mit dem Rat treffen«, antwortete Friedrich, der den Rest des Tages lieber mit seiner Gemahlin verbracht hätte. »Soll ich dich noch in deine Gemächer begleiten?«
»Das ist nicht nötig. Ich werde noch ein wenig die Luft hier draußen genießen. Es ist so ein herrlicher Tag. Ich verbringe ohnehin viel zu viel Zeit im Schloss.«
***
»Es gab einen Aufstand in Böhmen«, begrüßte Fürst Christian von Anhalt, der von Amberg aus die Geschicke der Oberpfalz leitete, seinen Herrn, als dieser die Sitzung des Rates erreichte.
»Was ist passiert?«
»Im Prager Schloss ist es zu dem Aufstand gekommen. Die protestantischen Stände haben gegen die katholischen Statthalter rebelliert und drei der Herren aus dem Fenster geworfen. Danach bildeten sie ein eigenes Direktorium, welches die Macht in Böhmen übernommen hat.«
Friedrich sah seinen Berater überrascht an. »Ich wusste, dass es in Böhmen brodelt, hätte aber nie gedacht, dass von Thurn und seine Getreuen so weit gehen würden.«
»Letztlich blieb ihnen nichts anderes übrig, als sich gegen die Unterdrückung zu wehren.«
»Das könnte zu einem Krieg führen«, erklärte Friedrich. »König Ferdinand wird sich das nicht gefallen lassen.«
»Solange der Kaiser versucht, die Herren in Prag zu beruhigen, kann Ferdinand nichts unternehmen«, entgegnete von Anhalt.
»Wie sollen wir uns verhalten?«, wandte sich Friedrich an seine Berater. Die Nachricht aus Prag war für den Kurfürsten ein Schock. Nachdem die protestantische Union nach einem Streit mit dem Speyerer Bischof die Festungswerke in Udenheim zerstört hatte, konnte die Rebellion das Verhältnis mit der katholischen Liga ernsthaft gefährden. Friedrich vermutete, dass Christian von Anhalt fordern würde, man müsse die Protestanten in Böhmen unterstützen. Wenn er sein eigenes Kurfürstentum nicht in einen Krieg führen wollte, durfte er sich aber nicht offen auf die Seite der Rebellion schlagen, auch wenn er die Schuld für den Konflikt bei den Jesuiten und der spanischen Partei am Wiener Hof sah.
»Wir sollten versuchen, zwischen dem Kaiser und Prag zu vermitteln«, sagte einer der Berater.
»Die Kurpfalz muss sich offen zur protestantischen Union bekennen«, entgegnete von Anhalt energisch. »Damit haben wir die Möglichkeit, gegen die Unterdrückung durch die katholische Liga vorzugehen.«
»Mit dem Majestätsbrief hat sich der Kaiser verpflichtet, die Religionsfreiheit in seinem Reich zu schützen«, entgegnete der Berater.
»Hält er sich aber daran?«, gab ein Zweiter zu bedenken.
»Wenn nicht, ist es die Aufgabe der Kurpfalz, ihn an sein Versprechen zu erinnern und ihn zur Einhaltung des Majestätsbriefes zu ermahnen.«
»Genau dies werden wir tun«, erklärte Friedrich entschlossen und wandte sich an von Anhalt. »Ich weiß, dass Ihr gegenteiliger Auffassung seid. Solange sich ein Krieg aber verhindern lässt, werde ich alles in meiner Macht Stehende tun, um zu einer friedlichen Lösung des Konfliktes beizutragen. Ich muss auch an die Menschen in der Kurpfalz denken.« Und an meine eigene Familie, fügte Friedrich in Gedanken hinzu.
Wien, 04. Juni 1618
Als Philipp am Morgen erwachte, fühlte er sich zum ersten Mal seit den schrecklichen Ereignissen in Prag ausgeschlafen. Er sah zum Fenster und stellte fest, dass der Tag bereits weit vorangeschritten sein musste. Die Sonne stand hoch am Himmel und schickte ihre Strahlen ins Zimmer des Sekretärs.
Nachdem er seinen Bericht vor dem Kaiser und seinem Beraterstab abgeben hatte, war Philipp am Ende seiner Kräfte gewesen. Die ersten beiden Tage schlief er fast durchgehend und stand nur auf, um die Mahlzeiten zu sich zu nehmen, die ihm von einer Küchenmagd gebracht wurden. Von ihr erfuhr er auch, dass Magdalena bei den Bediensteten untergebracht worden war und es ihr gut ging. Seine Bitte, man möge die junge Frau zu ihm bringen, wurde allerdings nicht erfüllt. Der Hofarzt, der ihn zweimal am Tag besuchte, riet ihm eindringlich, dass er sich ausruhen müsse, damit er wieder zu Kräften kam.
Philipp setzte sich im Bett auf. Sein Fieber war verschwunden und auch die Blessuren des Sturzes waren so weit verheilt, dass sie ihn kaum mehr störten. Lediglich der Ellenbogen schmerzte noch, wenn er seinen Arm gerade ausstreckte. Er beschloss, sein Zimmer an diesem Tag zu verlassen. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis ihn der Kaiser zurück nach Prag schickte. Bis dahin wollte er noch ein bisschen Zeit mit Magdalena verbringen und mit ihr die Stadt erkunden.
Von diesem Entschluss beseelt, stand Philipp auf und trat ans Fenster. Im Hof vor dem Schloss konnte er ein paar Landsknechte beobachten, die im Gleichschritt vorbeigingen. Er vermutete, dass der Kaiser seine Armee verstärken wollte, um gerüstet zu sein, falls sich der Böhmische Aufstand ausweitete. Matthias schien von der Nachricht aus Prag zwar nicht besonders beeindruckt gewesen zu sein, dennoch durfte er die Vorkommnisse nicht zu sehr auf die leichte Schulter nehmen. Auch würde Ferdinand alles daransetzen,