Götter und Göttinnen. Manfred Ehmer

Götter und Göttinnen - Manfred Ehmer


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den wir besitzen, der Enuma Elisch, niedergelegt auf sieben Keilschrift-Tontafeln mit je etwa 150 Versen, stammt bereits aus einer Spätzeit, zwischen dem 19. und dem 17. Jh. v. Chr.; er reflektiert den Sieg des Patriarchats über das Matriarchat und zeigt das Bestreben, den babylonischen Stadtgott Marduk als den höchsten Herrn des Universums auszuweisen. Als die beiden Urmächte des Chaos werden die Große Göttin Tiamat, die Herrin des Meers, und der Gott des Süßwassers Apsu genannt; aus diesen entstehen spätere Generationen von Göttern, bis hin zu Marduk als dem Letzten und Jüngsten, der die kosmische Urmutter Tiamat tötet und aus ihrem Leib die Welt formt, aus der oberen Hälfte der Himmel und aus der unteren die Erde; auch die Sternbilder werden an den Himmel gesetzt und das Zeitmaß ihres Laufes festgesetzt. Als das Dokument einer „patriarchalischen Kulturrevolution“ im 2. Jahrtausend v. Chr. soll dieser Schöpfungs-Urmythos hier einmal, wenn auch leicht gekürzt, in vollem Wortlaut zitiert werden17:

      Als droben die Himmel nicht genannt waren,

      als unten die Erde keinen Namen hatte,

      als selbst Apsu, der Unanfängliche,

      der Erzeuger der Götter,

      und Mummu Tiamat, die sie alle gebar,

      ihre Wasser in eins vermischten,

      als das abgestorbene Schilf

      sich noch nicht angehäuft hatte,

      Rohrdickicht nicht zu sehen war,

      als noch kein Gott erschienen,

      mit Namen nicht bekannt,

      Geschick ihm nicht bestimmt war,

      da wurden die Götter aus dem Schoß

      von Apsu und Tiamat geboren ….

      Aber das Urgötterpaar Apsu und Tiamat fühlt sich schon bald durch das lärmende Treiben der jungen Götterkinder belästigt; deshalb beschließen sie, die störende Nachkommenschaft kurzerhand zu beseitigen:

      Es kamen zusammen die Brüder, die Götter,

      zu stören Tiamat durch ungeordnetes Treiben.

      Sie verwirrten tatsächlich Tiamats Gemüt,

      da sie tanzend umhersprangen,

      sie dämpften ihr Geschrei auch nicht vor Apsu.

      Tiamat schwieg angesichts ihres Aufruhrs,

      doch ihr Treiben war Apsu zuwider,

      ihr Wandel missfiel ihm,

      denn sie waren groß geworden ….

      Sie berieten die Sache wegen der Götter,

      Ihrer Erstgeborenen.

      Apsu tat seinen Mund auf,

      mit lauter Stimme sprach er zu Tiamat:

      'Unerträglich ist mir ihr Verhalten.

      Tagsüber kann ich nicht ruhen,

      nachts kann ich nicht schlafen.

      Ich will sie vernichten,

      um ihrem Treiben ein Ende zu machen.

      Stille soll herrschen, damit wir ruhen können.'

      Man sieht hier die kosmische Dimension des Mythos, dass sich die alten Mächte des Chaos und der Urschöpfung durch das neu aufsprießende Leben bedroht fühlen. In einem ersten Kampf besiegt Ea den zunächst betäubten Apsu und wird dadurch zum Gott des Wassers. Mit der Kraft des Siegers zeugt er Marduk, den neuen kommenden Gott; Tiamat aber bereitet sich zum Kampf vor, der nun unvermeidlich ausbrechen muss. Zahllose Ungeheuer brachte nun Tiamat, die selbst als ein großer Seedrache dargestellt wird, selbstschöpferisch hervor, Schlangen, Drachen, Löwen, Skorpionmenschen und Sturmdämonen, um sie gegen die jungen Götter ins Feld zu schicken. Den nun folgenden Endkampf mit Marduk schildert das Epos in ausführlicher Dramatik:

      Marduk, der Herr, erhob den Zyklon,

      seine gewaltige Waffe,

      und der Tiamat, die Versöhnung heuchelte,

      rief er zu: 'Warum sprichst du freundliche Worte,

      da du dich zum Angriff gerüstet?

      Die Söhne haben sich getrennt,

      ohne Achtung vor ihren Erzeugern,

      denn du, die sie geboren,

      hast jedem mütterlichem Sinn entsagt ….

      Wider die Götter, meine Väter,

      hast du deine Bosheit gerichtet.

      Deine Truppe mag sich ausrüsten

      oder dir die Waffen anlegen!

      Begegnen wir uns lieber im Zweikampf!'

      Als Tiamat dies hörte,

      geriet sie außer sich, verlor den Verstand.

      Sie stieß ein lautes Gebrüll aus,

      rief eine Beschwörung und einen Zauberspruch.

      Dann stießen zusammen Tiamat und Marduk,

      der weiseste der Götter,

      stürzten sich aufeinander,

      und begegneten sich im Kampf.

      Marduk breitete sein Netz aus,

      fing darin Tiamat, ließ vor ihr los den Sturm,

      den er vom Himmelsgott erhalten hatte,

      als Tiamat ihn verschlingen wollte,

      warf er den Sturm in ihren Schlund,

      damit sie die Lippen nicht schließen konnte.

      Die grimmigen Winde füllten ihren Leib.

      Ihr Leib blähte sich auf, ihr Mund blieb offen.

      Er schoss einen Pfeil ab, zerriss ihr den Bauch,

      Ihr Inneres zerfetzte er

      und durchbohrte ihr Herz.

      Als er sie bezwungen hatte,

      setzte er ihrem Leben ein Ende…..

      Weitere Verse schildern, wie Marduk aus dem Leib der Tiamat die Welt erbildet, aus der oberen Hälfte das Himmelsgewölbe, das er in die Abschnitte der Sternbilder einteilt, wobei er auch den Gang von Sonne und Mond bestimmt und dem Gott Ea einen Himmelspalast zuweist. Aus der unteren Hälfte aber wurde die Erde gestaltet, aus dem Kopf der Tiamat ein hoher Berg, ihren Augen entspringen die Flüsse Euphrat und Tigris, aus ihrer Brust entsteht eine Hügellandschaft. Mit der Erschaffung der Menschen aus dem Blut eines geopferten Gottes endet der gewaltige Weltschöpfungs-Epos.

      Der altjapanische Schöpfungsmythos

      Im Mittelpunkt der altjapanischen Mythologie steht das Götterpaar Izanagi und Izanami, das mit dem himmlischen Juwelenspeer in der Salzflut rührte, bis diese sich verdickte und die Erde daraus entstand; danach ließen sie weitere Gottheiten aus sich hervorgehen, darunter die Sonnengöttin Amaterasu sowie den Mondgott und den Gott des Meeres. In einer modernen Nacherzählung liest sich dieser Schöpfungsmythos so:

       Am Anfang waren Himmel und Erde nicht getrennt. Dann spross aus dem Ozean des Chaos ein Schilfrohr; das war der ewige Landbeherrscher Kunitokotatchi. Dann kamen die Göttin Izanami und der Gott Izanagi. Sie standen auf der schwimmenden Himmelsbrücke und rührten mit einem juwelenbesetzten Speer im Ozean, bis er gerann. So schufen sie die erste Insel, Onokoro. Sie bauten auf dieser Insel ein Haus mit einem Steinpfeiler in der Mitte; das ist das Rückgrat der Welt. Izanami ging in einer Richtung um den Pfeiler und Izanagi in der anderen. Als sie sich wieder gegenüberstanden, vereinigten sie sich; das war ihre Hochzeit. Ihr erstes Kind nannten sie Hiruko, aber es gedieh nicht sehr gut. Deshalb setzten sie ihn, als er drei Jahre alt war, in einem Schilfkahn aus; er wurde Ebisu, der Gott der Fischer. Danach gebar Izanami die acht Inseln Japans.18

      Soweit also, frei nacherzählt,


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