Kritik der reinen Verleugnung. Volker Kulessa

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       „Die Wahrheit und die Lehre muss jederzeit, öffentlich, beständig gepredigt werden, niemals darf sie gebeugt oder verschwiegen werden, denn in ihr ist kein Ärgernis.“ 89

      Die außerordentlich ungewöhnlich erscheinende Art, mit den Texten des Neuen Testaments zu verfahren, wie dies Bultmann in seinem Aufsatz vorschlägt, erzwingt die Frage, was Bultmann bewogen haben könnte, in einer derart zerstörerischen Weise zu verfahren, wie er in diesem hier behandelten Aufsatz beispielhaft verfahren ist. Seine eigene Erklärung, man müsse dem modernen Menschen wieder ermöglichen, das Neue Testament zu verstehen, da er es nicht mehr verstehen könne,90 ist mehr als unglaubwürdig, fadenscheinig und meins Erachtens offensichtlich nur vorgeschoben. Denn:

      1. Die These Bultmanns, der Mensch von heute könne das Neue Testament nicht verstehen und an die dort gemachten Heilsaussagen glauben ist allein schon dadurch widerlegt, dass Millionen Christen in aller Welt heute glauben. Den Berichten zufolge werden es ständig mehr in der Welt, auch heute noch.91

      2. Und zum anderen, wie zu zeigen sein wird, kann von „Verstehen“ des Neuen Testaments durch Bultmanns Methode keine Rede sein. Dass das genaue Gegenteil der Fall ist, werde ich aufzeigen.

      1. ist wissenschaftstheoretisch festzuhalten, dass man soteriologische Fragen nicht nach Maßgabe rezeptionstheoretischer Hypothesen entscheiden kann, da auf diese Weise der zu entfaltende Sachverhalt dem Verständnis oder Unverständnis der jeweiligen Zeit und der jeweiligen Zuhörer unterworfen und damit beliebig manipuliert und entstellt werden könnte.’92 4.

      Bei Bultmann, wie gezeigt werden wird, ein Vorverständnis und Annahmen zugrunde liegen, die das Verstehen des Neuen Testaments unmöglich machen. Vgl. hier insbesondere die Kapitel 6.2 und 6.5 und 6.4.3

      5. Statt eine dem Neuen Testament angemessenen Hermeneutik zugrunde zu legen, vgl. Kapitel 6, ist Bultmann ganz offensichtlich in der Begrifflichkeit Martin Heideggers „gefangen“, und hat von daher in erster Linie oder sogar ausschließlich das Neue Testament nur danach befragt, ob sie dem Erkennen des Selbstverständnisses des Menschen dienen oder ihm ein neues Selbstverständnis vermitteln können. Das neue Selbstverständnis, ist das Heilsgeschehen für Bultmann, Selbstverständnis, sonst nichts.93 Das nenne ich mit Trowitzsch, eine „angemaßte Ich-Letztlichkeit.“ Selbstbefangen tötet man sich für Gott ab.94

      „Wir verwerfen die falsche Lehre […], als gehe es bei der Erlösung des Menschen lediglich um Verstehen und Erkennen und sei ein neues Selbstverständnis bereits rettender Glaube. “95

      „aber weil sie sich nur an sich selbst messen und mit sich selbst vergleichen, verstehen sie nichts.“ (2 Kor 10,12b)

      Es verbietet sich, über Motive, Zielsetzungen und Intention Bultmanns zu spekulieren. Offensichtlich aber ist, dass Bultmann mit einem unübersehbaren philosophischen Vorverständnis vorschlägt, mit wissenschaftlich äußerst fragwürdigen Methoden, wenn nicht gar mit als unwissenschaftlich zu bezeichnenden Methoden, wie ich weiter zeigen werde, an die Texte des Neuen Testaments heranzugehen. Bultmann kommt dabei zu Ergebnissen, die mit dem neutestamentlichen und mit evangelischem Verständnis des Heilswerks Gottes in Jesus Christus für uns Menschen auch nicht entfernt in Übereinstimmung zu bringen sind. Und darin stimmt eine Fülle namhafter Theologen mit mir überein, wie ich mit zahlreichen Zitaten in dieser Arbeit nachweise.

       „Im Medium des Heideggerschen Verständnisbegriffs meldet sich zugleich die Herrschaft eines im Grunde intellektuellen Weltbildes an, das für die entscheidenden biblischen Wirklichkeiten einfach keine Antenne mehr haben kann. “96

       „Es ist ferner so, daß ich einen tiefen Abscheu in mich aufgenommen habe angesichts des Schauspiels, wie die Theologie es immer wieder vor Allem der Philosophie ihrer Zeit recht machen wollte und daneben ihr eigenes Thema vernachlässigte. “97

      Und Bultmann selbst bestätigt diese Vermutung in dem er schreibt: „Vor allem scheint Martin Heideggers existentiale Analyse des Daseins nur eine profane philosophische Darstellung der neutestamentlichen Anschauungen vom menschlichen Dasein zu sein: der Mensch, geschichtlich existierend in der Sorge um sich selbst auf dem Grunde der Angst, jeweils im Augenblick der Entscheidung zwischen Vergangenheit und der Zukunft, ob er sich verlieren will an die Welt des Vorhandenen, des >man<, oder ob er seine Eigentlichkeit gewinnen will. Ist nicht so auch im Neuen Testament der Mensch verstanden?“98

      Mit dieser rhetorischen Frage, auf die Bultmann selbst ja nur mit „Ja“ antworten würde, zeigt sich das ganz fundamentale Unverständnis Bultmanns über Charakter und Substanz und Inhalt des Neuen Testaments. Ebenso tritt das Missverständnis über Grund und Ziel aller soteriologischen Aussagen in Bultmanns Aufsatz unübersehbar zutage. Und zu fragen ist, ob das Neue Testament nur vom Menschen redet, wie Bultmann meint, oder stattdessen von Jesus Christus, Gottes Sohn, unseren Herrn die Rede ist und über seine liebende und rettende Beziehung zu uns Menschen, zu seiner ganzen Schöpfung?

      Es stellt sich bereits jetzt, schon nach nur den Eingangsthesen seines hier untersuchten Aufsatzes, die Frage, ob von Bultmann, theologisch noch irgendetwas substantiell Christliches zu erwarten ist. Bultmann scheint nämlich hier geradewegs auf nicht mehr als auf die Selbsterlösung des Menschen zuzusteuern.

      Daß aber unser Heil ganz und gar „extra nos“ liegt, scheint Bultmann vollkommen fremd, so wie göttliches Eingreifen in die Geschichte ihm völlig unverständlich bleiben muss und auch geblieben ist, was hier gezeigt werden wird. Die in dieser Arbeit versammelte große Fülle an eindeutigen, höchst kritischen, den Ansatz Bultmanns begründet vollständig widerlegende, und daher ablehnende Stimmen aus der theologischen Wissenschaft und Kirche, bestätigen meine Auffassung dahingehend eindrücklich und nachdrücklich, und unabweisbar.

      „Wenn ich aber, [wie Bultmann] von der in Jesus Christus mir gewährten Gnade Gottes „absehe“, dann freilich werde ich kaum etwas anderes in Sicht nehmen können als jene ontologische Schichtenanalyse.[…] Und warum soll ich dann nicht existenzphilosophisch sagen, daß der Mensch seine Eigentlichkeit an das „Man“ verloren habe, sie aber in einem Durchbruch nach vorn zurückgewinnen kann? -- Gerade in der deutlich ans Licht tretenden methodischen (und nicht bloß methodischen) Außerachtlassung der freien Gnade aber, d.h. zugleich gerade in der Selbstrechfertigung, die dann unweigerlich unternommen werden muss, liegt die tiefste, die religiöse Gestalt der Sünde, die Sünde, in der der Mensch seiner selbst in einer letzten Tiefe habhaft und in der gleichen Tiefe Gottes_mächtig sein will. […] Wir bekommen die Wirklichkeit des

       Menschen nur dadurch in Sicht, daß wir das für den Menschen bestimmte >Evangelium< vernehmen. “99

      Ganz entgegen der Denkschrift der Ev. Theologischen Fakultät der Universität Tübingen von 1952, halte ich das Vorgehen Bultmanns für „frivole Überheblichkeit.“100

      Das werde ich im Verlaufe der Arbeit weiter begründen. Bultmann beginnt in seinem Aufsatz gleich mit seinem aus meiner Sicht alles Christliche zerstörenden „Werk“ und erklärt zunächst die Substanz des Neuen Testaments für „erledigt“.101

      Damit erbringt Bultmann gleich den ersten Erweis einer grandiosen Überheblichkeit. Bultmann wagt, nein, erdreistet sich, Gottes Wort in seinen wesentlichen Teilen für „erledigt“ zu erklären. Welch eine Hybris! Und das ohne haltbare Begründungen. Welch eine eklatante Unwissenschaftlichkeit.

       „Jede wirkliche Ketzerei hat […] mit der Substanz unseres Glaubens zu tun, je nachdem ob wir die Schrift nach menschlichen Maßstäben oder nach Gottes Maßstäben auslegen, nämlich als Menschen, die „im Fleisch“ leben, oder als Menschen, die „in Christo“ leben. “102

       „Weiter ist zu bedenken, daß wir ausführlichere Nachrichten über die eigentlichen <orientalischen> Mysteriengötter bzw. ihre Mysterienkulte erst ab dem 2. und 3. Jh. n. Chr. besitzen. “103

      „[…] so handelt es sich hier [bei Bultmann bei seiner Behauptung der Abhängigkeit des Paulus von gnostischen Gemeinden] um eine phantastische


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